Süddeutsche Zeitung

Samuel Koch:"Ich habe mich damals gefragt: Wer bin ich denn jetzt noch?"

Lesezeit: 3 Min.

Zehn Jahre nach seinem Unfall bei "Wetten, dass..?" spricht Samuel Koch über den Promi-Bonus - und sein Leben als Schwerbehinderter in einer Leistungsgesellschaft.

Interview von Franziska von Malsen

Es war der 4. Dezember 2010, als sich Samuel Koch, damals 23 Jahre alt, in der ZDF-Show "Wetten, dass..?" vor einem Millionenpublikum das Genick brach. Der Leistungsturner und Schauspielstudent hatte gewettet, mit speziellen Sprungstiefeln Salti über fahrende Autos schlagen zu können, und war dabei gestürzt. Seither ist er vom Hals abwärts gelähmt. Nach seiner Reha setzte er sein Studium fort und ist heute festes Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim.

SZ: Herr Koch, Ihr Unfall liegt nun genau zehn Jahre zurück. Viele Menschen wollen in Schicksalsschlägen - zumindest dann, wenn es andere trifft - gern auch eine Chance sehen statt nur Leid. Zum Beispiel die Chance zu verstehen, was einem wirklich wichtig ist, und sein Leben dann danach auszurichten. Wie sehen Sie das?

Samuel Koch: Da würde ich erst mal zurückfragen: Braucht es das wirklich? Ich hatte auch unabhängig von und vor meinem Unfall Momente, in denen ich reflektiert habe und mit mir selbst ins Gespräch gegangen bin.

Und was hat Sie da mit Anfang zwanzig beschäftigt?

Ich habe mich zum Beispiel gefragt, was der Sport für mich bedeutet, ob ich mein Leben nur mit Sport in der Balance halten kann. Ich habe während meines Schauspielstudiums jeden Abend im Leistungszentrum trainiert. Erst recht an Tagen, an denen es mir schlecht ging. Weil ich wusste: Spätestens nach fünf Minuten Aufwärmen auf dem Riesentrampolin bin ich wieder gut drauf.

Trampolinspringen gegen schlechte Laune: Klingt doch großartig. Was soll daran bedenklich sein?

Na, ich habe mich schon gefragt: Ist das noch normal, dass ich meine Gefühle immer durch Sport reguliere? Was bedeutet das? Aber ich fand dann auch, das ist in Ordnung - dass ich mir mit Sport, also als Akrobat und Artist, ein bisschen was dazuverdiene und Menschen eine Freude mache. Ich dachte: Ja, Sport ist mir superwichtig, ist doch gut. Und außerdem habe ich auch andere Dinge, die mich zufrieden machen. Das war so meine Selbstvergewisserung. Dass das dann wenig später so hart auf die Probe gestellt würde, damit hatte ich nicht gerechnet.

Aber ist es dann nicht doch so, dass Ihr Unfall Sie gezwungen hat, über sich selbst hinauszuwachsen?

Ich bin nicht sicher, ob ich das so sehen will. Der Chefarzt in meiner Reha-Klinik damals, der hat viele Menschen wie mich erlebt. Und mir gesagt: "Wer vor seinem Unfall ein Idiot war, ist auch nach seinem Unfall ein Idiot." Und umgekehrt: Wer reflektiert war, bleibt es auch. Deshalb glaube ich nicht, dass es zwingend einen schlimmen Unfall braucht, um zu hinterfragen, was im Leben wirklich zählt.

Die Querschnittlähmung hat Ihnen ja nicht nur den Sport geraubt, sondern Ihre Selbständigkeit und Freiheit noch dazu.

Zumindest meine vermeintliche Freiheit. Und natürlich habe ich mich damals gefragt: Wer bin ich denn jetzt noch? Und was bin ich noch wert, wenn ich jetzt so gar nichts mehr leisten kann, zumindest nicht so offensichtlich im Sinne unserer Leistungsgesellschaft? Was, wenn ich keinen Anschluss mehr finde an unsere schnelllebige, wirtschaftswahnsinnige Gesellschaft? Und ich fürchte, dass die Zahl derer, die wegen harter Lebensumstände verbittern, depressiv werden und zu Hause bleiben, viel höher ist als die Zahl derer, die dann ihr Leben wenden, rausgehen und davon erzählen. Viele haben dafür gar nicht die Möglichkeiten und Chancen. Eben weil unsere Gesellschaft so auf das "Schneller, höher, weiter" konditioniert ist. Da bleiben viele auf der Strecke, das ist eine Katastrophe.

Schneller, höher, weiter - so waren ja auch die Wetten bei "Wetten, dass..?" angelegt. Polemisch gefragt: Wenn schon ein Unfall, dann wenigstens vor Millionenpublikum?

Natürlich hat mir das viel Aufmerksamkeit beschert. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, bei einem anständigen Wettkampf einen Unfall zu haben, statt in einer Fernsehshow. Das ist für einen Kunstturner blamabel, die hart erarbeiten Fähigkeiten für so was herzugeben und sich dann ausgerechnet dabei das Genick zu brechen.

Trotzdem hatten Sie es durch Ihre Bekanntheit wohl einfacher als andere.

Klar. Meine Bücher "StehaufMensch!" oder "Rolle vorwärts" hätten es kaum auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft, und ich wäre auch nicht so gut wieder ins Arbeitsleben eingestiegen. Aber es hat nicht nur Vorteile. Zum Beispiel prüfen Kostenträger meine Anträge auf Hilfsmittel ganz besonders genau, damit ja nicht der Verdacht einer Vorzugsbehandlung aufkommen kann.

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