Schockierendes Unfallvideo aus China:Sieben Minuten Herzlosigkeit

Ungebremst überrollt ein Kleinbus ein Mädchen, der Fahrer flüchtet. Als wäre der Fall der zweijährigen Yue Yue damit nicht schon schlimm genug, laufen 18 Passanten an dem schwerverletzten Kleinkind vorüber - ohne zu helfen.

Henrik Bork, Peking

Ein zweijähriges Mädchen wird überfahren und liegt blutend auf der Straße. In den nächsten sieben Minuten gehen 18 Passanten achtlos an ihr vorüber. Ein weiterer Kleinlaster überrollt die Kleine. Ein Motorradfahrer schlägt einen Bogen um das Opfer und dessen Blutlache, fährt aber weiter.

Schockierendes Unfallvideo aus China: Minutenlang liegt die kleine Yue Yue (vorne im Bild) schwerverletzt und jammernd auf dem Boden, ohne dass dem zweijährigen Mädchen aus China einer der Passanten in der Nähe zur Hilfe kommt.

Minutenlang liegt die kleine Yue Yue (vorne im Bild) schwerverletzt und jammernd auf dem Boden, ohne dass dem zweijährigen Mädchen aus China einer der Passanten in der Nähe zur Hilfe kommt.

(Foto: AP)

Das ist der Inhalt eines schockierenden Videos, aufgenommen von einer Polizeikamera, das in China nun eine heftige Debatte über fehlende Moral und zunehmende Herzlosigkeit in der Gesellschaft ausgelöst hat. Millionen Chinesen haben das grausame Bildmaterial mittlerweile im Internet gesehen und reagieren mit empörten Kommentaren. "Absoluter Horror", "unverständliche Kälte" oder "kriminell" lauten die Reaktionen.

Der Fahrer gibt einfach Gas

Das zweijährige Mädchen war in einem unbeobachteten Moment aus dem Haus ihrer Eltern in der südchinesischen Stadt Foshan auf die Straße gelaufen. Die Überwachungskamera der Polizei zeigt einen weißen Kleinbus, der frontal auf sie zufährt, ohne zu bremsen, und sie schließlich überrollt. Der Fahrer zögert kurz, gibt dann aber Gas und begeht Fahrerflucht.

Er habe sich kurz zuvor von seiner Freundin getrennt und beim Fahren mit dem Handy telefoniert, zitieren ihn Reporter später. Dass er ein Kind überfahren hat, will er nicht bemerkt haben. Inzwischen wurde der Mann verhaftet. Auch der zweite Fahrer, der knapp eine Minute später über das schwerverletzte Mädchen rollte, ist bereits festgenommen.

Erst nach geschlagenen sieben Minuten erbarmt sich eine Müllsammlerin des zu dem Zeitpunkt noch lebenden Opfers und trägt die Kleine an den Straßenrand.

"Stoppt die Apathie" ist die Überschrift einer Aktion auf dem beliebten Mikroblog-Portal Sina Weibo, Chinas Äquivalent zu Twitter. Etwa zehn Millionen Menschen haben dort bereits Kommentare hinterlassen. Viele fordern harte Strafen für die beiden Fahrer und verdammen die herzlose Indifferenz der 18 Passanten, von denen einige zwar zu dem jammernden Mädchen hinschauten, von denen aber kein einziger stehenblieb und half.

"Zusammenbruch jeglicher moralischer Standards"

"Verantwortlich ist der Zusammenbruch jeglicher moralischer Standards in unserer Gesellschaft. Die Leute glauben an gar nichts mehr", schreibt etwa der Blogger Haishang Xiaoen auf Sina. Andere erinnern daran, dass nach Gründung der Volksrepublik China unter Mao Tsetung jegliche Religion verboten war, was bis heute ein großes spirituelles Vakuum in der Volksrepublik hinterlassen hat. Wieder andere erinnern an den ungehemmten Materialismus, der im China des heutigen Wirtschaftsbooms grassiert. "Dies ist das unvermeidliche Resultat unserer Geldanbetung", meint ein Chinese mit dem Pseudonym "xxx777".

Für Chinas Verkehrsteilnehmer gibt es handfeste Gründe, bei Unfällen möglichst abseits zu stehen. Es gibt noch immer kaum Krankenversicherungen im Land und die meisten Kliniken behandeln Patienten nur dann, wenn diese bei der Einlieferung bar bezahlen. Immer wieder berichten die Medien von Unfallopfern, die auf den Treppen zur Notaufnahme verblutet sind, weil diejenigen, die sie angeliefert hatten nicht genug Bargeld dabei hatten.

Die Eltern wollen die Hoffnung nicht aufgeben

Manche Kommentatoren nehmen die Passanten in Yue Yues Fall auch mit dem Verweis auf Fehlurteile der chinesischen Justiz in Schutz. So hatte im September 2007 ein junger Mann einer alten Frau helfen wollen, die vor einem Bus zusammengebrochen war. Doch nachdem er sie ins Krankenhaus getragen hatte, beschuldigte ihn die Frau, er habe sie umgestoßen. Der Richter verurteilte den Helfer zu einer hohen Geldstrafe.

Wieder andere Teilnehmer der Debatte verweisen auf das harte Schicksal von chinesischen Bauernfamilien, die als Wanderarbeiter in den Städten so hart arbeiten müssen, dass ihnen das Aufpassen auf die Kinder schwerfällt. Die Eltern der kleinen Yue Yue betreiben einen kleinen Marktstand ganz in der Nähe der Unfallstelle. Sie hatten das Mädchen nur eine Minute lang aus den Augen verloren, als das Unglück passierte.

Am Mittwoch, knapp eine Woche nach dem Unfall, lag Yue Yue noch immer auf der Intensivstation. Die Ärzte zögerten, sie als hirntot zu deklarieren. Ihre Eltern, die sich am Krankenbett abwechselten, wollten die Hoffnung nicht aufgeben.

Anmerkung der Redaktion: sueddeutsche.de hat sich aufgrund der Grausamkeit der Bilder bewusst dagegen entschieden, dass Video des Unfalls zu verlinken.

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