Schiffsunglück:Pilgerfahrt statt Schiffsfriedhof

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Verkaufen statt verschrotten: Die El Salam Boccaccio fuhr 27 Jahre lang unter italienischer Flagge, dann zog man sie aus dem Verkehr - in Europa. So wie viele Fähren auf dem Roten Meer dürfte sie auf europäischen Routen gar nicht mehr verkehren.

Frank Behling

Eigentlich war die El Salam Boccaccio 98 schon lange alt genug für den Schiffsfriedhof gewesen: Nach 36 Einsatzjahren ist es in Europa aufgrund der strengen Sicherheitsauflagen fast unmöglich, ein Schiff noch im Liniendienst fahren zu lassen. Und auch wirtschaftlich gesehen lohnt es sich nicht.

Auf dem Roten Meer aber ist das anders: Auf den von Pilgern benutzten Routen zwischen Ägypten und Saudi-Arabien verkehren heute reihenweise Schiffe, die noch vor wenigen Jahren die Ostsee, den Ärmelkanal oder das westlichen Mittelmeer befuhren.

Denn weder Ägypten noch Saudi-Arabien haben sich am Pariser Übereinkommen zur Verbesserung der Schiffssicherheit beteiligt. Bei den durch dieses Abkommen geregelten so genannten Hafenstaatkontrollen werden die Schiffe in europäischen Häfen regelmäßig nach einem einheitlichen Standard kontrolliert. Schiffe mit Mängeln werden im Hafen festgehalten, ihre Namen im Internet veröffentlicht.

Möglicherweise wäre dies auch im Fall der El Salam Boccaccio 98 angezeigt gewesen. Sie wurde in Italien gebaut und am 30. Juni 1970 als Boccaccio in Dienst gestellt. Fast 27 Jahre lang pendelte das 131 Meter lange Schiff für die italienische Staatsreederei Tirrenia zwischen Neapel, Sardinien und Tunesien. Zusammen mit fünf Schwesterschiffen bildete sie das Rückgrat des Linienverkehrs von Neapel nach Sardinien und Sizilien.

1991 ließen die Italiener das Schiff erheblich umbauen. Drei Decks wurden oben auf das Brückendeck gebaut, der Schornstein höher gesetzt und zusätzliche Kabinen eingerichtet. Damit das Gewicht der zusätzlich aufgebauten Decks das Schiff nicht instabil werden ließ, wurden seinerzeit an die Seiten der Bordwand zusätzliche Tanks geschweißt, so genante Sponsens.

Die Nachfrage ist hoch - auch nach alten Fähren

Damit wollte man dem Schiff mehr Auftrieb geben. Lohnend aber war der Umbau nicht: Schon sechs Jahre später zogen die Italiener die Boccaccio aus dem Verkehr - die Konkurrenzunternehmen hatten neue Schiffe gekauft, Tirrenia musste mithalten.

Die von zwei Motoren angetriebene und bis zu 17 Knoten schnelle Fähre zu verschrotten, kam aber wegen der hohen Nachfrage auf dem Fährmarkt nicht in Frage. Über Makler wurde ein Käufer gesucht und schließlich 1999 in Kairo gefunden: Das Unternehmen "El Salam Maritime" aus Kairo kaufte die Fähre und holte sie am Ende nach Suez - zusammen mit drei von fünf Schwesterschiffen der Boccaccio.

Seit dem vergangenen Jahr pendelte die El Salam nun als Pilgerfähre über das Rote Meer. Nach ihrem Verkauf war sie zunächst auf verschiedenen Mittelmeer-Routen im Einsatz gewesen, etwa zwischen Beirut und Ancona. Zugelassen war die Fähre während ihrer Einsatzzeit in Italien laut Schiffsregister für 1100 Passagiere, für die in 288 Kabinen 913 Betten zur Verfügung standen.

In Ägypten aber wurde die Passagierkapazität kurzerhand auf 1400 gesteigert, indem man dort 300 so genannter Pullmann-Sitze einbaute. Mit zusätzlichen Rettungsbooten wurde das Schiff trotzdem nicht ausgerüstet.

© SZ vom 04.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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