Süddeutsche Zeitung

Sarah Connor:Die Märchen-Schwester

Sie macht Musik, Fernsehen und Mode und viel Geld. Sie wird ausgelacht und angehimmelt. Ein Erklärungsversuch des größten deutschen Pop-Phänomens.

Kerstin Weng

Sarah Connor hat Angst, denn sie soll sterben: Der Killer, der sie verfolgt, ist groß, hat übermenschliche Kräfte und kennt keine Gnade. Denn er ist ein Killerroboter, der auf sie programmiert ist...

Mittlerweile denken nur noch wenige an diese Szene, wenn sie den Namen "Sarah Connor" hören. Die meisten denken an Sarah Lewe. So heißt nämlich die deutsche Sängerin Sarah Connor in Wirklichkeit.Dass sie denselben Namen trägt wie Linda Hamilton in den populären "Terminator-Filmen", ist Zufall, wie sie beteuert: "Das ist gar nicht mein Genre Film. Ich habe mich ehrlich nicht nach dieser Frau in ,Terminator' benannt, sondern nach meinen irisch-amerikanischen Vorfahren."

Konzentriert, freundlich und sehr blond

Ein bewölkter Novembernachmittag im 21. Stock, der Vip-Etage des Münchner Hotels Arabella Sheraton. Draußen geht Franz Beckenbauer vorbei, drinnen in einer Suite sitzt konzentriert, freundlich und sehr blond die erfolgreichste Popsängerin Deutschlands: die Haare artig hochgesteckt, die Nägel rot lackiert, am dafür vorgesehenen Finger schimmert der Ehering, um den Hals ein Goldkettchen. Alles ist an seinem Platz.

Und wer dann noch beobachtet, wie damenhaft sie einen Fruchtspieß verzehrt, hat für einen Augenblick vergessen, dass diese Frau in PVC-Hüfthosen bekannt geworden ist, die ihr vom Schambein rutschen, während sie Sexliedchen sang, die so platt waren wie das Bundesland Niedersachsen, aus dem sie stammt.

Wenn Sarah Connor Plastik-Schambeinhosen trägt, werden sie an diesem Nachmittag von ihrem beigefarbenen Pulli verdeckt, der sehr weit und lang ist und um dessen Ausschnitt sich eine weihnachtliche Goldbordüre kräuselt, ganz dezent, wie zufällig, aber auch nur wie, denn Sarah Connor sitzt hier, um ihr Weihnachtsalbum zu promoten. Und zwischen vielen gezierten Schlucken aus dem Latte Macchiato-Glas freundlich, aber routiniert Antworten abzuspulen. So wie die über ihren Künstlernamen.

Von einem Fettnapf zum nächsten

Seit vier Jahren steht sie in der Öffentlichkeit. Rund fünf Millionen Platten hat sie verkauft, vor allem im deutschsprachigen Raum. Ihre Fans sind meistens weiblich und sehr jung. Menschen, die die siebte Klasse hinter sich haben, lästern lieber über die 25-Jährige. Das Blondchen, das Blödchen, das toll singen kann, dabei immer von einem Fettnapf in den nächsten unterwegs ist, das Gutes tut und den Menschen vertrauensvoll Tür und Tor öffnet - und dann erschrocken "Huch! "macht, wenn es Schlagzeilen verursacht.

Dass Sarah Connor eine Trittbrettfahrerin ist, kann ihr hingegen keiner vorwerfen. Weder hat sie sich an einen prominenten Menschen gehängt, um bekannt zu werden, noch moderiert sie eine drittklassige Spätabendsendung, die sie eigentlich nie machen wollte. Sie treibt sich nicht verzweifelt auf jeder Party herum, um nur ja fotografiert zu werden.

In diesen Wochen schließt sich für Sarah Connor ein Kreis. Vielleicht findet ja sogar eine Art Läuterung statt: Ihre Karriere gipfelt nämlich nicht nur in ihrer neuen Weihnachtsplatte. Sie begann auch mal mit einer.

Vielmehr mit einem Demoband, auf das Sarah, damals noch Lewe, mit druckvoller Stimme einen deutschen Weihnachtsliedklassiker aus dem 19. Jahrhundert gesungen hatte, nämlich: "Leise rieselt der Schnee". Das Band adressierte sie an einen Musikproduzenten und steckte es in ihrer Heimatstadt Delmenhorst in den Briefkasten. Der Produzent entdeckte ihr Potenzial - und wenig später hatte Sarah Connor ihren ersten Hit: "Let's get back to bed boy."

Schmettern und mit den Hüften wackeln

Aber wie gesagt, die Zeit der Sünde scheint erst mal vorbei zu sein, oder, wie das Fleisch in einem Hamburger, eingemantelt - zwischen frohen Weihnachtsscheiben und erwachsenen Einsichten über das Leben. Andächtig gibt sie auch die eine oder andere Familienweisheit preis: "Wenn du was machst, dann mach es richtig und mit all deinem Herzen, hat mein Vater immer gesagt."

Sarah Connor macht das, was sie macht, gut und gern: Popsongs schmettern, mit den Hüften wackeln und sich ab und an gewaltig blamieren. Es begann mit ihrem Auftritt bei "Wetten, dass...?" vor drei Jahren, in einem rostrotfarbenen Kleid. Nicht nur hatte es ein unschmeichelhaftes Flammenmotiv, sondern auch transparente Seitenteile.

Neben Stil-Individualist Thomas Gottschalk fällt außergewöhnliche Garderobe sonst nicht so ins Gewicht, Sarah Connor aber bekam es am nächsten Tag knüppelhart. Schlagzeile über Schlagzeile, und in jeder kam "Höschen" oder "Schlüpfer" vor; nicht gut für eine, die sich gerade national profilieren will.

Ein anderes Mal sagte sie dem Sender MTV, Jennifer Lopez könne nicht singen; nicht gut für eine, die international Karriere machen will. Und wir erinnern uns an die Nationalhymne in Sarahs Version, in der Deutschland im "Lichte" vor sich hin "brüht" anstatt "im Glanze zu blühen".

Doch trotz oder vielleicht sogar wegen der jeweils folgenden Häme wurde sie immer berühmter. Spricht man sie heute auf das Kleiderdebakel an, rollt sie die Augen und stöhnt. "Ich fand das Kleid anscheinend damals ganz schön. Aber ich hätte es wohl vorher besser mal anprobieren sollen." Ein Kleid, das man vor einem Millionenpublikum in Deutschlands erfolgreichster Samstagabend-Show tragen will, nicht vorher anzuprobieren, ist schon ein wenig dumm, oder?

Zielstrebig und ehrgeizig

Kommt darauf an, wie man damit umgeht. Sarah Connor hat das Kleid werbewirksam versteigert, den Erlös von immerhin 5050 Euro einer Stiftung gespendet, die Musiktherapie bei Kindern anwendet. Und heute sagt sie: "Ich wollte eben immer meinen Kopf durchsetzen, habe nicht auf andere gehört."

Mittlerweile ist sie 25 und nimmt Ratschläge an. Sie setzt sich in einer Peta-Kampagne für Kosmetika ohne Tierversuche ein und engagiert sich für Unicef und ja, auch für die Politik. Zwar saß sie nie bei Maybrit Illner, um über den Abbau der Eigenheimzulage zu diskutieren, aber bei der Bundestagswahl 2002 warb sie mit ihrer Popularität für die Nutzung des Wahlrechts. Lauter gute Sachen.

Sarah ist zielstrebig und ehrgeizig. Aber anscheinend nur, wenn kein Journalist dabei ist. Ihre erste Bühnenerfahrung sammelte sie im Alter von 15 Jahren in einem Musical, und sie nahm klassischen Gesangsunterricht.

Wenn man sie nach dem Grund für ihre steile Karriere fragt, windet sie sich wie beschämt auf ihrem Stilmöbel und hält sich ihr Macchiato-Glas vors Gesicht: "Ich kann gar nichts dazu sagen. Ich habe keine Strategie bei dem, was ich tue. Ich bin so, wie ich bin", sagt sie und macht dazu die Schultern hoch, runter, hoch, runter.

In vier Jahren hat Sarah Connor sich ein schmuckes Häuschen in Florida ersungen, einen Hummer-Luxusjeep, ein Zimmer voller Auszeichnungen, eine Villa in Wildeshausen bei Delmenhorst. In der wohnt sie zusammen mit ihrem amerikanischen Mann, dem Sänger Marc Terenzi. Er kommt ab und zu herein, gibt ihr ein Küsschen und führt Sarah Garderobe für eine anstehende Abendveranstaltung vor. Heute will er einen schwarzen Anzug tragen. "Great", sagt Sarah.

