Corona und Satire:Spaß mit Grenzen

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Hupen statt Klatschen: Hazel Brugger zum Beispiel ist für eine Show ins Autokino ausgewichen. Die Umstände waren grotesker als so manche ihrer Pointen. (Foto: Peter Hauser/PR)

Christoph Grissemann mit Unterhose im Gesicht und Hazel Brugger im Autokino: Humor in Krisenzeiten, das ist alles andere als einfach. Und doch verlangt das Publikum gerade jetzt nach unterhaltsamer Zerstreuung.

Von Martin Zips

" Audience Response Duplicator", so nannte der US-amerikanische Toningenieur Charles Douglass in den Fünfzigerjahren seine wegweisende Erfindung. Eine Lach- und Klatschmaschine für TV-Sitcoms ohne Publikum. So eine Art humoristischer Geschmacksverstärker. Im Fernsehen war der "Audience Response Duplicator" zuletzt etwas aus der Mode gekommen. Nun kehrt er zurück.

Es ist verrückt in diesen Corona-Tagen. Einerseits herrscht gerade jetzt eine große Nachfrage nach Unterhaltung. Comedy-Formate verzeichnen Rekordquoten. Andererseits: Ist so ein Oliver Welke, der sich ganz ohne Live-Publikum in der " Heute Show" vom Zuschauerrang entweder selber applaudiert oder, ganz nach Douglass-Art, aus irgendeiner Konserve beklatschen lässt, nicht fürchterlich traurig?

Zum 40. Jubiläum von "Verstehen Sie Spaß?" rissen kürzlich Komiker wie Bülent Ceylan vor einem halben Dutzend Studio-Menschen ihre harmlosen Witzchen. Ja, selbst der ohnehin schon traurige "ZDF-Fernsehgarten" muss ohne die Geräuschkulisse von massenhaft an Klapptischen sitzenden Rentnern auskommen. Da und dort wird so etwas wie der "Audience Response Duplicator" angeschmissen. Bei den Shows "Masked Singer" oder "Let's dance" etwa. Man fühlt sich in die Zeit von Muppet Show und Mr. Bean zurückversetzt.

Humor bedeutet wörtlich: Feuchtigkeit

Humor ist Kopfsache. Und: Auch Humor ist in der Krise. Das lateinische Wort bedeutet ja "Feuchtigkeit" und bezeichnet ebenjenen Körpersaft, der uns laut der antiken Temperamentenlehre des Galenos von Pergamon eigentlich heiter machen soll. Aber laut Galenos gibt es auch noch andere Säfte. Eben die, die einen melancholisch, phlegmatisch oder cholerisch werden lassen. Und die durchströmen uns derzeit deutlich mehr.

"Meine Fernsehsendungen wurden fast alle abgesagt", erzählt der deutsch-französische Kabarettist Emmanuel Peterfalvi, dessen Auftragsbücher als Franzose "Alfons" zuletzt prall gefüllt waren. "Eine gewisse Existenzangst ist da, denn ich verdiene momentan so gut wie kein Geld mehr." In der Satire-Sendung "Die Anstalt" war zuletzt allein Peterfalvis Gesicht zu sehen. Zugeschaltet, auf dem Bildschirm eines fahrbaren Roboters mit orange-blauer Trainingsjacke. Hier schwärmte Alfons von den Vögeln, die in Paris-Orly wieder zu hören seien, seit der Flughafen ruht.

"Corona-Witze sind überhaupt nicht das, was mich treibt", meint Peterfalvi. Viel mehr interessierten ihn die Affen im Zoo, die sich zuletzt vielleicht fragten: "Wozu sollen wir Saltos machen, wenn sowieso niemand zuguckt?" Die Affen müssten sich fühlen wie ein Kabarettist ohne Zuschauer, glaubt er. "Corona macht einem bewusst, wie das Publikum - nicht nur die Lacher, sondern auch die Gesichter, die einfach nur zuhören, gespannt, entsetzt, traurig sind - wie das alles wichtig ist für den Wir-Moment."

Ortswechsel. Das Wiener Fernsehstudio, in dem die Satiresendung "Willkommen Österreich" wöchentlich aufgezeichnet wird. "Diese Maskenpflicht ist lästig. Man hat ständig das Gefühl, dass man Unterwäsche im Gesicht hat", murmelt Christoph Grissemann, versteckt hinter einer Zeitung, zu Beginn der Sendung. Sein Kompagnon Dirk Stermann, von ihm durch eine Plexiglaswand getrennt, blickt zu ihm herüber und sagt: "Du hast Unterwäsche im Gesicht." Als Grissemann die Zeitung absenkt, sieht man, dass er tatsächlich eine Unterhose am Kopf trägt. Ein Lacher, klar. Doch es ist nichts zu hören.

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"Wir zeichnen ohne Publikum auf", sagt später Christoph Grissemann. "Mich erinnert das an alte Radiozeiten. Man feuert sozusagen ins Leere. Aber das hat auch Vorteile. Es ist intimer, und der Regisseur klagt nicht über schlechte Stimmung im Saal. Lacher vom Band waren bei uns nie ein Thema. Das ist unerträglich peinlich. Stille ist doch herrlich. Auch nach Witzen." Maskierte Kameramänner seien für ihn am Arbeitsplatz das einzig Neue - "und unangenehm nah an Menschen stand ich ohnehin nie".

