S-Bahn-Chaos in Berlin:Loch im Netz

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Der Berliner Nahverkehr macht sich bereit für die Notlage - an diesem Montag fallen in der Hauptstadt Hunderte S-Bahnen aus.

Michael Bauchmüller

Rote S-Bahnen kennt der Berliner nicht. In der Hauptstadt sind die Züge von fahlem Gelb, mit einem roten Streifen, seit Urzeiten schon. Normalerweise. Aber was ist schon normal in diesen Tagen, in denen das Eisenbahnbundesamt die Berliner Züge in die Werkstätten trommelt, um Achsen zu prüfen und Räder auszutauschen?

Wegen Sicherheitsüberprüfungen und dem Austausch von Rädern an rund 500 Doppelwagen kann von Montag an nur noch jeder dritte S-Bahn-Zug eingesetzt werden. (Foto: Foto: dpa)

Also fahren durch Berlin nun auch ein paar rote Münchner S-Bahnen mit original Münchner Lokführern. In Windeseile herbeigeschafft, sollen sie Entlastung schaffen - unterwegs im neuen Nord-Süd-Tunnel der Stadt, der den Hauptbahnhof mit dem Retorten-Bahnhof Südkreuz verbindet.

An den chaotischen Zuständen aber wird dies nicht viel ändern. Die S-Bahn ist das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs, sie verbindet insbesondere die Vorstädte untereinander und mit dem Zentrum, bis hinaus nach Potsdam. Wie ein Kreis um ein gigantisches Kreuz entlastet sie die Straßen der Hauptstadt.

Doch auf der meistbefahrenen Strecke, der von Ost nach West, verkehrt von diesem Montag an kein einziger S-Bahn-Zug mehr. 70 Prozent der Züge werden für die nächsten drei Wochen ausfallen, mindestens. Erst im Dezember wird der Fahrplan wieder im Takt sein, erwartet die Betreiberin der Berliner S-Bahn, die Deutsche Bahn. "Dafür setzen wir alle verfügbaren Kräfte ein", sagt Ulrich Homburg, Chef des Personenverkehrs. "Aber die Talsohle ist erreicht" - schlimmer wird's nimmer.

Hintergrund der Sicherheitsvorgaben ist ein Unglück am 1. Mai: Ein Zug der Linie 5 war entgleist, kurz vor der Einfahrt in einen Vorstadt-Bahnhof. Am hintersten Wagen war ein stählernes Rad gebrochen. Hätte es zu einem der vorderen Wagen gehört, hätten die Folgen gravierend sein können.

Merkwürdig blieben die Umstände des Risses in der Radscheibe. Eigentlich hätte der Wagen im April in die Werkstatt gemusst, zur Hauptuntersuchung. Doch der Termin wurde um ein Jahr verschoben, der betroffene Zug vom Typ 481 galt als wenig störanfällig. Und niemand entdeckte den Riss. Das Eisenbahnbundesamt, zuständig für die Sicherheit auf deutschen Gleisen, ordnete Untersuchungen an - und machte sich an die Überprüfung der Räder und Achsen der Berliner S-Bahnen. Das Management der S-Bahn wurde derweil ausgetauscht.

"Erste Festigkeitsberechnungen" und weitere Funde angerissener Radscheiben haben mittlerweile bei den Beamten der Bonner Bundesbehörde Alarm ausgelöst. Vor allem die Räder an der vordersten Achse müssen nun häufiger ausgetauscht werden, rund alle vier Jahre. Auch für die anderen Achsen verschärfte die Behörde den Turnus. De facto aber heißt das, dass nun alle Berliner S-Bahnen in die vier Werkstätten rund um Berlin müssen. Und ein Radwechsel bei Zügen dauert deutlich länger als jener bei Autos. Auch müssten die Räder der S-Bahnen künftig einmal die Woche von zwei "qualifizierten Sichtprüfern" kontrolliert werden, verhängte das Amt.

Für die Bahn sind Achsen und Räder ohnehin inzwischen eine Art Fluch geworden. Nach der Entgleisung eines ICE im Kölner Hauptbahnhof vor einem Jahr gelten schon erheblich strengere Auflagen für die Prüfung der Hochgeschwindigkeits-Achsen. Monatelang fuhr die Bahn auf diversen Strecken mit Notfahrplänen.

Nun droht schon die nächste Auflage des Eisenbahnbundesamtes, diesmal für die Güterzüge. Nach dem verheerenden Unglück im italienischen Viareggio vor drei Wochen will man sichergehen, dass in Deutschland kein Rad und keine Achse einen Güterzug entgleisen lassen kann. Schon bangt die Bahn, der komplette Güterverkehr auf der Schiene könnte zum Erliegen kommen - unsicherer Stähle wegen.

In Berlin müht sich die Bahn derweil um das Verständnis ihrer Kunden. Auf den Bahnhöfen legte sie am Wochenende stapelweise Extrablätter ihres Kundenmagazins Punkt 3 aus, samt Entschuldigung. Und die Schlagzeile ist Programm: "Auf die S-Bahn muss wieder Verlass sein." Und auf ihre Räder auch.

Fahrplanauskünfte im Internet unter vbbonline.de, bvg.de, s-bahn-berlin.de

© SZ vom 20.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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