Süddeutsche Zeitung

Wahl zur "Miss 50 plus 2019":Zeitlos schön

  • Die Miss Germany Corporation (MGC) führte vor sieben Jahren eine Misswahl für die Altersklasse Ü50 ein.
  • In Bad Zwischenahn wird nun die "Miss 50plus" 2019 gekürt.
  • Und dort zeigt sich: Die reiferen Semester bringen einen neuen Klang in ein Gewerbe, das im Verdacht steht, oberflächlich zu sein und nicht ganz auf der Höhe der Zeit.

Von Thomas Hahn, Bad Zwischenahn

Montagfrüh um zwanzig nach acht geht es wieder los in der Entzugsklinik der Inneren Mission in Plön, Schleswig-Holstein. Faustball mit der Männergruppe. Sabine Heyden-Straub wird mitspielen, klar, sie spielt ja immer mit. Sie wird bequeme Klamotten tragen und zusehen, dass die Stimmung locker bleibt, was nicht selbstverständlich ist beim Sport mit Suchtkranken. Sie wird wieder ganz nah dran sein am Kampf der Patienten gegen die Drogen-Abhängigkeit.

Das ist der Alltag von Sabine Heyden-Straub, 50, Physiotherapeutin, Mutter zweier Kinder, und es hat ihr Einiges bedeutet, dass sie am Samstagabend bei der Wahl zur "Miss 50plus" in der Wandelhalle von Bad Zwischenahn mal kurz ausbrechen durfte aus diesem Alltag. Sie trug ihre schönen Kleider mit Stolz. Sie lächelte ins Rampenlicht. Sie genoss die Blicke. Sie sagte: "Das bringt eine ganz andere Stimmung in mein Leben."

Horst Klemmer, 81, Gründer des Oldenburger Familienunternehmens Miss Germany Corporation (MGC), gibt selbst zu, dass er skeptisch war, als sein Sohn Ralf, der MGC-Geschäftsführer, vor sieben Jahren die Idee hatte, eine Misswahl für die Altersklasse Ü50 einzuführen. Seit 1960 krönt Klemmer senior die Schönheitsköniginnen des Landes und hatte in dieser Zeit offenbar ein klares Bild vom hiesigen Beauty-Adel entwickelt. Gekrönte Altersschönheiten kamen darin nicht vor. Wie sollte das aussehen? Großmütter in Badeanzügen? Heute ist er froh, dass der Sohn sich durchsetzte. Die reiferen Semester bringen einen neuen Klang in sein Gewerbe, das notorisch unter dem Verdacht steht, oberflächlich zu sein und nicht ganz auf der Höhe der Zeit.

Die Gesellschaft bemüht sich um Gleichstellung und ein faires Frauenbild nach Jahrhunderten der Männerdominanz - da ist es durchaus ein Statement, dass eine Miss-Wahl nicht mehr nur eine Sache für Zwanzigjährige mit Idealmaßen ist. Die gestandene Frau von heute kann Kinder kriegen, Enkel bespaßen, im Job durchstarten, Ehrenämter pflegen - und wenn sie will, kann sie zwischendurch auch noch in figurbetonte Kleider schlüpfen und einfach mal schön sein für ihre Betrachter. Dieses Angebot trifft offenbar den Zeitgeist. MGC zählte 500 Bewerbungen für die Miss-50plus-Wahl, die Medien berichten rege.

"Grundsätzlich finde ich es toll, dass Frauen über 50 eine Bühne kriegen", sagt Sabine Heyden-Straub. Sie selbst haderte mit dem Älterwerden. Dazu kamen zwei Todesfälle im Kreis der gleichaltrigen Freunde. Da wollte sie noch mal raus und zeigen, dass Schönheit nicht einfach so verwelkt. Sie verschickte ihre Bewerbung, bekam die Einladung zum Casting in Frankfurt, bei dem MGC aus 60 Frauen die 20 für das Finale im niedersächsischen Kurort Bad Zwischenahn auswählte. Und dort fiel dann dieses ganz andere Licht auf sie.

Sabine Heyden-Straub steht im Gang neben dem Festsaal. Die Wahl ist vorbei, sie kann gehen, denn gewonnen hat eine andere: Evelyn Reißmann, Finanz-Fachwirtin und alleinerziehende Mutter aus Plauen, 52, eine wohltuend natürlich wirkende Frau mit ebenen Zügen und sparsamer Mimik. Sabine Heyden-Straub ist nicht traurig. "Es war eine tolle Erfahrung." Über einen Laufsteg zu gehen und in Kameras zu blicken, ist gar nicht einfach. Und bei den Bühneninterviews meinte sie, in einem See aus Angstschweiß zu stehen, so aufgeregt war sie. Jetzt wirkt sie entspannt, sogar stolz auf ihre Frauen-Generation. "Ich dachte vorher, was mögen da für Zicken dabei sein." Aber soweit sie das beurteilen kann, waren da keine Zicken, nur lauter Leute mit Humor und Selbstbewusstsein.

"Meiner 16-jährigen Tochter bin ich peinlich", erzählt die Siegerin auf der Bühne

Von einem Laufsteg-Auftritt kann man nicht auf einen Charakter schließen. Trotzdem hat man bei der Show zur Wahl eine Ahnung bekommen können von den Persönlichkeiten hinter den Startnummern. Wer sich über aufgesetzte Berufsjugendliche lustig machen wollte, wurde enttäuscht. Keine inszenierte gute Laune, keine albern-vordergründige Erotik. Die Damen führten Business-Outfits und Abendkleider vor, dezente Eleganz, Freundlichkeit, auch kleinere sympathische Unsicherheiten. Ein paar Profi-Models der Kategorie Best-Age waren dabei, Seniorinnen also, die derart makellos wirken, dass sie auf Fotos die Illusion vermitteln, 50 plus sei das tollste Alter überhaupt. Man erkannte sie an ihrem kraftvollen Hüftschwung und ihrem stabilen Lächeln. Bei anderen zitterten die Mundwinkel. Wieder andere lächelten so flüchtig, als käme ihnen die ganze Situation mit vielen Zuschauern und Kameras doch irgendwie seltsam vor.

Und bei der Interviewrunde gab es kleine Einblicke in wechselhafte Lebensgeschichten. Es stellten sich vor: eine Bayernliga-Triathletin. Eine Chinesisch und Afrikaans sprechende Stewardess. Eine Diplom-Ingenieurin mit fünf Kindern. Eine Tanztrainerin mit neun Enkeln. Eine Kleindarstellerin, die eine schwere Krankheit überwunden hat. Eine Moderatorin mit Rückenschmerzen, die mit ihrer kleinen Tochter gerne Schlagzeug spielt. Die Physiotherapeutin Heyden-Straub, die sich über die Ablenkung von den Härten in der Entzugsklinik freute. Lauter Frauen mit Erfahrungen und neuem Mut also. Marion Ellendorff, Kauffrau aus Oldenburg, 55, Drittplatzierte nach dem Jury-Votum, sprach für viele von ihnen, als sie sagte: "Ich hätte mich mit 20 nie getraut, an einer Miss-Wahl teilzunehmen."

Und am Schluss hatte eben eine die Krone auf. Es war im Grunde egal wer, aber natürlich freute sich Evelyn Reißmann sehr, und natürlich hatte auch sie ihre Geschichte mitgebracht. Genauer gesagt hatte sie einen Kummer mitgebracht. Ihre Tochter ist 16 und "ein bisschen schwierig". Sie wollte nicht mit nach Bad Zwischenahn. "Ich vermisse sie", sagte Evelyn Reißmann. Die Tochter hat ihren eigenen Kopf, sie ist ungnädig, wie Kinder eben manchmal sind. "Sie sagt, Mama, du bist peinlich." Jetzt ist Mama Schönheitskönigin, und die Tochter versteht vielleicht besser, dass auch Erwachsene ein Recht auf ihren Spaß haben.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2018/ick
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