Süddeutsche Zeitung

Schmähgedicht:"Eine Richternudel starrt in die Kristallkugel"

Aus Ärger über einen verlorenen Prozess schmäht ein Rentner aus Rheinland-Pfalz die Richterin mit selbstgeschriebenen Versen. Ist das nun Kunstfreiheit oder Frechheit?

Von Johan Schloemann

Das Wort "Schmähgedicht" wurde schmählicherweise erst im vergangenen Jahr in den "Duden" aufgenommen, obwohl es schon bei Goethe und vorher bei dem Barockdichter Adam Olearius belegt ist. Das liegt natürlich an dem Satiriker Jan Böhmermann. Vor bald zwei Jahren rief er mit der demonstrativen Performance seines "nicht erlaubten" Gedichtes "Schmähkritik" eine Staatsaffäre hervor.

Während der Fall Böhmermann noch nicht ausgestanden ist - die zivilrechtliche Auseinandersetzung mit dem beleidigten türkischen Staatspräsidenten Erdoğan soll Ende Februar vor dem Oberlandesgericht Hamburg fortgesetzt werden -, scheint er inzwischen Nachahmer anzuregen. So hat der 76-jährige Rentner Reinhard W. aus Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz aus Ärger über einen gegen die Stadtwerke verlorenen Prozess seine poetische Ader entdeckt. Er schickte zwei jeweils mehrere Seiten lange Schmähgedichte, fast schon Vers-Epen voll übler Nachrede, an den Direktor des örtlichen Amtsgerichts sowie an den Präsidenten des Landgerichts in Bad Kreuznach, um sich über seine Richterin zu beschweren.

Verse wie "Die Richterin (...) mit ihrem Engelsgesicht / in Wahrheit die wüste Tochter des Teufels ist" oder "Eine Richternudel starrt in die Kristallkugel / erwartet sie doch für sich als Gericht Lobgehudel" haben dem Mann aus Idar-Oberstein schon den Ehrennamen "Der Pöbel-Poet" in der örtlichen Bild-Zeitung eingetragen, auch wenn er nur äußerst holprig reimen kann.

Der Landgerichtspräsident fand das hingegen nicht so lustig und stellte einen Strafantrag wegen Beleidigung. Richter müssten sich generell viel anhören,sagte ein Gerichtssprecher, aber der Mann habe es doch "ein bisschen arg" getrieben. Reinhard W. wurde also vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt, strengte aber daraufhin ein jetzt laufendes Berufungsverfahren an, in dem er sich tatsächlich - Böhmermann lässt grüßen - auf das Grundrecht der Kunstfreiheit beruft.

Wegen schlechter, unrhythmischer Lyrik kann man (leider?) nicht belangt werden - das heißt, die Richter dürfen nicht die Qualität der Gedichte zum Maßstab nehmen. Auch hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 2014 den Rahmen für Richterschelte, die von der Meinungsfreiheit geschützt ist, ziemlich weit gespannt - sofern nicht "die Diffamierung der Person im Vordergrund steht". Letzteres dürfte wohl allerdings für diese Verse von Reinhard W. zutreffen: "Die andern steigen immer weiter auf der Leiter / Richterin S. wird fülliger / ihr Arsch immer breiter."

Um an der Subtilität seiner satirischen Kunst noch ein wenig zu feilen, könnte der zornige alte Dichter vielleicht der nächsten Veranstaltung der Stadtbibliothek Bad Kreuznach beiwohnen: Da geht es um "Scherz, Satire und Ironie in der deutschen Literatur" am Beispiel von Robert Gernhardt und Erich Kästner. Trotz schwankender Versqualität aber scheint der Fall Böhmermann immerhin eine Botschaft ins Land zu tragen, an der sich auch alle Netz-Trolle ein Vorbild nehmen könnten: Wenn man schon beleidigt, dann sollte man sich dabei wenigstens ein bisschen Mühe geben.

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SZ vom 31.01.2018/eca
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