Sankt Petersburg:"Napoleon" vor Gericht

Prominenter russischer Historiker vor Gericht

Oleg Sokolow (links) unterhält sich im November 2019 mit seinem Rechtsanwalt Alexander Pochuyev.

(Foto: Peter Kovalev/dpa)

In Russland beginnt der Mordprozess gegen einen bekannten Historiker und Napoleon-Experten. Oleg Sokolow hat gestanden, seine Freundin getötet und zerstückelt zu haben.

Von Silke Bigalke, Moskau

Oleg Sokolow, der früher in Russland Schlachten und Feldlager nachstellte, sich als Napoleon Bonaparte kleidete, trat an diesem Dienstag mit Mundschutz und Plastikhandschuhen in den Glaskasten für die Anklagten. Außer ihm warteten nur Anwälte und Wachmänner im Saal auf die Richterin, in Sankt Petersburg beschränkt das Coronavirus weiterhin das öffentliche Leben.

Sokolow, 63 Jahre alt, sitzt seit November in Untersuchungshaft. Der bekannte Historiker, früher Dozent an der Uni Sankt Petersburg, ein gefragter Napoleonexperte, wird wegen Mord und illegalem Waffenbesitz angeklagt. Von der Anklagebank tritt er näher an die Glasscheibe heran, holt einen Kamm aus der Hosentasche und ordnet seine Haare, bevor es losgeht. Kameras übertragen alles live ins Internet.

Sokolow hat gestanden, seine Geliebte getötet zu haben. Anastassija Jeschtschenko war 39 Jahre jünger als er, hatte seine Vorlesungen besucht, ihm später dabei assistiert, war irgendwann bei ihm eingezogen. Vergangenen November erschoss er sie in seiner Wohnung nachts nach einem Streit. Vier Mal drückte er ab, lud das alte, abgesägte Jagdgewehr immer wieder nach. Einen Tag lang versteckte er die Leiche. Dann zerstückelte er sie und warf sie in Plastiksäcken nahe der Wohnung in den Fluss.

Überwachungskameras haben ihn dabei gefilmt. Die abgetrennten Hände des Opfers warf er in einem Rucksack in die Moika, vermutlich wollte dieser nicht sinken. Denn ein Stück flussabwärts, dort, wo eine Treppe runter zum Wasser führt, fiel Sokolow selbst in den Fluss. Als die Rettungskräfte ihn bargen, hatte er den Rucksack und die abgetrennten Hände bei sich.

Die erste Gerichtssitzung an diesem Dienstag blieb kurz. Diesmal verzögerte ein neuer Verteidiger Sokolows das Verfahren: Er müsse sich noch Beweise ansehen, Bilder von Überwachungskameras, Mitschnitte von Telefongesprächen, den Laptop des Opfers. Vor allem der Laptop sei wichtig, sagte Sokolow hinter der Glaswand. Die Richterin verlegte die Sitzung auf kommende Woche.

Er habe gedacht, sie sei die perfekte Frau

Die Tat hat nicht nur Sankt Petersburg erschüttert. Oleg Sokolow war als Historiker über Russlands Grenzen hinaus bekannt, war für seine wissenschaftliche Leistung mit dem Orden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet worden. Anastassija Jeschtschenko begleitete ihn auf Kostümbälle und fuhr mit ihm nach Frankreich in Urlaub.

Kurz nach seiner Festnahme zeigen ihn Videoaufnahmen vor dem Untersuchungsrichter, damals weinte er lautstark. Er habe gedacht, Jeschtschenko sei die perfekte Frau, dann habe sie sich "in ein Monster verwandelt". An jenem Abend sei sie wütend geworden, weil er Zeit mit seinen Töchtern verbringen wollte. Sokolow war bereits drei Mal verheiratet.

Auch der Bruder der Toten erzählte in mehreren Interviews von einem Streit, seine Version unterscheidet sich von der des Professors: Seine Schwester habe auf eine Geburtstagsfeier gehen wollen, der eifersüchtige Sokolow wollte das nicht zulassen, sei aggressiv geworden. Anastassija Jeschtschenko rief den Bruder weinend von der Straße aus an. Sie wollte ausziehen, nur noch ihre Sachen aus der Wohnung holen. Am nächsten Tag konnte er sie nicht mehr erreichen.

Ein früheres Opfer Sokolows, auch eine einstige Studentin und Geliebte, beschreibt ein ähnliches Muster. Auch sie hatte er "Monster" genannt, als sie ihn verlassen wollte, hatte sie festgebunden, geschlagen und mit einem heißen Bügeleisen bedroht. Sie zeigte ihn 2008 bei der Polizei an, was aber zu nichts führte. Nun beschreibt sie ihren Fall anonym in einer TV-Dokumentation, wie er sie kontrollieren wollte, welche Kleidung sie trug, wen sie traf.

An der Universität Sankt Petersburg veröffentlichte der aktuelle Abschlussjahrgang nun einen Brief an die Universitätsleitung, in dem sie Sexismus, Belästigungen und Missbrauch an der Uni anprangern. Sie gehen auch auf den Fall Sokolow ein: Dessen Beziehungen zu Studentinnen seien lange Zeit bekannt gewesen. Doch nichts wurde unternommen.

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