Russland und USA: Adoptionsstreit:Den haben wir nicht bestellt

Weil eine Amerikanerin ihren russischen Adoptivsohn zurückgeschickt hat, stoppt Russland alle Adoptionen in die USA. Tausende Verfahren hängen in der Luft.

Sonja Zekri

Vielleicht hat der kleine Artjom Sawjolow, der zu diesem Zeitpunkt Justin Hansen hieß, tatsächlich um sich getreten, hat gespuckt und seiner Adoptivmutter Torry Hansen eine Zeichnung mit einem brennenden Haus unter die Nase gehalten. Genauso, hat er gedroht, werde er auch ihr Haus abfackeln und alle darin gleich mit. So erzählt es jedenfalls Nancy Hansen, Torrys Mutter. Vielleicht hat Torry Hansen den Jungen tatsächlich an den Haaren gezogen und ihn nie geliebt, so wie es der kleine Artjom sagt.

Artjom Sawjolow, dpa

Seine amerikanische Adoptivmutter schickte ihn ganz alleine, mit nur einem Rucksack als Gepäck, auf einen Atlantikflug: der siebenjährige Artjom.

(Foto: Foto: dpa)

Sicher ist: Das Verhältnis zwischen der Krankenschwester Torry Hanson aus Shelbyville, Tennessee, und ihrem Adoptivsohn Artjom/Justin aus Partisansk im Fernen Osten Russlands, war nicht einfach. Aber war es schlimm genug, um den Jungen nach einem Jahr Anfang April mit nichts als einem Rucksack von Washington zurück nach Russland zu schicken? Allein? Auf einem Atlantikflug?

"Nachdem ich für dieses Kind getan habe, was ich konnte, muss ich leider um der Sicherheit meiner Familie, meiner Freunde und mir willen sagen, dass ich nicht länger seine Mutter sein möchte", stand in einem Brief, den sie Artjom in die Hand gedrückt hatten, adressiert "An den Zuständigen".

Für 200 Dollar im Ministerium abgeliefert

Im Internet hatte Torry Hansen jemanden gefunden, der den Siebenjährigen für 200 Dollar im Moskauer Bildungsministerium ablieferte. Sie sei irregeführt worden, das Kinderheim im Fernen Osten habe ihr verschwiegen, dass der Junge gewalttätig sei, sagte sie später. Tatsächlich war Artjoms Eltern das Sorgerecht entzogen worden, der Junge, wie so viele Kinder in russischen Heimen, Sozialwaise.

Die Leiterin des Kinderheims in Partisansk wiederum präsentierte ein Foto von Torry Hansen und Artjom: Die Beziehung sei harmonisch gewesen, die Amerikanerin habe ihren künftigen Sohn über Wochen kennengelernt und sei ihm nahegekommen. Seitdem ist Russland in Aufruhr.

Herzlose westliche Bürokratie?

Russische Medien berichten oft und ausführlich über Familientragödien russischer Kinder im Ausland. Tagelang verfolgte das Land das Drama des kleinen Robert Rantal, Sohn einer russischen Mutter und eines finnischen Vaters, der von den Behörden der finnischen Stadt Turku in ein Kinderheim gebracht wurde, nachdem er in der Schule gesagt hatte, dass seine Eltern ihn schlagen. Nicht nur die Boulevardpresse, auch das staatliche Fernsehen übertrugen Telefonate mit der Mutter, die stets nur das Beste gewollte hatte und der nun das Sorgerecht entzogen werden sollte, und mit dem Jungen, der heulend beteuerte, er wolle nur nach Hause.

Eine herzlose westliche Bürokratie, so legte die Berichterstattung nahe, zerstörte russisches Familienglück. Und kaum war der Fall gelöst und Robert wieder bei seinen Eltern, landete der kleine Artjom in Moskau.

Tausende Adoptivverfahren gestoppt

Inzwischen ist der Siebenjährige in einem Moskauer Krankenhaus untergebracht. Eine russische Familie hat sich um die Adoption beworben. Aber der Fall hat längst eine politische Dimension. Nachdem der russische Präsident Dmitrij Medwedjew Torry Hansens Tat "monströs" nannte, gab Andrej Nesterenko, Sprecher des russischen Außenministeriums, Ende vergangener Woche bekannt, dass Russland alle Adoptionsverfahren nach Amerika bis auf weiteres aussetzt. Washington und Moskau müssten einen Vertrag abschließen, der vor allem die Verpflichtungen der Adoptiveltern genauer regele. Am Dienstag sollen die Gespräche beginnen.

Bis zur Lösung hängen Tausende Adoptivverfahren in der Luft. Seit 1996 haben amerikanische Eltern 60.000 russische Kinder adoptiert. Seitdem sinken die Zahlen ständig. Die Bürokratie ist enorm, viele Familien ziehen - wie die Hansens - eine Vermittlungsagentur hinzu, die die ohnehin kostspielige Prozedur noch teurer macht. Vor sechs Jahren wurden 5800 russische Kinder in Amerika adoptiert, im vergangenen Jahr nur noch knapp 1600.

Kinder immer wieder Opfer von Gewalt

Und immer wieder werden russische Kinder in Amerika Opfer von Gewalt. Eine Amerikanerin wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt, weil sie ihre zweijährige Adoptivtochter erschlagen hatte. 2008 erlitt ein knapp zwei Jahre alter Junge im Auto einen Hitzschlag, weil sein Adoptivvater an einem heißen Sommertag vergessen hatte, ihn vor der Arbeit bei der Kinderbetreuung abzugeben. In den Medien erhält jeder Fall inzwischen fast metaphorische Bedeutung. Benimmt sich nicht ganz Amerika gegenüber Russland rücksichtslos und brutal?

Dabei gerät bei aller patriotischen Sorge um das Los russischer Kinder in der Fremde in den Hintergrund, dass auch russische Pflege- und Adoptionsfamilien lebensgefährlich sein können. Der Kinderbeauftragte der russischen Regierung, Pawel Astachow sagte in der vergangenen Woche, seit 1996 seien 15russische Waisen in amerikanischer Obhut gestorben. In russischen Adoptionsfamilien aber kamen so viele Kinder in einem Jahr um: "Wenn wir die Statistik der toten Kinder in Russland und Amerika vergleichen, sieht es für uns nicht gut aus."

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