Debatte in Großbritannien:"Jede Frau, die du kennst, hatte schon einmal Angst"

Debatte in Großbritannien: In Deal in der südostenglischen Grafschaft Kent bewachen Polizisten das Haus eines verdächtigen Kollegen.

In Deal in der südostenglischen Grafschaft Kent bewachen Polizisten das Haus eines verdächtigen Kollegen.

(Foto: BEN STANSALL/AFP)

In London verschwindet die 33-jährige Sarah E., verdächtigt wird ein Polizist, der schon früher aufgefallen sein soll. Nun debattiert Großbritannien über die Sicherheit von Frauen.

Von Alexander Menden

Seit die 33-jährige Sarah E. in London auf dem Nachhauseweg verschwunden ist, debattiert Großbritannien. In den sozialen Medien schildern Tausende Frauen ihre Befürchtungen, wenn sie abends allein unterwegs sind. Die Sportreporterin Rachel Brookes twitterte etwa: "Jede Frau, die du kennst, hat schon mal einen anderen Weg genommen. Jede Frau, die du kennst, hat Schlüssel zur Selbstverteidigung in der Hand. Jede Frau, die du kennst, hat schon mal so getan, als ob sie telefoniert. Jede Frau, die du kennst, ist um die Ecke gebogen und dann losgerannt. Jede Frau, die du kennst, hatte schon einmal Angst, während sie die Straße entlanglief."

Marketing-Expertin Sarah E. war am 3. März nach einem Treffen mit einer Freundin abends in London-Clapham zu Fuß aufgebrochen. Etwa 15 der 50 Gehminuten zu ihrem Haus in Brixton telefonierte sie mit ihrem Freund und verabredete sich mit ihm für den darauffolgenden Tag. Um 21.30 Uhr nahm die Sicherheitskamera eines Hauses sie auf, danach verliert sich ihre Spur.

Ihr Freund kontaktierte die Polizei am 4. März, als Sarah E. nicht zu der Verabredung erschien. Am 9. März wurde in Deal in der südostenglischen Grafschaft Kent ein Mann wegen des Verdachts der Entführung verhaftet. Es handelte sich bei dem 48-Jährigen um einen Beamten der Metropolitan Police, der zum Zeitpunkt seiner Verhaftung nicht im Dienst war. Am darauffolgenden Tag fand die Polizei in einem Waldstück bei Ashford, das ebenfalls in Kent liegt, die Überreste eines menschlichen Körpers.

Am Freitagnachmittag ist die Identifizierung abgeschlossen: Bei der gefundenen Leiche handelt es sich um Sarah E., der Polizist wird nun des Mordes verdächtigt. Eine wegen Beihilfe festgenommene Frau, bei der es sich um die Ehefrau des Verdächtigen handeln soll, kam dagegen gegen Kaution auf freien Fuß.

Polizist soll vorher schon aufgefallen sein

Wie inzwischen herauskam, ist es nicht das erste Mal, dass der Polizist auffällig wurde, er soll sich drei Tage vor dem Verschwinden von Sarah E. in einem Fast-Food-Restaurant in Südlondon entblößt haben. In den Fall hat sich mittlerweile auch die Polizeiaufsichtsbehörde eingeschaltet. Es werde untersucht, ob die Londoner Beamten korrekt auf eine Anzeige gegen den Tatverdächtigen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses reagiert haben, teilte die Behörde mit.

Der Mann war zwischenzeitlich in einem Krankenhaus behandelt worden, weil er sich in Haft eine Kopfverletzung zugezogen hatte. Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick sagte, die Tatsache, dass es sich bei dem Verhafteten um einen Kollegen handele, habe "Schockwellen und Wut" bei der Metropolitan Police ausgelöst. Sie kündigte eine umfassende Untersuchung durch die zuständige Behörde an, das "Independent Office for Police Conduct".

Derweil geht die Sicherheitsdebatte weiter. An diesem Samstag planen landesweit Tausende Frauen eine Mahnwache. Fast jede junge Frau in Großbritannien gibt laut der UN-Organisation für Geschlechtergerechtigkeit (UN Women UK) an, schon einmal in der Öffentlichkeit sexuell belästigt worden. Die Labour-Abgeordnete Jess Phillips bezeichnete Gewalt gegen Frauen als "Epidemie", zu deren Bekämpfung mehr Ressourcen eingesetzt werden müssten.

Wahllose Angriffe auf der Straße seien zwar selten, so Phillips. Aber Gewalt an sich sei "kein seltenes Verbrechen". "Seit Sarah in der vergangenen Woche verschwand", erklärte die Frauenpolitische Sprecherin der Labour-Fraktion im britischen Unterhaus, "sind sechs Frauen und ein kleines Mädchen von einem Mann umgebracht worden." Die britische Regierung hat derweil ein Gesetz angekündigt, das helfen soll, Gewalt gegen Frauen und Mädchen einzudämmen.

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