Süddeutsche Zeitung

Familie in Ruinerwold:Gartentipps vom Guru

Gerrit Jan van D., der mit seinen Kindern neun Jahre lang in den Niederlanden in der Isolation hauste, führte im Internet als Möchtegern-Influencer "John Eagles" ein kurioses Zweitleben.

Von Thomas Kirchner und Beate Wild

Der alte Mann trägt seine grauen Haare lang, einen Vollbart, beige Cordhosen und ein türkises Hemd in Übergröße. In einem Facebook-Video ist zu sehen, wie er sich auf einem Rudergerät, das aus Holz zusammengezimmert ist, angestrengt vor- und zurückbeugt. "Die Rudermaschine ist fertig", schreibt "John Eagles" unter das Video. Im Hintergrund ein weißes Gebäude mit grünen Türen.

Man erkennt es sofort wieder: Es ist der Hof in Ruinerwold, auf dem der 67 Jahre alte Gerrit Jan van D. mit sechs seiner Kinder neun Jahre lang in der Isolation lebte. Unter dem Pseudonym "John Eagles" verbreitete Gerrit Jan seine Ansichten jahrelang im Internet, das deckte die niederländische Zeitung Volkskrant am Montag auf. Der Clip mit dem Rudergerät datiert vom 10. Dezember 2015.

Tausende Textbeiträge, Fotos und Videos hat der 67-Jährige publiziert. Der Mann, der seine Kinder abschirmte von der Welt, sah sich als Heilsprediger, er war ein selbsternannter Weiser - aber nur im Netz. Dort veröffentlichte er seine Erkenntnisse über das Wesen der Dinge, Erleuchtung, körperliche Fitness. Und nicht zuletzt postete er Gärtnertipps. Im Netz spielte sich sein Leben ab, dort war er aktiv. Sein Pseudonym "John Eagles" spielt laut Volkskrant auf den Evangelisten Johannes an, dem als Symbol ein Adler zugeordnet wird.

Neben seiner Facebook-Seite betrieb er auch den Blog johneagles.blogspot.com. Dort schreibt er etwa am 21. März 2011: "In jeder Situation unseres Lebens muss unsere Beziehung zu Gott in Ordnung sein. Der Standard, der von uns verlangt wird, ist wirklich ziemlich hoch."

Unter dem Namen "Eagle Rock Wiki" verfasste "John Eagles" sogar eine Online-Enzyklopädie. Die grafische Oberfläche ist veraltet, die Menü-Führung rudimentär, die Texte sind kryptisch. Und die Themen: das alttestamentarische Christentum, Spiritualität, Kulturgeschichte, das Ende der Welt - und koreanische Philosophie. Letzteres dürfte ein Hinweis auf die koreanische Moon-Sekte sein, bei der D. in den Achtzigern einige Jahre Mitglied war. Die Religion des Familienvaters ist ein schwer einzuordnender Mischmasch aus christlichen, indianischen, theosophischen und weiteren spirituellen Versatzstücken. Als Messias habe er sich wohl nicht gesehen, eher als Botschafter, so die Volkskrant, einmal will er 52 Offenbarungen in weniger als drei Wochen von "maßgeblichen Engeln" erhalten haben.

Trotz seines großen Outputs lauschen ihm nur wenige

Auf seinem Facebook-Profil hat er sich gezeichnet, so wie man sich Vater Abraham vorstellen würde. Dort steht, dass er Philosophie, Musikgeschichte und Psychologie studiert hat, daneben finden sich Fotos von Katzen, Pflanzen und irgendwie kosmische Darstellungen. Manches hat er selbst gemalt, etwa das Bild von zwei überdimensionierten Adlern, die auf Bäume hinabstürzen. Seine Einträge zielen in den Himmel, wenn es um Gottgefälligkeit und religiöse Prinzipien geht, oft sind sie aber sehr irdisch. Wie man einen guten Gemüsegarten anlegt, erklärt er, mit Petersilie und Weißkohl, wie man sät, erntet, wie man mit Hühnern und Gänsen umgeht, die es gab auf dem Hof. Daneben im digitalen Angebot: göttliche Prinzipien, mentale Führung, Kampfkunst, Gartenarbeit, natürliches Bauen. Unter der Rubrik "Schränke bauen" wird als Co-Autor ein "Joseph Greenwood" erwähnt, möglicherweise ist der Österreicher Joseph B. gemeint, ein Möbelschreiner von Beruf und der Pächter des Bauernhofes in Ruinerwold. Sogar ein Vimeo-Profil von John Eagles gibt es. Dort postet er neben historischen Filmchen auch ein Katzenvideo.

Trotz seines großen Outputs lauschen ihm nur wenige. Sein Blog zählt 21 Abonnenten, sein Adler-Wiki sieben, auf den Seiten ist wenig los. Die "Himmlischen Körper-Übungen", wie seine Fitness-Seite heißt, gefallen zwar 3585 Personen, doch sind darunter manche albanische Namen, die nach Fake-Profilen riechen.

Die Zeitung De Telegraaf hat außerdem einen Film ausgegraben, der am 5. April 2006 in dem Spielzeugladen in Zwartsluis gedreht wurde, der D. damals gehörte. "Wir sind in den Krieg gezogen, vor allem ein spiritueller Krieg, und er ist noch nicht vorüber", sagt er darin.

Wartete die Familie nicht "auf das Ende der Zeiten"?

Doch wie passt das zusammen, das Leben als Einsiedler und die Netz-Aktivitäten? In dem Film, der auf der Website des Spielzeugladens zu sehen ist, sagt er: "Die Rückkehr in die Steinzeit macht keinen Sinn. Ich benutze einen Computer, ich benutze Kameras." Das erklärt auch, warum sein ältester Sohn Jan Zugang zum Internet hatte und auf Social Media aktiv sein konnte.

Aber wartete die Familie nicht "auf das Ende der Zeiten", wie es in ersten Berichten hieß? Davon ist in den Texten nirgends die Rede. Und fast genauso wenig von den Kindern. Nur einige Zeichnungen zeigen sie bei Yoga-Übungen, die van D. selbst nicht mehr machen konnte. Ende 2016 hören die Beiträge von "John Eagles" auf. In diesem Jahr soll Gerrit Jan van D. einen Schlaganfall erlitten haben, so erzählte es sein Sohn Jan dem Barkeeper in der Dorfkneipe.

Am Montag wurde van D. dem Haftrichter vorgeführt, die Untersuchungshaft um 14 Tage verlängert. Ebenfalls in Haft ist der Österreicher. Die Staatsanwaltschaft untersucht nun, ob die Männer eine sektenähnliche Gemeinschaft aufgebaut hatten.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2019/sbeh
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