Schauspielerin:Jean Seberg: Funkelnd bis zum Schluss

FRANCE-CINEMA-SEBERG

Jean Seberg 1957 in London.

(Foto: AFP)

Die politisch engagierte Schauspielerin starb am 30. August 1979 in Paris - mit 7,9 Promille Alkohol im Blut. Viel spricht für eine Verzweiflungstat. Und manche Indizien für Mord.

Von Josef Schnelle

"New York Herald Tribune" ruft eine Amerikanerin mit ultrakurzen Haaren auf den Champs-Élysées immer wieder. So lange, bis sich der Kleinkriminelle Michel - gespielt von Jean-Paul Belmondo - in sie verliebt und mit ihm das gesamte männliche europäische Kinopublikum des Jahres 1960.

"Außer Atem", die Geschichte eines kleinen Gangsters und der Amerikanerin im Ringel-T-Shirt, wurde zum stilbildenden Film der "Neuen Welle" des französischen Films und die Hauptdarstellerin Jean Seberg zu seiner konkurrenzlosen Ikone.

Damals war Jean 21 Jahre alt, aber sie war schon ein berühmter Filmstar, seit Otto Preminger sie 1957 für seine Variation der Geschichte der französischen Nationalheiligen "Johanna von Orléans" als Hauptdarstellerin aus 18 000 amerikanischen Jugendlichen herausgefischt hatte.

In "Außer Atem" ist sie aber nicht mehr das reine Opferlamm mit dem unschuldigen Blick. Am Ende verrät sie in Jean-Luc Godards Klassiker vielmehr ihren in die Liebe verliebten Geliebten an die Polizei und stürzt sich beherzt in die existenzialistische Suche nach sich selbst.

Eine ähnliche Figur hatte Jean Seberg schon als Jugendliche in Premingers zweitem Film mit ihr, "Bonjour Tristesse" nach Françoise Sagans Erfolgsroman, gespielt. Eine makellose Schönheit, die sich ebenso leidenschaftlich wie erfolglos nach der Liebe sehnt.

Auch in ihrem Privatleben stand Jean Seberg für den Zeitgeist der neuen, für die Männer oft irritierenden weiblichen Identität, die in der aus dem Talmud bekannten magischen Frauenfigur der "Lilith" ihren Ausdruck findet. Auch diese Figur hat Jean Seberg gespielt, in Robert Rossens gleichnamigem Film von 1964. Sie ist dort "himmelhoch jauchzend" und gleich wieder "zu Tode betrübt" an der Seite von Warren Beatty.

Im Visier des FBI

Die blonde Amerikanerin aus Marshalltown in Iowa hatte auch privat ein bewegtes Leben. 1962 heiratete sie in zweiter Ehe heimlich den Schriftsteller und Diplomaten Romain Gary, der 24 älter als sie war.

Enge Verbindungen pflegte sie außerdem zur Bewegung der afroamerikanischen "Black Panther Party" (BPP), der sie Geld spendete. Sie verliebte sich in ein Mitglied der Führungsriege, was das FBI von J. Edgar Hoover mit seiner Spezialeinheit COINTELPRO auf den Plan rief, die systematische Rufmordkampagnen an Regierungsgegnern betrieb.

Als Jean Seberg schwanger wurde, streute das FBI Gerüchte, ihr Kind werde wohl schwarz sein. Als Unterstützerin der Black Panther Party sollte sie, so heißt es in einem Dokument des FBI von 1970, "neutralisiert" werden.

Das Kind starb nach der Frühgeburt im siebten Monat. Auch das Begräbnis war ein Spektakel: 150 Fotografen umringten den gläsernen Sarg, in dem Jean Seberg ihr erkennbar weißes Kind bestatten ließ.

Am Tag danach gab das FBI die versuchte Verleumdung zu. Das illegale Geheimprogramm COINTELPRO wurde 1971 aufgelöst. Ein Ausschuss des US-Senats stellte später fest, dass Jean Seberg illegal abgehört worden war.

Das größte Rätsel gibt aber ihr plötzlicher Tod mit nur 40 Jahren auf. Am 29. August 1979 wurde die Schauspielerin zum letzten Mal lebend gesehen. Zehn Tage später fand sie ein Fußgänger im 16. Arrondissement von Paris in einem geparkten Auto tot und unbekleidet, nur in eine Decke gehüllt.

Mehr Alkohol im Blut, als ein Mensch sich zuführen kann

Aber schon der Alkoholgehalt von 7,9 Promille in ihrem Blut ließ die ersten Vermutungen sprießen, es habe sich um einen kaltblütigen Mord gehandelt. Schon ab vier Promille fällt ein Mensch normalerweise ins Koma und kann sich daher diese Menge Alkohol gar nicht allein zugeführt haben.

Außerdem wurden Schlafmittel bei ihr nachgewiesen, und auch der eher kümmerliche Abschiedsbrief warf eine Menge Fragen auf. Als einziges Auto in der Straße war der Wagen frei von jedem Laub und wirkte deswegen so, als sei er schon mit der Leiche dort geparkt worden.

Mehrere Dokumentarfilme beschäftigen sich mit dem dramatischen Ende der Schauspielerin. In "Jean Seberg, American Actress" versichert die Ärztin Marion Bouilhet, dass sie kurz vor dem wahrscheinlichen Todeszeitpunkt am Telefon noch mit Jean Seberg gesprochen habe. Diese habe im Gespräch äußerst nüchtern geklungen.

Die Black Panther Party schrieb vielsagend: "Wir wissen durch unsere abschließende Analyse, dass das FBI Jean Seberg in den Tod getrieben hat." Auch Ex-Ehemann Romain Gary ging stets von Mord aus. Doch der Tod der Schauspielerin, die auf dem Pariser Friedhof Montparnasse beigesetzt wurde, bleibt ein Mysterium.

Mord oder Verzweiflungstat? Tatsache ist, dass sie mehrere Selbstmordversuche unternommen hatte. Und dass ihr die Rufmordkampagne schwer zugesetzt hatte - so sehr, dass ihre Karriere daran zerbrach. Am letzten Tag, an dem sie gesichtet wurde, hatte sie die Premiere von "Die Liebe einer Frau" besucht.

Das Drehbuch der Geschichte seiner Liebesbeziehung zu Jean Seberg stammte von Romain Gary, die Hauptrolle spielte Romy Schneider.

Der Ex-Mann erschoss sich ein Jahr später

Jean Seberg soll, Augenzeugen zufolge, äußerst gekränkt das Kino verlassen haben. Gründe genug für einen Selbstmord gab es also. Romain Gary erschoss sich übrigens 1980 in Paris.

Inzwischen hat der Sohn Alexandre die Beziehung seiner Eltern in einem Buch verarbeitet, in dem er die "zerbrechliche Schönheit" seiner Mutter beschreibt und ihr außergewöhnliches "Funkeln" preist.

Dieses Funkeln ist in den Filmen mit Jean Seberg erhalten geblieben; es wirkt weiter fort. Sie hat diesen fesselnden, beinahe kalten Blick, aber zugleich brennt in ihr die Leidenschaft. Die Leidenschaft der "heiligen Johanna" der Nouvelle Vague.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: