Süddeutsche Zeitung

Sadomaso-Prozess in Potsdam:Geschichte der P.

Tod in der Gothic-Szene: Ein Wissenschaftler soll eine Internet-Bekanntschaft mit einer Bratpfanne geschlagen und erwürgt haben. Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt.

Uta Eisenhardt

Südwestlich von Potsdam liegt ein Gelände mit verfallenen Backsteinbauten aus der Kaiserzeit, die Beelitzer Heilstätten. Der Charme der Ruinen begeistert die Liebhaber morbider Foto-Motive. Sie inszenieren hier Sadomaso-Szenen, Fetisch- und Horror-Bilder.

Einer dieser Fotografen war der promovierte Flugsaurierforscher Michael F., der am 28. Juli 2008 für Schlagzeilen sorgte: Er hatte seine Sex-Partnerin bei einer gespielten Vergewaltigung erwürgt. Unabsichtlich sei dies geschehen, er habe die 20-Jährige schließlich geliebt, sagte er der Polizei. Man glaubte dem Mainzer zunächst, doch bald ergaben sich Zweifel an der Unfall-Version.

Seit April sitzt er als Angeklagter vor dem Landgericht Potsdam. Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt. Staatsanwalt Jörg Möbius wirft dem heute 39-Jährigen Mord und Störung der Totenruhe vor. In einer Ferienwohnung nahe der Beelitzer Heilstätten habe er die Schlafende zweimal mit einer Bratpfanne auf den Kopf geschlagen und sie dann erwürgt. Dann habe er sich an der Toten vergangen.

Der stämmige, rotblonde Brillenträger beharrt auf der Unfall-Version. "Bin ich gut zu verstehen?", fragt er beim Prozessauftakt ins Saal-Mikrofon. Dann beginnt eine fünfstündige Vorlesung. Pathetisch und selbstverliebt äußert er sich über Tod und Sex, über Friedhöfe und Fesselspiele, über Computer und Christentum, über Models und Moral. Und er spricht über seine Beziehung zu Anja P., deren Vornamen er permanent wiederholt - es wirkt wie eine akustische Besitzanzeige.

Schläge mit der Bratpfanne

An jenem Samstagabend, an dem sich das Paar nach monatelangem Chat das erste Mal in Wirklichkeit begegnete, legten sich die beiden aufs Bett. Er habe ihre Augen mit einem Tuch verbunden, sie hätten sich gegenseitig stimuliert. Den Geschlechtsverkehr wollten sie sich für das Vergewaltigungsspiel am nächsten Morgen aufheben.

Dann hätten sie die Steaks gegessen, die er in der Pfanne gebraten hatte. Dabei hätten sie über eine gemeinsame Bekannte gelästert, der ein paar Schläge auf den Hinterkopf ganz gut tun würden. Ob sie in die Rolle der Bekannten schlüpfen solle, habe Anja P. ihn gefragt. Später zog sie das Nachthemd an, das F. ihr gekauft hatte.

Am Sonntagmorgen sei er erwacht, seine Partnerin schlief. Er habe einmal mit der Bratpfanne auf ihren Kopf geschlagen. Dann habe er sie gewürgt, nicht länger als verantwortbare 30 Sekunden - darauf beharrt der Angeklagte. Er habe der Reglosen dann das Nachthemd mit einem bereitgelegten Messer aufgeschnitten und mit ihr kopuliert. Erst nach seinem Orgasmus will er ihren Tod bemerkt haben.

Panisch habe er versucht, sie wiederzubeleben. Als dies scheiterte, habe er sich betrinken und umbringen wollen. Er packte seine Sachen, wusch die Pfanne ab, schrieb fünf Abschiedsbriefe und einen Brief an die Polizei. Dazu legte er seinen und Anjas Personalausweis. Doch es sei ihm weder gelungen, seine Pulsadern zu öffnen, noch sich mit seinen Schnürsenkeln am Bett zu strangulieren oder mit einer Plastiktüte zu ersticken. Vor dem Sprung von einer Ruine habe ihn der Mut verlassen.

Stattdessen verschickte er am Montagvormittag Botschaften über den Tod der jungen Frau: "Es ist bei einer unserer gemeinsamen Vorlieben passiert", schrieb er einer Bekannten. "Irgend etwas ist dabei schiefgegangen. Es war unser beider Abgrund, in dem ich sie verloren habe." Die Angeschriebenen alarmierten die Polizei, die F.s Handy ortete.

Sie sagte ihm, sie wolle entführt und vergewaltigt werden

Akribisch untersuchte nun das Landgericht Potsdam das Sexualleben des Angeklagten, befragte unter Ausschluss der Öffentlichkeit dessen Ex-Freundinnen und schaute sich einige von Tausenden Videos von dessen Computer an. Auf diesen soll die Tötung von Frauen mit anschließendem Sex dargestellt sein.

Im Mai 2008 kam Michael F. mit der schlanken Blondine über die "Modelkartei" in Kontakt. Diese Internetplattform nutzen Hobby-Fotografen und Models aller Couleur. Sie verabreden sich zu Shootings und diskutieren ihre Bilder. Viele tragen einen Spitznamen: Das Hobby-Model Anja P. nannte sich "nesthel", der Angeklagte "cly bawn". Sie schwärmte für seine Fotos, er für ihre Posen als Model. Das war Balsam für die naive, selbstunsichere Frau, die sich erst seit wenigen Monaten in der Gothic- und Sadomaso-Szene bewegte. Sie gestand ihm, sie habe kranke Phantasien, wolle entführt und vergewaltigt werden.

In stundenlangen Chats diskutierten die beiden ihre erotischen Vorlieben: Anja P. stellte sich vor, sie sei gefesselt, während er sie würge. Sie schrieb, sie habe Angst, aber es bereite ihr Lust, ihr Leben in die Hände eines Fremden zu legen. Er ergänzte, sie solle bei ihm das Fliegen lernen. Er wolle sie auffangen. Sie meinte, er solle nicht zu viel von ihr erwarten.

Das erste Geschenk: Ein Ring der Unterwerfung

Drei Wochen vor ihrem Tod versteckte F. für sie einen Schatz in Beelitz. Die junge Frau sollte allein suchen, doch sie nahm ihre beste Freundin und ihren Freund Jan D. mit. Als ihre Begleiter das Gefundene erkannten, waren sie entsetzt. Es war ein sogenannter Ring der O, benannt nach dem berühmten sadomasochistischen Roman "Geschichte der O" von Dominique Aury, ein Fingerring mit einer aufgesetzten Kugel, die von einem kleinen, beweglichen Ring durchbohrt ist.

Wer ihn am rechten Ringfinger trägt, signalisiert seinem Herrn die Unterwerfung. Beide Freunde meinten, sie fänden es komisch, diesen von jemandem anzunehmen, den man nur vom Internet kennt. "Für mich war es viel zu viel", sagt Anjas Freundin dem Gericht. "Da würde ich Panik bekommen. Man unterwirft sich nur jemandem, dem man hundertprozentig vertraut."

Die Beschenkte fühlte sich unwohl in dieser Situation, erinnert sich ein Zeuge, der den Disput mitbekam. Ihren Freunden versprach sie, den Ring nicht anzunehmen. Der Schenker sei sowieso nicht ihr Typ.

Tatsächlich aber trug sie ihn beim Chat mit F., das konnte er in der Webcam sehen. Er verschenke einen solchen Ring zum ersten Mal, schrieb er ihr. Er solle nicht so "psycho" gucken, tippte die junge Frau in ihre Tastatur. "Ich bin psycho", lautete die Antwort. Sie fragte: "Du bringst mich doch nicht wirklich um?" Er schrieb: "Das wäre viel zu schade." Anja P. fragte, ob er ihr bei dem geplanten Treffen auch nicht weh tun würde? Sie ergänzte: "Wenn's passiert, was soll's? Sterben muss eh jeder. Vergewaltigungen machen mir ja Spaß. Du kannst ja dann auf meinem Grabstein tanzen."

Unfall, Beihilfe zum Selbstmord oder Totschlag?

War die junge Frau todessehnsüchtig? Nein, sagen eine Ermittlerin und ein Ex-Freund von Anja P. "Sie hat darüber nachgedacht, aber sie wollte noch viel unternehmen", so der junge Mann. Sie habe sich zuletzt isoliert gefühlt: Ihre beste Freundin würde sie bevormunden, genauso ihr Freund Jan D. Am Montag vor ihrem Tod beendete sie die Beziehung zu ihm per SMS. Dennoch war sie traurig, als er sich nicht bei ihr meldete.

Jan D. beschreibt seine Freundin als zwiespältige Persönlichkeit, die ihre Familie nicht in ihre Probleme einweihte: "Sie hat zwei Leben geführt." Ihre Ausbildung zur Speditionskauffrau habe ihr keinen Spaß gemacht. Noch mehr allerdings litt die junge Frau unter den traumatischen Erfahrungen ihrer ersten Beziehung, in der sie geschlagen und vergewaltigt worden sei, erinnert sich der Student: "Sie war traurig, verletzt und innerlich stark zerbrochen."

Er bestätigt die sexuellen Vorlieben seiner Freundin für Kratzen, Fesseln und gespielte Vergewaltigungen. Auch Würgen mochte sie, allerdings habe die Andeutung schon gereicht. "Sie konnte nicht mal zehn Sekunden die Luft anhalten", so ein weiterer Ex-Freund von Anja P. Sie mochte aber weder Schläge noch Schnitte, das versichern beide Männer.

Opfer war neu in der Gothic-Szene

Die Ermordete wohnte bei ihren Eltern im brandenburgischen Zossen. Ihre Tochter habe nicht erzählt, dass sie als 17-Jährige vergewaltigt wurde, sagt Constanze P. Den Eltern sei aber deren Vorliebe für Mystik und Gothic nicht entgangen: "Wir haben sie gebeten, nicht mit ihren schwarzen Sachen durchs Dorf zu flitzen", sagt die 49-jährige Bauingenieurin. "Wir waren der Meinung, sie wollte sich damit von der Masse absetzen. In der Gothic-Szene fand ein Ausleben statt - zu unserer Zeit trugen die Jungs eben lange Haare."

Am Tag vor ihrem Tod verabschiedete sich die junge Frau von ihren Eltern in Richtung Beelitz. "Es sollte eine Party stattfinden, mehr so eine Art Picknick. Sie übernachte bei Freunden", erinnert sich die Mutter. Ihr fiel Anjas Nervosität auf. Diese habe nur einmal von ihrem Croissant abgebissen. Dann stellte ihre Tochter Obst und Kuchen in ihr kleines Auto, außerdem nahm sie Engelsflügel und Schminkzeug mit.

Treffen auf einem SM-Fotoshooting

Sie war an diesem Samstag zunächst mit zwei Modellen und dem Fotografen "photosmart" verabredet. Anja bewunderte dessen Motiv "Suicide Angel", das sie gern mit ihm realisieren wollte. Zuerst aber sollte eine Entführung nebst Vergewaltigung mit viel Kunstblut aufgenommen werden. "photosmart" wollte von der jungen Frau einen grimmigen Blick: "Aber sie war eine Frohnatur, sie konnte nicht böse gucken." Er wusste, dass Anja sich anschließend mit "cly bawn" treffen und bei ihm übernachten wollte.

Er habe ihr davon abgeraten, SM-Spiele hätte er den beiden schon gar nicht beim ersten Treffen empfohlen: "Da gehört schon eine Menge Vertrauen dazu."

Am späten Nachmittag erschien "cly bawn" auf dem Set. Innig, verschmust und händchenhaltend hätten sich die beiden gegeben, sagen die Zeugen. Anja saß wie eine Katze auf den Knien, schlang ihre Arme um F.s Beine und lehnte den Kopf an ihn. Er stand vor ihr und streichelte sie. "Sie wirkten sehr vertraut", sagt eines der Modelle. "nesthel sah sehr glücklich und verliebt aus."

Dies bestätigt den einvernehmlichen Sex, doch die Unfalltheorie wird von einer Rechtsmedizinerin widerlegt. Mit stumpfer Gewalt sei auf beide Kopfseiten des Opfers eingewirkt worden. Möglicherweise begünstigte dies den Tod, so die Gutachterin. Anja P. sei dann sehr kräftig und mindestens zwei Minuten lang gewürgt worden. Nach ihrem Tod wurde sie mit einem Gegenstand im Vaginalbereich verletzt. Außerdem fanden die Kriminaltechniker Spuren, die für einen postmortalen Oralsex sprechen.

Gutachter glaubt nicht an den Unfalltod

Völlig erschüttert wird die Unfalltod-Version jedoch vom psychiatrischen Gutachter. Jens Köhler spricht von einer Störung der sexuellen Vorlieben des Angeklagten. Dieser habe lange Zeit seine eingeengte, ich-zentrierte Sexualität unter anderem mit dem Sammeln nekrophiler Pornos in eine Parallelwelt gedrängt - "bis es nicht mehr ging". Der Anblick der schwachen, willen- und bewusstlosen Anja P. habe zu einem "Switch" geführt. "Er wurde von seiner sexuellen Erregung überrannt", so der Gutachter. "Das, was über Jahre phantasiert wurde, brach auf und musste umgesetzt werden."

Er bescheinigt dem Angeklagten eine verminderte Steuerungsfähigkeit und hält ihn für gefährlich: "Die Ersttat entwickelt einen libidinösen Trieb, einen Sog."

F. kann zwar nicht wie andere Mörder zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden - er wird aber eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe in einer Psychiatrie für Rechtsbrecher verbüßen müssen. Diese kann er nur mit einem positiven Gutachten verlassen. Da solch "biologisch determinierte Störungen" nur schlecht behandelbar sind, so Köhler, bedeutet dies für den Wissenschaftler wohl einen Verschluss bis an sein Lebensende.

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