Süddeutsche Zeitung

Roman Polanski in Haft:Kulturkampf um Polanski

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Die Verhaftung des Regisseurs spaltet seine Heimat Polen. Zeitungen, Fernsehsendungen und Internet sind voll von Geschichten über den Fall. Es geht um Patriotismus.

Thomas Urban

Die beiden größten polnischen Zeitungen Gazeta Wyborczaund Fakt widmeten der Causa Polanski am Dienstag nicht nur den Aufmacher, sondern auch jeweils eine weitere Doppelseite. Die Verhaftung des aus Krakau stammenden Starregisseurs mit dem französischen Pass in der Schweiz hat das Land aufgewühlt. Die Zeitungen, das Fernsehen und das Internet sind voll mit Stellungnahmen zu der Frage, ob der 76 Jahre alte Roman Polanski wegen eines 32 Jahre zurückliegenden Falles von Verführung einer Minderjährigen von der Schweiz an die USA ausgeliefert werden solle.

Als die Nachricht von der Verhaftung am Wochenende bekannt wurde, ging erst einmal ein Aufschrei durch die Medien: Die USA wollten einem verdienten Polen, der Oscar-Gewinner ist und den Ruhm des Landes gemehrt hat, ein Leid zufügen. In ersten Kommentaren wurde dies als weiterer Beleg für das Ende des "amerikanisch-polnischen Frühlings" gesehen, das man an der Weichsel parteiübergreifend in der Beerdigung des umstrittenen Raketenschildes durch Präsident Barack Obama sieht. Wegen dieser Raketenpläne verstand man sich als privilegierter Partner der Amerikaner in Europa, um so verletzter reagierten nach der Streichung des Projektes die meisten Kommentatoren. Hinzu kommt, dass das Weiße Haus immer noch an der demütigenden Visaprozedur für in die USA reisende Polen festhält.

Es schien also zunächst ausgemachte Sache zu sein, dass die Nation ihren Regisseur aus dem Schweizer Arrest heraushauen müsse. Außenminister Radoslaw Sikorski, enttäuschter ehemaliger Zögling der amerikanischen Neokonservativen, kündigte ein gemeinsames Vorgehen mit seinem französischen Amtskollegen Bernhard Kouchner zur Befreiung des Eingekerkerten an und erhielt viel Beifall dafür.

Doch schon nach 24 Stunden zeigte sich, dass die polnische Pro-Polanski-Allianz bei weitem nicht die ganze Nation umfasste, im Gegenteil: Das Lager der Verfechter von Recht und Ordnung sowie einer christlichen Lebensweise gab die Parole aus: "Kein Mitleid mit dem Übeltäter!"

Kleingeistig und neidisch

Der Fall ist also in Rekordgeschwindigkeit von der Fußnote einer transatlantischen Verstimmung zu einem weiteren Kapitel im Kampf um die Seele der Nation mutiert, der nun schon seit der Wende von 1989 währt: Soll Polen ein weltoffenes, tolerantes Land sein, das sexuelle Verfehlungen, sofern sie nicht mit Gewalt verbunden sind, auch verzeihen kann, zumal ja auch das damalige Opfer für Begnadigung des Täters eintritt? Oder haben die strengen Moralkategorien zu gelten, denen die katholische Kirche an der Weichsel weitaus unerbittlicher als anderswo in Europa Geltung verschaffen möchte? Gelegentlich mit der für die polnische Medienwelt typischen Hysterie äußern sich nun Politiker pro oder contra und übertönen auch die ausgewogenen Stellungnahmen der renommierten polnischen Kollegen vom Fach.

Kazimierz Kutz, der 80 Jahre alte Meister des düsteren Spielfilms aus der Krisenregion Oberschlesien, erklärt kurz und bündig: Diejenigen, die die Bestrafung Polanskis für eine in Europa längst verjährte Tat fordern, stünden für das "kleingeistige und neidische Polen". Er sei entsetzt auch über die antisemitischen Ausfälle gegen Polanski, die er im Internet gelesen habe.

Krzysztof Zanussi, auch er für seine Filme international ausgezeichnet, weist auf die Tragik in Polanskis Leben hin, beginnend damit, dass er dem Holocaust nur knapp entgangen ist: Als Neunjähriger konnte er aus dem Krakauer Ghetto fliehen und wurde von einer polnischen Familie versteckt, während seine Familie in Auschwitz ermordet wurde. Polanski ist nach den Worten Zanussis bis heute "dieser kleine, vor Angst bebende Junge" geblieben. Zanussi plädiert dafür, christliche Gnade walten zu lassen. Doch scheint er damit nur die Minderheit in diesem polnischen Kulturkampf zu vertreten. Wie auch in anderen weltanschaulichen Debatten geben nämlich den Ton die Befürworter des "starken Staates" an, der auch zu strafen hat.

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SZ vom 30.09.2009/abis
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