Schneechaos:Eine Stadt auf Sparflamme

Nach drei Tagen ohne Strom regt sich in Ochtrup erster Unmut - wann die Versorgung wieder sichergestellt sein wird, ist unklar.

Hans-Jörg Heims

Am Tag eins nach dem winterlichen Chaos suchen die Unterkühlten nach der wärmenden Botschaft. "Habt Ihr schon Strom?", lautet die am Montag auf den Straßen von Ochtrup am häufigsten gestellte Frage, wenn sich zwei Menschen begegnen. Die Bewohner der Stadt im nordwestlichen Münsterland haben die dritte Nacht ohne Licht, warmes Wasser und Heizung hinter sich.

Dunkelheit in Ochtrup

Nur Autoscheinwerfer sorgen in Ochtrup für etwas Licht

(Foto: Foto: dpa)

Unüberhörbar ist zwar das Brummen der Notstromaggregate, die inzwischen aus ganz Deutschland in die vom Netz abgetrennte Stadt gebracht wurden. Eine stabile Stromversorgung lässt sich mit den Behelfsgeräten aber nicht herstellen. "Kaum geht irgendwo das Licht wieder an, schalten die Leute auch gleich andere Geräte wie Waschmaschinen und Kühltruhen an", klagt ein Helfer des Technischen Hilfswerks (THW). "Solche Leistungen überfordern unsere Geräte."

Acht Kerzen und Fondue

So kommt es vor, dass man im Supermarkt einkauft, als plötzlich das Licht ausgeht. Es funktionieren dann weder die Kassen noch lassen sich die Türen elektrisch öffnen. Während der Wartezeit auf dem Weg ins Freie erfährt man eine Menge nützlicher Tipps zum Schutz vor der Kälte. "Ich habe acht Kerzen aufgestellt und hatte 22 Grad im Zimmer", sagt ein Mann. Eine Frau erzählt, dass sie zu Hause das ganze Wochenende Fondue gegessen hätten, um sich an dem Stövchen zu wärmen. Not macht erfinderisch.

Wer keine Kerzen hat oder nicht zu Nachbarn mit einem Kamin gehen kann, findet in der Stadthalle wärmenden Unterschlupf. In einem Teil der Halle können Kinder Ball spielen - die Schulen bleiben vorerst geschlossen. Im anderem Teil sitzen Menschen an langen Tischen und wärmen sich mit Kaffee und einer heißen Mahlzeit auf. Übereinstimmend wird die Erbsensuppe gelobt.

Man sieht Eltern, die mit ihren Kindern Schiffe versenken oder Monopoly spielen. Dem Publizisten Alfred Kerr sind die Münsteraner bei seiner Deutschlandreise Anfang der zwanziger Jahre wegen ihres "freundlich-ernsten und gedämpften" Tons angenehm in Erinnerung geblieben.

Offenbar gilt das auch für die anderen Münsterländer: Obwohl viele Menschen in Ochtrup langsam ungeduldig werden, nehmen sie die Situation mit einer erstaunlichen Gelassenheit, zuweilen auch mit Humor. "Hey Chef, ich geh jetzt nach Hause und mach mir einen schönen Tag vor dem Kamin", sagt eine Verkäuferin, nachdem das Licht im Laden abermals ausgegangen ist.

Pfarrer Josef Wichmann erzählt, dass im Gottesdienst am Sonntag großer Jubel ausgebrochen sei, als ausgerechnet beim Halleluja das Licht in der Kirche wieder für kurze Zeit anging. Mancher entdeckt auch, dass die Abhängigkeit von der modernen Technik an Grenzen stößt. "Alles, was alt war, hat funktioniert, alles, was neu war, nicht", sagt Elektromeister Gernot Pahl.

Tief des Jahrhunderts

Freilich üben manche auch Kritik. Einige Helfer beklagen, dass die Kommunikation schlecht gewesen sei. So hätten Notstromaggregate aus Hessen stundenlang unbenutzt herumgestanden, während die Landwirte auf umliegenden Höfen ihre Rinder nicht melken konnten. Vor allem stellen viele die Frage, ob dieser Wintereinbruch nicht vorhersehbar gewesen wäre und die Bevölkerung gewarnt hätte werden können. Die Meteorologen sagen, dass so eine Wetterlage nur alle 100 Jahre vorkommt, bei der ein Tiefdruckgebiet derart hartnäckig an einer Stelle seine Wolken ausschüttet.

Häme und Kritik muss sich der Stromversorger RWE gefallen lassen, dessen Tochtergesellschaft Westfalen-Weser-Ems-AG die 20000 Einwohner zählende Stadt mit Strom versorgt. "Wir sind doch ein hoch industrialisiertes Land", sagt der Landwirt Bernd Staeke und blickt kopfschüttelnd auf das verschneite Feld vor seinem Fenster. So weit das Auge im Nebel reicht, sind alle Strommasten umgeknickt.

Hier draußen vor dem Ortseingang von Ochtrup entscheidet sich, wann die Stadt wieder vollständig mit Strom versorgt wird. Es gibt nur eine Leitung, die nach Ochtrup führt, doch die liegt seit dem Wochenende größtenteils im Matsch der Felder. Zwar sieht man an den geborstenen Strommasten Trupps von RWE arbeiten. Doch die Reparaturen gestalten sich schwierig. So muss eine Leitung über die Autobahn bei Gronau gelegt werden. Das Kabel war am Samstag gekappt worden, weil es unter der Last von Eis und Schnee auf die Fahrbahn herabzustürzen drohte.

Vor allem für die Landwirte sind dies schwere Tage. Bauer Staeke hat 40 Rinder zu versorgen. Die Melkanlage funktioniert nur mit Strom. Zweimal am Tag kommt die Feuerwehr auf den Hof und bringt ein Notstromaggregat, damit die Tiere gemolken werden können. Staeke hat schon vor Jahren angeregt, solche Geräte anzuschaffen. "In Krankenhäusern gibt es die ja auch." Doch den meisten Kollegen war die Anschaffung zu teuer. Wie hoch die Schäden für die 4500 Landwirte im Kreis Steinfurt sind, ist noch offen. Während für tote Tiere die Tierseuchenkasse zahlt, ist der Lohn für Hunderte Liter ungekühlter Milch verloren. Sie landeten in der Jauchegrube.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: