Roman Polanski in Haft:Eingeholt von der Vergangenheit

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Roman Polanski wurde wegen eines Sexualdelikts in der Schweiz verhaftet. 32 Jahre nach der Tat. Er kämpft gegen die Auslieferung.

J. Häntzschel, T. Kirchner und S. Ulrich

Eine milde Sonne scheint am Sonntagabend über Zürich, aber die Stimmung im Corso-Kino ist elend. Hier sollte zu dieser Stunde eigentlich Roman Polanski für sein Lebenswerk geehrt werden. Stattdessen sitzt der Regisseur seit 24 Stunden im Gefängnis ein. "Heute ist ein schrecklicher Tag", stöhnt die Leiterin des "Zurich Film Festival" ins Mikrofon, während sich die anwesenden Kulturschaffenden über die Festnahme des Gastes aus Frankreich empören. "Ich schäme mich für die Schweiz", sagt der Dokumentarfilmer Christian Frei. Einen "Weinkrampf" habe die Nachricht bei ihm ausgelöst, berichtet ein Freund des Regisseurs. "Free Polanski" steht auf Transparenten und: "Gebt ihnen das Bankgeheimnis, nicht Roman Polanski".

Roman Polanski sitzt in der Schweiz in Haft. (Foto: Foto: dpa)

Das ist der Verdacht, der allen im Kopf herumgeht: Sind sie also wieder eingeknickt, die da oben in Bern, vor den mächtigen USA. Im Steuerstreit mit Washington hatte sich der Berner Bundesrat lange widerspenstig gezeigt - bis ihm die US-Justiz indirekt mit der Schließung der Schweizer Großbank UBS drohte. Da wurde Bern kooperativ, gab über Nacht einen Teil des Bankgeheimnisses preis und erkämpfte im UBS-Fall einen Vergleich. Aber die Amerikaner, das weiß man in Bern, können jederzeit wieder unbequem werden - weshalb es geraten sein mag, ihren guten Willen mit einer Geste der Freundschaft zu befördern.

All diese Mutmaßungen wischt Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf zur selben Zeit in Bern vom Tisch. Da gebe es keinen Zusammenhang, die Rechtslage sei "absolut klar". 2005 hätten die USA einen internationalen Haftbefehl gegen Polanski ausgestellt, wegen des Vergewaltigungsverfahrens aus dem Jahre 1978. Und zwischen den beiden Ländern existiere ein Auslieferungsabkommen, das in diesem Fall greife. Doch warum war der heute 76-Jährige immer wieder unbehelligt Skifahren in der Schweiz? Jeder Schweizer Polizist hätte das in der Boulevard-Presse nachlesen können. Bisher sei nie im Vorhinein bekannt gewesen, wann Polanski einreisen werde, sagt Widmer-Schlumpf. Dieser Teil ihrer Ausführungen klingt etwas brüchig.

Eher war es wohl so, dass der Schweiz, wie den meisten anderen Staaten auch, nicht so sehr daran gelegen war, das Land zu sein, das Polanski zur Strecke bringt. Er bewegte sich frei in Europa, war oft in Italien und Österreich und drehte Anfang des Jahres auf Sylt für den Film "Ghost".

Die Sache zu einem Ende bringen

Nachdem Polanski im Frühjahr noch einmal vergeblich um eine Einstellung des Verfahrens gebeten hatte, waren die Behörden in Los Angeles offenbar entschlossen, die Sache zu einem Ende zu bringen. Zweimal schon, berichtet die Los Angeles Times, habe die US-Justiz alles in die Wege geleitet, um Polanski in einem europäischen Land festnehmen zu lassen. "Aber am Ende bekam er jeweils Wind von der Sache und reiste nicht", zitiert das Blatt eine Gerichtssprecherin in Los Angeles. In der vergangenen Woche will das Bezirksgericht der Stadt über das Internet von der Zürich-Reise Polanskis erfahren haben. Über das Justizministerium wurde dann am Donnerstag ein Gesuch an die Schweiz übermittelt, den Delinquenten festzunehmen.

Theoretisch hätte Polanski das Gleiche also auch in einem anderen Land passieren können. Hinzu kommt aber, dass Vergewaltigungsfälle - und darum handelt es sich hier aus Sicht der Justiz - seit dem vergangenen Jahr auch in der Schweiz nicht mehr verjähren. Bis dahin hatte es sich die Schweiz vorbehalten, ausländische Auslieferungsbegehren ausnahmsweise zu ignorieren, wenn dabei wesentlichen Grundsätzen des inländischen Rechts widersprochen werde.

