Schimpanse Robby:Urteil im Affenzirkus

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  • In Lüneburg ist ein bizarrer Rechsstreit um das Schicksal eines 47-jährigen Schimpansen zu Ende gegangen.
  • Jetzt steht fest: Robby, der nie artgerecht gehalten wurde, darf bei seinem Besitzer und im Circus Belly bleiben.
  • Tierschützer wollten den Menschenaffen in eine holländische Resozialisierungs-Einrichtung bringen lassen.

Von Peter Burghardt, Lüneburg

Am Tag, als mal wieder über sein Schicksal verhandelt wird, ist Robby zu Hause. Wie immer seit etwa 43 Jahren, fast sein ganzes Leben lang. In seinem Wagen, in seinem Gehege. Beim Circus Belly, der gerade in Mellendorf bei Hannover gastiert, auf einem Platz, der "Platz der Familie" heißt. Schöner Name übrigens, passend zu diesem irren Streit.

Es geht ja um die Frage, ob Robby bei seiner Familie bleiben darf, dem Circus Belly. Oder ob er auf seine alten Tage tatsächlich zu neuen Gefährten ziehen muss, denen er zwar von Natur aus nahesteht, mit denen er außer seiner Art aber praktisch gar nichts mehr gemein hat.

Robby wird an diesem Vormittag vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg nicht gehört. Wieder tagen in seinem Namen nur Menschen. Robby, geboren vor 47 Jahren in einem Zoo, ist ein Menschenaffe, der letzte in einem deutschen Zirkus. Über ihn wurde im Rahmen dieser bizarren Auseinandersetzung so viel geschrieben, gesendet und gestritten, dass man ihn als berühmt bezeichnen darf. Obwohl er kaum mehr wie früher mit Anzug und Roller in der Manege auftritt. "Robby muss bei der Familie bleiben", sagt tags vor dem Urteil mit knarzender Stimme der durchaus mitreißende Klaus Köhler, sein Ziehvater, der Direktor des Circus Belly. Köhler hat den Schimpansen aufgenommen, als er drei war, mit Flasche und Windel und mit seinen sechs eigenen Menschenkindern am Tisch. Er nennt ihn "mein siebtes Kind". Und jetzt soll Robby die Familie verlassen, soll Köhler ihn abgeben? In ein Affenheim in Holland? "Alcatraz", sagt Köhler.

Nein, verfügt die Kammer schließlich am Donnerstagnachmittag im Saal 1 vor den Köhlers, Beamten, Anwälten, Experten, Aktivisten und Journalisten. Robby muss im Herbst seines Affenlebens nicht in eine Art Auffanglager für Schimpansen umziehen, wie es die Tierrechtler wollten und mit ihnen die Behörden.

1971 wurde Robby geboren und von seiner Mutter verstoßen, seit 1975 wohnt er bei den Köhlers

Zwar werde Robby nicht artgerecht gehalten, erläutert der Vorsitzende Richter. Denn Schimpansen, so berichtet er, "bewegen sich in kleinen, umherstreifenden Gruppen", die Beziehungen könnten sich da ständig ändern. Robby dagegen wohnt halt seit circa 1975 bei Klaus Köhler, beim Circus Belly. Auch leide er unter Verhaltensstörungen, heißt es in der Urteilsbegründung. Aber ihn wegzugeben, das sei "nicht verhältnismäßig". Übersetzt: Es ergibt keinen Sinn, einen Menschenaffen, der mit Menschen und Hund groß geworden ist, nach fast einem halben Jahrhundert seinen Nächsten zu entreißen, um ihn in eine niederländische Einrichtung zur Resozialisierung verhaltensauffälliger Schimpansen zu schicken.

1971 wurde Robby geboren und von seiner Mutter verstoßen, seit 1975 wohnt er bei den Köhlers. Seit 2013 wird um ihn gezankt, mit Klagen, Gegenklagen, Gutachten, Prozessen, Demos, Verfügungen und nun dieser Berufungssitzung, die zugunsten von Klaus Köhler ausgegangen ist. Draußen vor dem Gebäude demonstrieren seit dem frühen Morgen diejenigen, die den Zwist vom Zaun gebrochen und immer wieder gegen den Circus Belly protestiert haben. "Rettet Robby", heißt die Kampagne der Vereinigung Peta, damit ging alles los. "Tiere raus aus dem Zirkus", steht nun auf Plakaten. In einem mitgebrachten Käfig sitzt eine als Affe verkleidete Person mit gestreiftem Sträflingshemd und einem Schild: "Unschuldig eingesperrt." Passt das zu einem Affen, der seit seiner Kindheit bei den Köhlers lebt?

