Schlag gegen Kinderpornographie:"Jeder Klick tötet eine Kinderseele"

Lesezeit: 2 min

In 166 Ländern haben Ermittler 38 Internet-Porno-Ringe zerschlagen. Dabei hat die Polizei Tausende Videos und Disketten beschlagnahmt. In ganz Deutschland wurden Wohnungen durchsucht.

Von Jens Schneider

(SZ vom 27.09.2003) — Die ausschließlich männlichen Täter kommen aus der Mitte der Gesellschaft. "Es sind viele Lehrer und Erzieher darunter", sagt Jürgen Konrad, Generalstaatsanwalt von Sachsen-Anhalt. Dann zählt er auf: Grundschullehrer sind unter den Verdächtigen. Trainer von Kindermannschaften, der Betreiber einer Kinderschwimmschule, auch fünf Polizeibeamte und ein Pfarrer, der in seiner Gemeinde in die Kinderbetreuung eingebunden war.

Auch ein Musiklehrer zählte zu dem Zirkel der mutmaßlichen Kinderpornografen. Er kümmerte sich ehrenamtlich um Kinder aus dem Umkreis von Tschernobyl, die sich in Deutschland von den Folgen der Reaktorkatastrophe erholen sollten.

Insgesamt haben die Ermittler 530 Bundesbürger aus allen 16 Bundesländern aufgespürt, international wurden 26.500 Tatverdächtige ermittelt. Sie alle stehen unter Verdacht, pornografische Schriften mit Bildern von missbrauchten Kindern aus dem Internet besessen und in vielen Fällen auch im weltweiten Netz verbreitet zu haben.

Die Kinder auf den Bildern wurden oft brutal misshandelt. In den Gesichtern spiegelt sich ihre Not wider. Eines der Opfer ist ein vier Monate alter Säugling.

Finanzieller Gewinn lässt Hemmschwelle fallen

"Jeder Klick tötet eine Kinderseele", sagt Sachsen-Anhalts Innenminister Klaus Jeziorsky über den Handel, als er die Bilanz der bedeutendsten Aktion gegen die internationale Kinderpornografie-Szene, die je von Deutschland ausging, in Magdeburg vorstellt.

Es sei ein Handel, bei dem "Millionenbeträge umgesetzt werden und der finanzielle Gewinn Hemmschwellen fallen lässt". In allen Bundesländern wurden insgesamt 502 Privatwohnungen und Geschäftsräume durchsucht. Die 1500 beteiligten Beamten beschlagnahmten 745 Computer, 35.500 CDs, 8300 Disketten sowie 5800 Videos. Dabei hatte allein ein Tatverdächtiger mehr als 26.000 Bilder gespeichert.

Begonnen hat die "Operation Marcy", die nach dem Internet-Spitznamen des ersten Verdächtigen, Marcel K., benannt wurde, bereits im Mai 2002. Damals erstattete ein Internet-Betreiber Anzeige gegen Marcel K. wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer Schriften. Im Juli stellte die Polizei seine Rechneranlage und zahlreiche CD-ROMs sicher.

Im Rechner fanden die Ermittler umfangreiches kinderpornografisches Material, dazu die E-Mail-Adressen von rund 1000 mutmaßlichen Tauschpartnern. Der Provider der Internet-Adresse wurde per Gerichtsbeschluss verpflichtet, die Protokolldaten zu sichern. Kripo und Staatsanwaltschaft sichteten 12 Gigabite an Protokolldateien - 14 Millionen Einträge.

Über die Provider kamen die Ermittler schließlich an die Verdächtigen, die sich unter anderem in 38 so genannten geschlossenen internationalen Zirkeln am Tausch von Kinderpornografie beteiligt haben sollen. In diese durch Passwörter abgeriegelten Internet-Zirkel hatte nur Zugang, so Staatsanwalt Peter Vogt, wer selbst auch Kinderporno-Bilder einspeiste.

Rund die Hälfte der Verdächtigen sind laut Staatsanwaltschaft bereits geständig. Die meisten der Verdächtigen sind laut Generalstaatsanwalt homosexuell-pädophil. Es seien vor allem Knabenbilder sichergestellt worden. Die Opfer kommen den Angaben zufolge meist aus ärmeren Ländern, etwa aus Thailand oder Osteuropa. "Prager Jungs" heißt ein Film, den die Polizei als Beweismaterial präsentiert.

Justiz warnt vor Bagatellisierung

Die Justiz warnt davor, den Gebrauch der Kinderbilder zur sexuellen Befriedigung zu bagatellisieren. "Jeder Fall von Kinderpornografie ist die Abbildung eines sexuellen Missbrauchs", sagt Sachsen-Anhalts Justizminister Curt Becker - und wer die Bilder betrachte, der schaffe erst einen Markt. Es werde zudem beobachtet, dass den Tätern das Anschauen oft bald nicht mehr reiche, dann würden sie selbst Kinder misshandeln.

Becker fordert eine erhebliche Verschärfung des Strafrahmens. Bisher werde der Besitz von Kinderpornografie nur mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet.

Die Staatsanwälte wollen prüfen, ob die überführten Mitglieder der Kinderporno-Zirkel wegen bandenmäßiger Verbreitung von Kinderpornografie angeklagt werden können. In diesem Fall droht ihnen eine Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Oberstaatsanwalt Peter Vogt weiß freilich, dass die Fahnder nur einen Bruchteil der Täter erwischt haben.

Wir haben vielleicht einmal den Rasen gemäht", sagt er - und macht sich keine Illusionen, dass neue Verbreiter von Kinderbildern schnell nachkommen werden. Aber die Ermittler sehen den Fahndungserfolg als Beleg, dass sich keiner der Täter im Netz sicher fühlen kann. "Wir bleiben dran", sagt LKA-Chef Frank Hüttemann. "Wir kriegen alle!"

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: