SARS:Den Tod im Kalkül

Ärzte debattieren weltweit, wie sich die Gefahr durch SARS berechnen lässt.

(SZ vom 08.05.03) - Als wäre die Lungenkrankheit SARS nicht schon bedrohlich genug, kam nun aus Hongkong die Nachricht, dass Mediziner sie womöglich unterschätzt haben. Fast jeder Fünfte sterbe an der Krankheit, berichtete ein Team um den britischen Statistiker Roy Anderson im Fachblatt Lancet; bei den über 60-Jährigen, die in Hongkongs Kliniken behandelt worden seien, liege die Todesrate über 43 Prozent, bei den jüngeren über 13 Prozent.

Nach bisherigen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die so genannte Letalität, also die Zahl der Gestorbenen bezogen auf die Zahl der Erkrankten, seit der Entdeckung von SARS von zwei Prozent auf mehr als sieben Prozent gestiegen.

Doch dieser Sprung bedeute nicht zwingend, dass SARS gefährlicher geworden sei, betonen die Experten. "Solche Berechnungen sind eher als Größenordnung zu sehen. Sie zeigen in jedem Fall, dass SARS eine sehr ernst zu nehmende Erkrankung ist", sagt Walter Haas vom Robert-Koch-Institut in Berlin.

Das Lungenleiden sei aber eine "junge" Krankheit, über die man noch zu wenig wisse. Außerdem steckten viele Unbekannte in der Statistik, durch die sich die Zahlen verändern könnten. So ist zum Beispiel unklar, wer eigentlich ein SARS-Fall ist.

Die Definition ist weit gefasst

Auch der Anderson-Bericht aus Hongkong weist darauf hin, dass Krankenhauspatienten am schwersten betroffen sind. Es gebe sicherlich auch Kranke, die so leichte Symptome hätten, dass sie nicht zum Arzt gingen. Es sei auch möglich, dass manche Personen sich zwar mit dem Virus infizierten, aber überhaupt keine Symptome hätten.

Beides würde die rechnerische Letalität senken. "Genauere Aussagen wird man vermutlich erst machen können, wenn man die Krankheit genauer diagnostizieren kann", sagt Haas. Denn die offizielle Definition von SARS, mit der die Statistiker rechnen, ist momentan sehr weit gefasst.

Sie beruht nicht auf einem Nachweis des Erregers, sondern auf Symptomen wie Fieber und auf Röntgenbildern der Lunge. Das ist sinnvoll, wenn die Krankheit eingedämmt werden soll: Dann zählt man lieber einige Patienten zu viel hinzu als einen zu übersehen. Aber die Statistik leidet darunter. "Fände man einheitlichere Tests, sähen die Zahlen anders aus", sagt Haas.

Symptome erst nach 14 Tagen

Sinnvoll seien die Berechnungen aber in jedem Fall: Wer verschiedene Modelle durchspiele, lerne etwas über eine Krankheit. Daher begrüßt auch die WHO Andersons Daten, der auch neue Werte für die Ansteckungszeit berechnet hat. Demnach bekommt der größte Teil der Infizierten erst nach mehr als 14 Tagen Symptome.

Bisher hatte man mit durchschnittlich sechs Tagen gerechnet. Vertreter der WHO betonten daraufhin, sie würden die Empfehlungen für die Quarantäne noch einmal überarbeiten und die Zeit womöglich verlängern. Einig sind sich die Experten darin, dass auch die neuen, bedrohlicheren Zahlen kein Anlass zur Panik seien, vor allem nicht für die Menschen in Deutschland. "Die Sterblichkeit hängt immer stark von dem Land ab, in dem man sich ansteckt und behandelt wird", sagt Walter Haas.

Wo es bisher kaum Fälle gebe, könnten die Ärzte sich besser vorbereiten und mehr Informationen über die Krankheit sammeln. Außerdem könne sich das Leiden selbst noch verändern. Das SARS-Virus muss sich an die Stärken und Schwächen der menschlichen Immunabwehr gewöhnen und kann dann harmloser werden, oder noch gefährlicher.

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