Ebenso wie Stermann und Grissemann kennen sich auch Thomas Gottschalk und Günther Jauch aus alten Radiozeiten. Gottschalk meinte dieser Tage, dass er überhaupt kein Problem mit Applaus vom Band habe, wie er beispielsweise während der "Jauch-Gottschalk-Schöneberger-Show" auf RTL eingesetzt wird. Vor der Kamera, so Gottschalk, habe er zeitlebens eh immer nur das gemacht, "was ich ohnehin auch ohne Publikum gemacht hätte". Applaus vom Band störe ihn nur dann, wenn dieser, hahaha, aus einer Show von Günther Jauch stamme (welcher sich bei "Wer wird Millionär?" derzeit von einem kläglichen Rest weit auseinander sitzender Studiogäste beklatschen lässt).

Witze über Ohrenschmalz, hahaha!

Radio, das heißt heute Podcast und verfügt über so heitere Sprechmaschinen wie Jan Böhmermann und Olli Schulz, die sich auf Spotify über Ohrenschmalz, Hausboote oder das Schneiden von Fußnägeln lustig machen. Ohne eingespielte Lacher, also schon etwas würdevoller als bei RTL. Noch geistreicher geht es beim österreichischen Kabarettisten Severin Groebner auf Youtube zu. Der Titel seines Videoblogs (" Dekamerone 2020") ist eine Anspielung auf das Buch von Giovanni Boccaccio aus dem 14. Jahrhundert. Damals erzählten sich vor der Pest Geflüchtete in der Quarantäne unterhaltsame Geschichten. Heute warnt Groebner: "Lachen ist gefährlich. Gerade für die Risikogruppe älterer Menschen, die schon lange nicht gelacht haben."

Humor bleibt eine gefragte Hausmedizin in Zeiten von Firmenpleiten, drohender Armut und Massenarbeitslosigkeit. Eine Medizin für den Geist, welche den Menschen das Anstehen beim Friseur, den bei Anne Will aus dem Flachbildschirm dozierenden Söder und die längst verfallenen Theaterkarten für kurze Zeit vergessen lässt.

Krisen waren oft ein guter Nährboden für Spaß. Als Tscheche, so befand kürzlich der Autor Jaroslav Rudiš ("Winterbergs letzte Reise"), habe man nur deshalb das 20. Jahrhundert überlebt, weil man "in den schlimmsten Zeiten" Witze über die Nazis und die Sowjets gemacht habe. Das helfe, auch bei der Bewältigung einer Pandemie. "Fäule, Feuchtigkeit oder feiner Humor bringen immer wieder Leben hervor", so heißt es bei Joachim Ringelnatz.

Doch guter Humor ist gerade gar nicht einfach. Dass zum Beispiel das Virus "wie die Pasta" ist, wie kürzlich der chinesische Künstler Ai Weiwei meinte (" Die Chinesen haben sie erfunden und die Italiener haben sie verbreitet"), das kam gar nicht gut an.

Trockenhefe für die nächsten 380 Jahre

"Wenn Menschen sterben, macht man darüber besser keine Gags", meint der seit SWF3-Zeiten bekannte Hörfunk-Satiriker Michael Wirbitzky. "Aber über Leute, deren Trockenhefevorrat bis ins Jahr 2400 reichen wird, darf man sich schon lustig machen." Vier Stunden ist Wirbitzky täglich mit seinem Kollegen Sascha Zeus beim SWR auf Sendung. Leichter sei ihr Job durch die Pandemie nicht geworden. "Die Krise betrifft alle Lebensbereiche", sagt Wirbitzky. "Das macht die Witzsuche schwierig."

Manchmal sind dieser Tage die Umstände grotesker als die Pointen. Die Schweizer Komödiantin Hazel Brugger etwa versuchte ihr Glück kürzlich, weil nichts anderes mehr ging, mit einer Show im Autokino Eschweiler. Von den Fans gab's da Gehupe statt Geklatsche. Aber immerhin nicht vom Band. Und Bülent Ceylan empfängt sein Publikum zum Beispiel am Parkplatz P7 des Rhein-Neckar-Zentrums Viernheim.

"Für mich ist diese Zeit eher eine Einladung zum Nachdenken", meint "Alfons" Emmanuel Peterfalvi. "Über meinen Beruf, über das, was ich machen will, und generell über Humor." Derzeit überlege er, bei sich zu Hause, in Hamburg, ein kleines Videostudio einzurichten. "Denn es könnte sein, dass es noch dauert, bis ich wieder auf Tournee gehe."

Laut Aristoteles ist es vor allem das Missgeschick der anderen, welches uns zum Lachen bringt. Bei Cicero der unerwartete Blick und bei Freud die Entladung von etwas Unterdrücktem. In Corona-Zeiten spielt all das zusammen. Klar ist: Wer es tatsächlich schaffen sollte, uns gerade jetzt ein Lächeln abzuringen, ganz ohne Lachmaschine, der ist schon echt ein Held.

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