Empörung wegen der Festnahme

In Frankreich reagierten viele Prominente mit Empörung auf die Festnahme Polanskis, der seit 1975 die französische Staatsbürgerschaft besitzt und seit langem in Paris wohnt. Regisseure, Schauspieler und Politiker machten sich am Montag für seine Freilassung stark. Der französische Außenminister Bernard Kouchner schrieb gemeinsam mit seinem polnischen Kollegen Radoslaw Sikorski einen Brief an US-Außenministerin Hillary Clinton und bat um Gnade für Polanski. Kouchner forderte die Schweiz auf, den Regisseur gegen Kaution freizulassen. Es sei erstaunlich, wenn der Regisseur 32 Jahre nach der Tat zu einem Kino-Festival nach Zürich eingeladen werde und dann bei der Ankunft am Flughafen von der Polizei empfangen werde. Der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand sprach von einem "absolut entsetzlichen" Vorgang.

Die Verhaftung Polanskis ist eine weitere Episode in einer schier unglaublichen Biographie. Polanski wurde 1933 in Paris geboren, drei Jahre später zogen seine aus Polen stammenden Eltern mit ihm nach Krakau. Während Polanski bei Bauern unterkam, wo er sexuell missbraucht wurde, kamen seine Eltern ins KZ: Seine schwangere Mutter wurde in Auschwitz umgebracht, sein Vater überlebte. Später zog er nach Frankreich, London und Hollywood, wo er 1968 "Rosemaries Baby" drehte. Ein Jahr später wurde seine hochschwangere Frau Sharon Tate von Mitgliedern der okkulten Sekte von Charles Manson ermordet.

"Substantielles Fehlverhalten"

1977 erhielt Polanski von der französische Vogue den Auftrag, ein junges Mädchen zu fotografieren. Die 13-jährige Samantha Gailey machte mit. Beim Shooting in der Villa von Jack Nicholson blieb es nicht bei Champagner am Whirlpool. Nach einem zwischen dem Richter, Laurence Rittenband, dem Staatsanwalt und Polanskis Verteidiger ausgehandelten "plea bargain" bekannte sich Polanski schuldig, mit dem nicht volljährigen Mädchen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Polanski, so verkündete Rittenband, würde für 90 Tage zur "psychiatrischen Evaluierung" festgehalten. Dann würde er freikommen. Doch während Polanski seine Haft absaß, mehrten sich die Anzeichen, dass Rittenband die Vereinbarung brechen würde. Kurz vor dem Gerichtstermin floh Polanski nach Frankreich und kehrte nie wieder in die USA zurück, wo ihn die Verhaftung erwartet hätte.

Im vergangenen Jahr rollte der Dokumentarfilm "Roman Polanski: Wanted and Desired" von Marina Zenovich die Geschichte noch einmal auf - und lieferte Belege dafür, dass Rittenband mit Staatsanwalt David Wells, der mit dem Fall gar nicht befasst war, konferiert hatte. Wells versuchte Rittenband zu beeinflussen, Polanski doch noch einzusperren. Daraufhin beantragte Polanskis Anwalt, das in Los Angeles anhängige Verfahren einzustellen. Doch der zuständige Richter Peter Espinoza ließ sich nicht erweichen. Obwohl er das "substantielle Fehlverhalten" der Staatsanwaltschaft eingestand, müsse sich Polanski den Behörden stellen.

"Was er mir angetan hat, war falsch"

Samantha Gailey hat Polanski seit Jahren verziehen. "Was er mir angetan hat, war falsch", hat sie immer wieder gesagt, "aber ich wünschte, er könnte nach Amerika zurück, sodass wir beide diesen Albtraum hinter uns lassen können. Er hat einen schrecklichen Fehler gemacht, aber er hat dafür gezahlt."

Nun sitzt der berühmte Mann also im Bezirksgefängnis, mitten im Zürcher Multikulti-Viertel, und kämpft von dort aus gegen seine Auslieferung. 60 Tage haben die USA Zeit, sie zu beantragen. Polanski werde seinerseits juristisch gegen das Ersuchen der US-Behörden vorgehen, teilte sein Anwalt Hervé Temime in Paris mit. Ein in der Schweiz für den Regisseur arbeitender Verteidiger wolle zudem unverzüglich die Freilassung des 76-Jährigen beantragen, gegebenenfalls würden Auflagen akzeptiert. Es kann Monate dauern, bis der Rechtsweg durchlaufen ist. Eine Stunde darf Polanski täglich spazierengehen, eine Stunde wöchentlich Besuch empfangen, etwa von seiner Frau Emanuelle Seigner. Die wohnt jetzt dort, wo er auch hätte wohnen sollen: im Fünf-Sterne-Hotel Baur au Lac, direkt am See.

© SZ vom 29.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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