Süddeutsche Zeitung

Schönheitswettbewerbe:Kartoffeln, Wurst, Grünkohl: Deutschlands wahre Königinnen

An diesem Wochenende wird die "Miss World 2015" gekürt. Völlig egal. Denn die wirklichen Schönheiten sind in der deutschen Provinz zu Hause.

Von Friederike Zoé Grasshoff und Martin Wittmann

Wer ist denn nun die Schönste von allen? Wer wird bloß diesmal Miss World? Wer wird zur Frau aller Frauen gewählt? Und wer kennt eigentlich die Südafrikanerin Rolene Strauss, immerhin die amtierende Titelträgerin? Richtig, niemand.

Es ist tatsächlich völlig egal, wer an diesem Samstag im chinesischen Sanya zur überpolierten, abgehobenen Miss World gewählt wird. Nicht nur, weil es ja auch noch Miss Earth, Miss Intercontinental oder Miss Universe gibt. Sondern vor allem, weil die wahren Repräsentantinnen und Regentinnen des Volkes gewiss nicht über Laufstege ferner Metropolen stolzieren, sondern auf dem Marktplatz um die Ecke stehen. Mit ebenso breiter Schärpe, aber ohne übertriebenes Bohei. Mit Idealen und Botschaften, die nicht so unverbindlich sind wie bei den Konsens-Missen, sondern denkbar konkret: für was die Wacholderkönigin Gomadingen, die Lavendelkönigin Bad Blankenburg oder die Ollaner Appelkeunigin stehen, muss sich (oder sie) niemand fragen.

Sie sind bürgernah, zupackend und bodenständig

Wer so viel Verantwortung übernimmt, für den ist der Titel "Miss" nur ein Untertitel. Sie sind vielmehr Prinzessinnen und Königinnen. Laut der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Königinnen e. V. mit Sitz im hessischen Witzenhausen gibt es von ihnen mehr als 120 im Land. Der 2003 gegründete Verein wolle mit den Krönungen "intensiv für Urlaub in Deutschland werben und über Vereine, Gemeinden, Orte und Städte mit einer Produkt- oder Markenkönigin auf Volksfeste mit überregionalem Charakter hinweisen".

Die Frauen sind also Repräsentantinnen einer äußerst analogen Werbewelt, sie dienen als Symbolfiguren regionaler Identität. Sie sind bürgernah, zupackend und so bodenständig, dass sie an diesem Samstag sicher Wichtigeres zu tun haben werden als Badeanzüge vorzuführen. Sie werden Bänder durchschneiden, Bürgermeister-Hände schütteln oder sich auf die Emmentalermesse vorbereiten - Royal mit Käse. Sie sind deutscher Alltag, der nicht nach Alltag aussehen soll.

Besonders glamourös ist es nicht, das Leben als Regio-Regentin: von Messe zu Messe, hochgezogene Mundwinkel, kein oder wenig Lohn. Doch selbst wenn die Auserwählten oft Objekte hochnäsigen Spotts sind - für manche ist die Krönung auch ein Sprungbrett: Man denke nur an die ehemalige Weinkönigin Julia Klöckner, mittlerweile CDU-Vize-Chefin. Wo auch immer das Amt seine Trägerin hinführt - das Königinnen-Wesen gehört längst zur deutschen Lebenswirklichkeit, samt Weinfestflecken auf der Bluse. Höchste Zeit für eine Würdigung.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2015
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