Russland:Glamour zu vermieten

The Russian Debutante Ball, held at Mayfair’s Grosvenor House Hotel, was the fourth of its kind in London, UK. The 60 debutantes, aged between 16-25, wore the strict dress code of floor-length white bridal gowns, matching gloves and compulsory tiaras.

Schöner Schein: In Russland hat sich eine Dienstleistungsbranche für Selbstdarsteller entwickelt.

(Foto: Guy Corbishley/mauritius images)

In Russland hat sich eine Dienstleistungsbranche für die Inszenierung in sozialen Netzwerken entwickelt. Wer keinen Luxusjet hat, kann für Fotos einfach einen mieten - und ein Jetset-Leben vorgaukeln.

Von Julian Hans, Moskau

Liebe, Geld und Ruhm sind schön, aber leider ungleich verteilt. Seit sich das Leben der Menschen zunehmend ins Internet verlagert, wird es immerhin für jedermann erschwinglicher, ein Jetset-Leben in Reichtum und Glück wenigstens vorzugaukeln. In Russland hat dieser Trend inzwischen eine eigene Branche von Selfie-Dienstleistern hervorgebracht.

Kunstvolles Posieren hat hier eine Tradition, die älter ist als das Internet. Besonders die Frauen sind Meisterinnen darin: An einer Blüte schnuppern, an einem Brückengeländer lehnen, das waren die konservativen Posen der sowjetischen Vergangenheit. Als in den 1990er-Jahren der Kapitalismus wilde Blüten trieb, kamen Fotos in Pelzmänteln vor teuren Autos in Mode. Die ganz Mutigen rekelten sich auf der Motorhaube.

Das digitale Zeitalter eröffnete schließlich ganz neue Dimensionen der Selbstdarstellung. Bei der konsumorientierten Jugend ist Instagram das Medium der Wahl. Längst bieten Kameras und Apps eine Fülle von Möglichkeiten, um mit ein paar Wischgesten auf dem Bildschirm Haut zu glätten, Augen zu vergrößern und Beine zu verlängern. Die Attribute für ein aufregendes Leben muss man sich aber nach wie vor in der analogen Welt besorgen.

Neid und Eifersucht sind gefragte Währungen in Russland

"Wollt ihr eure Freundinnen beeindrucken oder euren Ex ärgern?", wirbt zum Beispiel rentroses_gtn auf Instagram. "Bestellt jetzt einen luxuriösen Strauß für nur 800 Rubel, und ihr habt zehn Minuten, um ein Selfie zu machen." Umgerechnet zwölf Euro ist vergleichsweise günstig für einen Korb mit 101 Rosen. Um in der virtuellen Welt Eindruck zu machen, reicht das völlig aus. Und danach steht das Kraut eh nur rum und fängt an zu stinken. Auf Instagram erscheinen dann die Bilder mit Texten wie: "Mein Liebster verwöhnt mich mal wieder." Oder: "Ich bin überwältigt!" Besonders zum Frauentag am 8. März, wenn niemand in Russland ohne Blumen dastehen darf, haben derlei Dienstleistungen Konjunktur. Für einen kleinen Aufpreis von 300 Rubel leiht Rentroses auch noch Verpackungen für das neueste iPhone oder für Ray-Ban-Brillen. Dann hat der "Liebste" auch noch mit einem Geschenk ausgedrückt, wie viel frau ihm wert ist.

In einer Gesellschaft, in der Status viel bedeutet, sind Neid und Eifersucht gefragte Währungen. Im Netz finden sich Angebote, auch noch einen trainierten Männerkörper (ohne Gesicht) fürs Foto zu leihen oder das Bild mit Blumen, Geschenkbox von Tiffany und Männerkörper in einem neuen BMW aufzunehmen. Das kostet dann aber auch schon umgerechnet fast 80 Euro. Wenn es echte Verehrer dazu verleitet, ebenfalls teure Geschenke zu machen, zahlt sich das Investment aber schnell aus.

Auf die Dauer verdirbt der Ego-Verleih natürlich die Preise. Wenn schon alle Freundinnen Fotos mit geliehenen Rosen, Brillanten, Männern und Autos gepostet haben, ist es schwer, das noch zu steigern. Wie wäre es da mit einem Privatjet? Ab umgerechnet 160 Euro kann man sich in Moskau auf dem Rollfeld, beim Besteigen des Flugzeugs und in der mit Leder und poliertem Holz verkleideten Kabine fotografieren lassen. Wer Geschäftspartner oder Konkurrenten beeindrucken möchte, dem verspricht @privatjetstudio eindrucksvolle Bilder von einem Jetset-Leben, das es in Wahrheit gar nicht gibt. "Sei wie Timati, komm zu uns und lass dich im Salon eines Privatjets fotografieren", wirbt der Service auf Instagram.

Der Rapper Timati ist einer der Helden dieser Generation. Bekannt wurde er durch einen Gesangswettbewerb im Fernsehen, seitdem positioniert er sich als Gangsta vom Kaukasus, obwohl er eigentlich Tatar ist und der böse Bube nur ein gut vermarktbares Image. Im vergangenen Jahr gratulierte er dem russischen Präsidenten mit einem aufwendig produzierten Musikvideo vom Roten Platz zum Geburtstag. Refrain: "Mein bester Freund ist Wladimir Putin."

Auch prominente Politiker inszenieren sich auf Instagram

Timati ist ein prominentes Beispiel dafür, dass nicht nur Frauen dem Selfie-Wahn verfallen sind. Der Rapper hat auf Instagram mehr als zehn Millionen Abonnenten, außer Putin nennt er einen weiteren Politiker seinen Freund: Ramsan Kadyrow. Das Oberhaupt der Teilrepublik Tschetschenien wickelt seine gesamte Öffentlichkeitsarbeit über Instagram ab. Mal sieht man ihn im Fitnessstudio für die Kamera schwitzen. Mal veröffentlicht er Bilder von Kreml-Kritikern im Fadenkreuz mit dem Text: "Wer noch nicht verstanden hat, der wird verstehen." Nach dem Mord an Boris Nemzow, der von Offizieren aus Kadyrows Einheiten begangen wurde, eine eindeutige Drohung.

Im vergangenen März postete Timati ein Foto von sich an Bord eines Luxus-Jets und dankte seinem "Bruder" Ramsan Kadyrow für die Gastfreundschaft. Aus dem Interieur der Kabine schlossen Journalisten, dass der Tschetschene einen Airbus ACJ319 als Privatjet nutzt, der im Monat mindestens 10 000 Euro kostet.

Sogar für ganz unpolitische Selbstdarsteller kann der Trend riskant sein. Nachdem es mehrere tödliche Unfälle gegeben hat, warnte die Polizei vor zwei Jahren in einer Kampagne davor, sich um einer eindrucksvollen Aufnahme willen selbst in Gefahr zu bringen. Auf Fotos auf Hausdächern, Hochspannungsmasten oder Bahngleisen solle man besser verzichten. Im April wurde in Krasnodar ein Massenmörder und Kannibale überführt, nachdem er sein Handy verloren hatte. Die Polizei entdeckte darauf Selfies mit seinen Opfern.

Bisweilen bringt der Selfie-Wahn auch die Regierung in Erklärungsnot. Durch Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken konnte in zahlreichen Fällen nachgewiesen werden, dass russische Soldaten in der Ukraine kämpfen. Im Oktober hat das Verteidigungsministerium schließlich ein Selfie-Verbot auf den Weg gebracht.

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