Kurz bevor Marc wieder verschwindet, zeigt er ihr noch explizit, wie gut die Hose am Hintern sitzt. Neben Terenzi und seinen Spaßvogeleien gehören zu Sarahs Leben auch noch Sohn Tyler und Katze Mino. Ihre Villa hat einen kleinen Teich und einen Spielplatz. Fast schon spießig hört sich das an, wenn man daran denkt, wie Sarah vor einigen Jahren noch mit Wyclef Jean über "One Night Stands" sang.

Auf ihrem Weihnachtsalbum singt sie das "Ave Maria". Das wollte Sarah extra schön singen, für ihre Oma, "weil die es so gerne mag." Sie ist Enkelin, Tochter, Mutter, Ehefrau. Und Sex-Engel. Das Cover von "Christmas in my heart" zeigt Sarah mit Zöpfen, nur von einem weißen Kuschelschal und einer noch weißeren Bettdecke umhüllt.

"Ich bin reifer geworden, erwachsener. Mit Anfang 20 war ich wild, lernte viele Jungs kennen und spielte mit meinen weiblichen Reizen. Diese Zeiten sind vorbei", erklärt sie und zieht den weiten Ausschnitt ihres Pullovers wieder in eine unverfängliche Lage zurück.

So viele Gerüchte

Gar nicht verstörend, nein verständlich, dass ihr zwischen so vielen Rollen hin und wieder mal ein "Fuck you" entschlüpft, wenn sie sauer ist auf ihren Mann Marc Terenzi, weil der mal wieder nicht staubsaugen mag.

Um solche privaten Details zu erfahren, musste man im Frühjahr Pro Sieben schauen. Jeden Dienstag strahlte der Privatsender die Reality-Soap "Sarah and Marc in Love" aus. Roter Faden: die Hochzeitsvorbereitungen für die große Trauung der beiden Popstars in Spanien.

Die eigene Heirat zu verkaufen ist gewagt. Connor sagt dazu dasselbe, was alle Prominenten sagen, die ihr Privates an die Öffentlichkeit tragen: "Es waren so viele Gerüchte über unser Privatleben im Umlauf, dass Marc und ich beschlossen haben, aktiv etwas zu machen. Wir wollten aber keine Homestory, in der wir kurz mal unsere Gardinen in die Kamera halten. Deswegen haben wir uns auf diese Serie geeinigt, damit die Leute sehen können, wie es wirklich bei uns ist."

Die Wirklichkeit also ist so, dass Marc in Plüschschlappen durchs Haus schlurft und Sarah sich beim Lieferservice einen neuen Schweinebraten holen muss, weil der eigene ihr verbrannt ist. Ganz normal sollten sie offenbar rüberkommen, und tatsächlich sah ihr Reichtum nach dem Durchschnittsgehalt der Deutschen aus. Kein Wunder, dass viele ganz normale Leute Gefallen an der Serie fanden. Durchschnittlich sahen 2,64 Millionen zu.

Mischung aus Sex und Tollpatschigkeit

Die Mischung aus Sex und Tollpatschigkeit bei geordneten Verhältnissen ist in Deutschland beliebt und hat schon Verona Feldbusch zum Erfolg verholfen. Aber das war in den übersättigten Neunzigern. Heute steht den Menschen der Sinn weniger nach Gaga, mehr nach Bodenständigkeit. Eine wie Victoria Beckham, die sich mit Koketterien wie "Ich habe noch nie ein Buch gelesen" in die Zeitungen bringt, findet Sarah Connor peinlich.

Zwar liest sie selbst auch nicht viel, "aus Zeitgründen", aber wenn, dann 566 Seiten-Wälzer wie den Geschichtsroman "Die Päpstin". Und jede Woche den Spiegel. Und dass die Großen über sie lachen wollen, und die Kleinen davon träumen, so wie sie zu sein - nun, das ist nicht die schlechteste Aussichtsplattform, wenn man nicht gerade zur Grübelei neigt.

Wer sich von mehr als zweieinhalb Millionen Menschen bei seinen miesen Kochkünsten und auch beim Hochzeitskuss von einer Fernsehkamera über die Schulter gucken lässt, schätzt Privatsphäre nicht so hoch ein, oder?

"Doch, auf jeden Fall!" Die roten Fingernägel wedeln durch die Luft, als seien sie nicht trocken. "Mir ist mein Privatleben sehr wichtig. Nach wie vor. Ich bin froh, dass Marc und ich wieder alleine sind. Diese Serie war zwar sehr erfrischend, es hat auch großen Spaß gemacht. Aber eine zweite Staffel steht nicht zur Debatte!"

So ganz konnte Sarah den Wunsch von Pro Sieben nach einer Weihnachtsshow mit den Connors aber nicht abschlagen. Diesen Mittwoch kam das Weihnachtsspecial von "Sarah and Marc in Love". Das wurde aber nicht im eigenen Wohnzimmer aufgenommen, sondern in einer Hütte in den Bergen. Und es gibt darin auch keine tränenreichen Aussprachen mit Mama Soraya zu sehen, sondern Werbung für das Weihnachtsalbum in kuscheliger, pseudo-intimer Winterstimmung.

Gezielte Präsenz, keine Überdosis

Es scheint, als würde Sarah, Tochter eines Werbeexperten, ganz gut wissen, was und wie viel man wann am besten verkaufen kann. Es scheint, als hätte sie ein gutes Gespür für jenen Medienrythmus, in dem eine Schlagzeile vorbereitet, destilliert, hochgekocht und dann ausgeschlachtet wird.

Nach der großen Hochzeitsserie gab es für die angeheizten Fans eine Tournee, und Terenzi veröffentlichte sein erstes Album. Danach zog sich Sarah wieder ein bisschen zurück und verteilt nun hier und da gezielte Präsenz. Keine Überdosis, immer nur so viel, dass sie nicht in Vergessenheit gerät. Und ab und zu ein kleiner Patzer.

Sarah Connor macht keine Werbung für irgendein Produkt, wie Verona Pooth oder Heidi Klum: "Wenn ich kommerzielle Werbung im TV mache, will ich hundert Prozent hinter dem Produkt stehen. Das muss ja schließlich glaubhaft sein. Mich hat das richtige Unternehmen einfach noch nicht gefragt!" Und was wäre das richtige Unternehmen? "Eins, von dessen Produkten ich wirklich persönlich überzeugt bin."

Was sie nicht erwähnt, ist: Sie hat das richtige Produkt längst gefunden, nämlich sich selbst, rückengedeckt von großen Konzernen. Bei der Firma LR International hat sie eine eigene Pflegelinie namens "Sarah Connor Beauty Skin Feeling". Pünktlich gelauncht Anfang November, um auch auf vielen Wunschzetteln zu stehen. Die dazu passende Duftserie gibt es schon seit 2003.

Für das Versandhaus "Otto" hat die Sängerin eine klitzekleine Kollektion "ausgearbeitet": eine Jeans, ein Abendkleid und ein Tank-Top. Plus einen mp3-Player. Den musste Sarah gar nicht designen, sondern nur ihr Autogramm draufsetzen. Sarah selber trug das Kleid bei ihrer Tour und die Jeans in ihrer Serie. Und, wie kamen sie so an, die Connor-Teile?

Den Bambi gab es nicht. Noch nicht

"Die Kollektion von Sarah war ein Erfolg", sagt Otto-Pressesprecherin Nicola Schleicher. Was sich von den Teilen am besten verkaufte, will sie aber nicht mehr sagen. Das sei "ein firmeninternes Geheimnis". Nun gut.

Derzeit wird geprüft, ob Sarah Connor nicht auch noch ein paar inoffiziellere Werbeverträge laufen hat. Ermittler im aktuellen Schleichwerbungsskandal fanden es nämlich sehr auffällig, wie Sarah und Marc beim heimischen Waffelbacken einen gewissen Fertigteig verwendeten. Und auch bei einem Besuch im Möbelgeschäft soll hinter Marc das gelb-blaue Logo eines schwedischen Konzerns oft sehr deutlich zu sehen gewesen sein.

Zu einem Erfolg wie dem von Sarah Connor gehört aber auch Demut an der richtigen Stelle. Am Tag der Bambiverleihung Anfang des Monats sagte die Nominierte: "Sollten Marc und ich den Bambi für das TV-Ereignis des Jahres wegen unserer Serie kriegen, wäre das schon ein komisches Gefühl. Wir haben doch nur geheiratet."

Den Bambi gab es dann wirklich nicht. Zumindest nicht in diesem Jahr. Denn soviele Popprinzessinnen hat Deutschland nicht. Diese ist jedenfalls schlau genug, zu wissen, dass die Deutschen seit Jahrhunderten immer wieder dieselben Märchen hören und lieben. Wie zum Beispiel jenes, das von einem blonden deutschen Dummchen handelt, das strategielos durch sein Leben stolpert. Und mit immer noch mehr Glück belohnt wird.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.924130
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZaW, 17.12.2005
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.