Das Interesse ist jedenfalls enorm. Wann gibt es in dieser häufig affigen Welt mal ein Verfahren, das sich um einen leibhaftigen, wenn auch abwesenden Affen dreht?

Das Gericht dagegen gerät in einen juristischen Dschungelzirkus, mit Primaten haben Verwaltungsrichter gewöhnlich eher wenig zu tun. Vor ihnen sitzen auf der einen Seite ein sehr beamtenhafter Kreisrat aus Celle mit seinem Anwalt, sie wollen Robbys Ausnahmegenehmigung für den Circus Belly endgültig beenden und ihn resozialisieren lassen. Auf der anderen Seite sitzen der hoch emotionale Klaus Köhler, 70 Jahre alt, ein kleiner Mann mit Weste, Schnurrbart und nach hinten gegelten Haaren, seine Bremer Tierärztin Alexandra Dörnath sowie sein Anwalt, dem sie ständig Zettel mit Notizen reicht. In der Mitte sitzt ein Sachverständiger, der Robby mal ein paar Stunden lang begutachtet hatte.

"Als ob man mir ein Kind nimmt"

Man erfährt also, dass Robby ausgeglichen sei, gepflegt, kastriert und gut genährt und dass er unter keiner Krankheit leide. "Tiefenentspannt" sei Robby, erzählt in der Pause die Tierärztin Dörnath, die ihn 100 Tage lang untersucht und anhand von Speichelproben und Cortisolspiegel auch festgestellt hat, dass er unter keinerlei Stress leide. In Stress würde er bei einer Begegnung mit Schimpansen geraten, die er nicht kennt. "Was", fragt die Veterinärin, "ist artgemäß für ein Tier, das sich vielleicht für einen Menschen hält?"

Robby sei sehr auf Köhler fixiert, hat der Sachverständige beobachtet. "Ritualisiertes Fehlverhalten", nennt er das. Von einer Entwicklungsstörung und Leiden ist die Rede. Welche? Unklar. Einig sind sich die Parteien über die sogenannte "Fehlprägung", die zwangsläufig auftritt, wenn sich ein eigentlich wildes Tier unter Menschen entwickelt. Auch heißt es, dass nur 5,8 Prozent der Schimpansen Robbys Alter erreichen. Und dass bei so betagten Affen stets die Gefahr von Herzschwäche bestehe.

Köhler springt auf. "Es wird immer von Leid gesprochen", sagt er. "Darf ich aufstehen? Wenn ich das immer höre, das geht mir zu Herzen. Darf ich Ihnen was zeigen?" Er kramt Fotos hervor und reicht sie den Richtern. "Hier wird er gekitzelt, hier malt er." Die Richter kennen die Bilder und Videos von Robby, die ihn mit Köhler zeigen oder mit Ted, Köhlers Hund. Sie sollen die Gutachten und Geschichten mit dem Tierschutzgesetz in Einklang bringen, mit Paragrafen, die nicht für Primaten verfasst wurden. Es kommt die Frage auf, ob man statt von Bündnissen im Tierreich hier von einem "überartlichen Bündnis" sprechen könne, zwischen Mensch, Hund und Affe. "Ich bin kein Akademiker", sagt Köhler. "Aber kann Tierquälerei vorliegen bei Robby, der mit meinen Kindern aufgewachsen ist?" Seine Stimme bricht. "Eine Enteignung wäre, als ob man mir ein Kind nimmt."

Das pensionierte Affenkind wird ihm nicht genommen. "Robby wird ewig bei uns in der Familie bleiben", hat Klaus Köhler schon am Tag vorher prophezeit. An diesem Freitag ist wieder Vorstellung beim Circus Belly. Mit Robby? "Wissen Sie", sagt Köhler. "Robby ist ein alter Mann. Der braucht Auszeiten. Ich zwinge ihn ja nicht."

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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