Schlaf:Unter der Bettdecke

Schlaf: Werbung machen Firmen wie Gravity vor allem mit Fotos von erfolgreichen, ausgeschlafenen Menschen. Denn eigentlich geht es um unsere Leistung am nächsten Morgen.

Werbung machen Firmen wie Gravity vor allem mit Fotos von erfolgreichen, ausgeschlafenen Menschen. Denn eigentlich geht es um unsere Leistung am nächsten Morgen.

(Foto: John Fiorentino)

Auch der Schlaf wird jetzt zu einer Art Leistungssport: Eine Firma aus den USA hat eine kiloschwere Bettdecke entwickelt, die tiefen Schlaf garantieren soll. Braucht's das?

Von Frederik Eikmanns

Superfood auf dem Teller, Fitness-Tracker am Handgelenk, Meditationsapp auf dem Handy - die Zahl neuer Produkte zur Selbstoptimierung ist riesig. Dass selbst unter der Bettdecke noch Verbesserungspotenzial steckt, zeigt ein Blick auf die vielen technischen Spielereien, die besseren Schlaf versprechen. Ein aktuelles Beispiel: kiloschwere Bettdecken, unter denen man tiefer schlafen, weniger Angst haben, sich gut fühlen soll, so das Versprechen der US-Firma Gravity. Mehr als elf Kilo wiegt die schwerste Variante. Die Idee dazu stammt ursprünglich aus der Behandlung von ADHS und Autismus durch mit Sand gefüllte Westen. Gravity behauptet, dass gleichmäßiger Druck auch bei gesunden Menschen den Melatoninspiegel anhebt und so dafür sorgt, dass der Körper zur Ruhe kommt.

In den USA ist das Interesse an den Decken groß. Mehr als vier Millionen Dollar hat die Firma mit dem Konzept bei einer Crowdfunding-Kampagne 2017 eingenommen. Gründer John Fiorentino hat einen Nerv getroffen: Laut der American Sleep Association, einem von der Industrie gesponserten Verband, können bis zu 40 Prozent der US-Bevölkerung zumindest manchmal nicht ein- oder durchschlafen. Auch in Deutschland gibt es das Problem. "Jeder zehnte Deutsche hat eine chronische Schlafstörung, die behandelt werden sollte", sagt der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Schlaf, Ingo Fietze. "Und jeder dritte kennt gelegentliche Schlafstörungen."

Nur ob Produkte wie die schweren Decken an Schlafproblem tatsächlich etwas ändern, ist umstritten. Bisher fehlen belastbare Studien, Fietze ist wenig überzeugt. Als "starken Tobak" bezeichnet er die angepriesenen Vorteile der Decke. "Humbug" sei das, zumindest für den Durchschnittsbürger.

Dabei wirkt Gravity mit seinem Produkt noch vergleichsweise bodenständig. Die Konkurrenz wartet mit teils deutlich schrilleren Ideen auf. So kann man sich mit Nebel besprühen, in dem das Schlafhormon Melatonin enthalten ist, oder eine White-Noise-Maschine ins Schlafzimmer stellen, die angeblich durch ihr monotones Rauschen entspannt. Und getönte Brillen sollen die Augen vor dem blauen Licht schützen, das uns aus dem Smartphone entgegenleuchtet, wenn wir vor dem Zubettgehen noch mal auf Facebook gucken. Das Licht stört die Melatoninproduktion, weil es den Körper an Sonnenschein erinnert.

Jetzt wird schon der Schlaf zu einer Art Leistungssport: Der Mensch muss funktionieren

Werbung machen all diese Firmen vor allem mit Fotos von erfolgreichen, ausgeschlafenen Menschen. Denn eigentlich geht es gar nicht um den Schlaf selbst, sondern vielmehr um unsere Leistung am nächsten Morgen. Auch noch die passivste aller Tätigkeiten soll mit Technik in einen Leistungssport verwandelt werden. Schlaf wird von einer Ruhephase, einem natürlichen Bedürfnis, zu einem Mittel degradiert, das vor allem dazu da ist, unsere Produktivität zu steigern.

Zur Lösung des eigentlichen Problems tragen Firmen wie Gravity wenig bei. Für sie ist Schlaflosigkeit vor allem ein großes Geschäft: Wer wegen Geldsorgen wach liegt, wird mit der schweren Decke kaum besser schlafen. Sie kostet mindestens 249 Dollar.

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