Süddeutsche Zeitung

Ruinerworld:Vater vor Gericht

Im Fall der isoliert auf einem Bauernhof lebenden Familie in den Niederlanden hat nun der Prozess begonnen.

Von Thomas Kirchner

Es ist ein sonderbarer Prozess. Der Hauptangeklagte ist abwesend im Gerichtssaal von Assen, aber alles dreht sich nur um ihn. Gerrit Jan van D. hat, so die Anklage, neun Jahre lang sechs seiner Kinder auf einem Bauernhof im ostniederländischen Dorf Ruinerwold gefangen gehalten, nahezu ohne Kontakt zur Außenwelt. Die Staatsanwältin nennt das: "psychisch gefangengehalten" und meint damit ein System von Abhängigkeit, aus dem sich die minderjährigen Kinder nicht lösen konnten. Aber auch körperlich soll er sich an den Kindern vergangen haben. Freiheitsberaubung und sexueller Missbrauch lauten die wichtigsten Anklagepunkte.

Als die Familie vor etwa drei Monaten von der Polizei entdeckt wurde, ging die Nachricht um die Welt. Einer der Söhne war geflohen und hatte sich in einem Café offenbart. Van D. habe die Kinder von der Welt fernhalten wollen, so die Anklage, sie waren auch nicht bei der Gemeinde gemeldet. Sie mussten oft beten, bekamen dann nur Wasser und nichts zu essen. Sie seien mit dem Stock bestraft worden oder durch stundenlanges Eintauchen in kaltes Wasser. Die Kinder wurden auch gezwungen, einander zu bestrafen, etwa durch Bewerfen mit Schlamm. "Ich bekam immer zu hören, dass ich schlecht war", bekannte ein Kind in einer schriftlichen Erklärung.

Am ersten Prozesstag in Assen ging es hauptsächlich um Formalien, die Hauptverhandlung beginnt wohl erst in Monaten, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Van D., 67, erlitt 2016 einen Schlaganfall. Er kann nicht sprechen, versteht aber, was man ihm sagt. Die Justiz versucht zu ergründen, ob und wie er vernommen werden und dem Verfahren beiwohnen kann.

Mitangeklagt und anwesend vor Gericht war der Österreicher Josef B. Ihm wird ebenfalls Freiheitsberaubung vorgeworfen. B., 58, war über Jahre sozusagen Teil der Familie, er hatte den Bauernhof gemietet, übernahm Handwerkeraufgaben und fühlte sich als "Jünger" van D.s, den er als "religiösen Führer" ansah. Van D. sah sich als Heilsprediger und verbreitete naturreligiöse Weisheiten im Internet.

B. klagte über Falschbehauptungen, die über ihn in Umlauf seien. So hätten die Kinder nicht in einem "Keller" leben müssen. "Ich habe niemanden seiner Freiheit beraubt." Wenn jemand an Gott glaube, sei das sein "freier Beschluss". Er sei Opfer einer "Hexenjagd". Sein Anwalt beantragte vergeblich, B. bis zur Hauptverhandlung auf freien Fuß zu setzen.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2020
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