Saviano und die Mafia:Der Lohn ist Angst

Die Camorra plant offenbar, Roberto Saviano bis Weihnachten zu töten. Jetzt zweifelt der italienische Schriftsteller am Sinn seiner Mafia-Enthüllungen.

Stefan Ulrich, Rom

Seit genau zwei Jahren führt der italienische Schriftsteller Roberto Saviano ein gepanzertes Leben. Er ist Tag und Nacht von bewaffneten Carabinieri umgeben, wechselt immer wieder seine Wohnung, und wenn er irgendwo auftreten möchte, muss die Polizei zuvor gründlichst das Terrain sondieren.

Saviano und die Mafia: Hat einen mörderischen Feind: Die Mafia plant offenbar, den Schriftsteller Roberto Saviano zu töten.

Hat einen mörderischen Feind: Die Mafia plant offenbar, den Schriftsteller Roberto Saviano zu töten.

(Foto: Foto: AP)

Dieses Leben "hat mich zu einem schlechteren Menschen werden lassen", sagte der 29 Jahre alte Autor jetzt dem Sender Radiotre. Von Obsessionen verfolgt, verschlossen und misstrauisch sei er geworden. Auch wisse er nicht, ob er seinen Camorra-Bestseller "Gomorrha", der ihm so viel Ruhm und Ärger eingebracht hat, nochmals schreiben würde.

"War es das wert?"

"Jeden Morgen frage ich mich, warum ich das gemacht habe, und finde keine Antwort, weiß nicht, ob es das wert war." Seine Zweifel sind nur zu verständlich: Ein Kronzeuge verriet nun der Polizei, der Camorra-Clan der Casalesi plane, den Autor bis Weihnachten in die Luft zu sprengen.

Als Saviano im Jahr 2006 sein apokalyptisches Enthüllungswerk über die Mafiaclans im Großraum Neapel veröffentlichte, wusste er, dass er sich damit einen mörderischen Feind schuf. Die Bekanntheit aber, zu der ihm "Gomorrha" verhalf, schien auch ein Schutz zu sein.

Mehr als 1,2 Millionen Mal verkaufte sich das Buch in Italien, in 42 anderen Ländern erschien es in Übersetzungen. Die Verfilmung von Gomorrha gewann diesen Mai bei den Filmfestspielen in Cannes den Großen Preis der Jury und vertritt nun Italien im Wettbewerb um einen Oscar für den besten ausländischen Streifen. Die Camorra kalkuliert daher kühl, was ihr mehr Ärger bringt: ein lebender oder ein toter Roberto Saviano.

Anscheinend haben sich die Bosse inzwischen entschieden. Wie jetzt aus den Ermittlungen der Justiz bekannt wurde, beschlossen die Häupter der Casalesi-Familien, den jungen Schriftsteller mit dem kahl rasierten Kopf und dem markanten Gesicht noch dieses Jahr zu töten.

Spektakuläres Attentat geplant

Geplant ist demnach ein spektakuläres Attentat mit Sprengstoff und Fernzünder auf der Autobahn zwischen Rom und Neapel, die Saviano häufig mit seiner Eskorte benutzt. Sein Buch habe zu viel Wirbel ausgelöst, sagte ein Informant der Polizei. Der Mordplan befinde sich in der "operativen Phase". Die Polizei will den Schutz für Saviano daher noch verstärken. Medienberichten zufolge wird sogar überlegt, ihn zur Sicherheit vorübergehend ins Ausland zu bringen.

Die Informationen über das Mord-Komplott werden jedenfalls sehr ernst genommen, schließlich ist der Zeuge nicht irgendein reuiger Mafioso. Indiskretionen zufolge handelt es sich um Carmine S., einen Cousin des Bosses der Casalesi, Francesco Schiavone, genannt Sandokan. Dieser sitzt zwar seit vielen Jahren im Gefängnis, versucht von dort aber weiter, den Clan zu lenken.

Sein Cousin arbeitet seit 1993 mit der Polizei zusammen und wirkte als Kronzeuge im sogenannten Spartacus-Prozess mit. Das Verfahren ging vor kurzem mit der Verurteilung mehrerer Bosse, darunter Sandokan, zu lebenslanger Haft zu Ende. Auch als abtrünniger Mafioso verfügt der Zeuge, der mit neuer Identität in Mittelitalien lebt, offenbar noch immer über beste Einblicke in die Camorra-Szene. So will er von den Mordplänen erfahren haben.

Camorra fordert Staat heraus

Die Idee eines Autobahn-Anschlags weckt in Italien Erinnerungen an den 23.Mai 1992. Damals wurden auf einer Autobahn bei Palermo der legendäre Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone, dessen Frau und drei Leibwächter von einer halben Tonne Sprengstoff zerrissen. Das Verbrechen markierte eine der großen Niederlagen des italienischen Staates im Kampf gegen die Cosa Nostra.

Eine ähnliche Tat ist heute der Camorra zuzutrauen, auch wenn sie den Staat damit erneut offen herausfordern würde. Ein Teil des Casalesi-Clans betreibt schon seit Monaten eine blutige Offensive mit zahlreichen Morden gegen Mafia-Abtrünnige, Unternehmer, die kein Schutzgeld bezahlen, und illegale Einwanderer, die sich der Camorra widersetzen.

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Der Lohn ist Angst

Zuletzt massakrierten die Casalesi sechs Schwarze in aller Öffentlichkeit in einer Stadt bei Neapel. Im Gegenzug schickte die Regierung Hunderte zusätzliche Sicherheitskräfte in die Region. Etliche Verdächtige wurden festgenommen. Die Casalesi, die nach ihrer Hochburg Casal di Principe bei Caserta benannt wurden, sind nervös.

Saviano aber lässt nicht nach, in Artikeln und Interviews die Camorra und ihre Helfer in der Politik mutig anzuprangern. Das bringt ihm in der Öffentlichkeit viel Unterstützung ein.

Keine Rückkehr in ein normales Leben

So erklärten sich am Dienstag in Rom mehrere Politiker der regierenden Rechten wie der oppositionellen Linken mit dem Schriftsteller solidarisch und forderten zu seinem Schutz auf. Oppositionsführer Walter Veltroni sagte, es sei nicht hinnehmbar, dass in Italien ein Schriftsteller in Todesgefahr und unter ständigem Personenschutz leben müsse, weil er ein Buch geschrieben habe. Er werde seine ganze Demokratische Partei für den Bedrohten mobilisieren.

An eine Rückkehr in ein normales Leben ist für Saviano vorläufig nicht zu denken. Vielmehr muss er seine Tage auch weiterhin vor allem mit seinen sieben Leibwächtern verbringen, die ihn scherzhaft ihren "Capitano" nennen.

Er selbst mache mit seinen "Ragazzi" viel Sport, vor allem Boxen, erzählte er jetzt. Außerdem koche er oft und erfinde Rezepte. Auf die nun bekannt gewordenen Mordpläne der Casalesi reagiert der Mann aus Neapel gelassen: "Was soll ich tun? Alles geht weiter wie bisher. Ich habe keine andere Wahl als zu widerstehen, zu widerstehen und zu widerstehen."

Savianos Tatsachenroman Gomorrha findet derweil immer noch mehr Käufer und hält damit den öffentlichen Druck auf die Camorra aufrecht. Der Autor meint bescheiden: "Nicht ich, sondern die Leser machen den kriminellen Mächten Angst."

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