Robbenjagd auf Neufundland:Kein Interesse am Fell

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"Das ist doch kein Leben": Das EU-Importverbot für Robbenprodukte bedroht die Existenz der Fischer Neufundlands. Viele versuchen ihr Glück nun fernab ihrer Familien.

Bernadette Calonego, St. Anthony

Carl Hedderson hat 70 tote Sattelrobben an Bord der Mary Benita, ein schlechtes Resultat für eine Woche harte Arbeit. Der Fischer von der kanadischen Insel Neufundland hatte auf achthundert Robben gehofft. Aber das Wetter im Norden Neufundlands ist schlecht. Winde peitschen über den aufgewühlten Nordatlantik und schieben die Eisschollen wie Styropor herum. Die Tropfen der Gischt gefrieren sofort an den Wänden von Heddersons Schiff, immer wieder droht es zu kentern. "Für die Robben wird das ein gutes Jahr", sagt der 51-Jährige.

Der Preis für ein Robbenfell lag vor ein paar Jahren noch bei 80 Euro - in dieser Jagdsaison ist er auf 15 Euro gesunken. (Foto: N/A)

Aber es wird ein schlechtes Jahr für die Fischer Neufundlands. Es ist die erste Robbenjagd im Osten Kanadas, seitdem die Europäische Union im August 2010 ein Importverbot für Robbenprodukte in Kraft gesetzt hat. Der Preis pro Fell ist auf 15 Euro gesunken. Das ist weit unter dem Spitzenpreis von 80 Euro vor fünf Jahren. Carl Hedderson weiß schon jetzt, dass er mit den Fellen die Kosten für den Treibstoff und die sechs Leute auf dem Schiff nicht wieder reinholen wird. Es ist ein Verlustgeschäft auf der ganzen Ebene. Das Essen auf seinem Boot besteht jeden Tag aus Robbenfleisch: gebraten, gebacken, aufgewärmt. Die Wetterprognose ist weiterhin schlecht. "Ich werde noch eine Woche lang zu jagen versuchen", sagt Hedderson. "Dann gebe ich auf."

Viele Bewohner in der Gegend von St. Anthony, einem 3100-Seelen-Dorf an der Nordspitze der kanadischen Insel Neufundland, leben seit Generationen von der Jagd. Die Fische im Nordatlantik sind rar geworden, die Fischerei reicht kaum mehr zum Leben. So essen sie Elch, Wildenten und andere Wasservögel - und, wie überall an der Ostküste, auch Robbenfleisch.

Das Fischereiministerium in Ottawa hat vor kurzem die Fangquote erhöht, von 330.000 auf 468.200 Robben, weil sich nach offiziellen Berechnungen die Herden stetig vergrößern. Das bringt die Tierschützer in Rage. Tatsache ist aber, dass die Fangquoten schon seit vier Jahren bei weitem nicht erreicht werden, weil es immer weniger Abnehmer für die Felle gibt. Im vergangenen Jahr wurden in Kanada nur 67.000 Sattel- und Kegelrobben erlegt, ein Fünftel der Quote.

Die Fischer rund um St. Anthony verstehen nicht, warum Tierschützer ausgerechnet die Robbenjagd bekämpfen. "Ihr Europäer schlachtet Kälber und Lämmer", sagt einer der Männer, die sich zum täglichen Klatsch zwischen den geduckten Häusern versammeln. "Genau", wirft ein älterer Fischer ein, "aber was in den Schlachthäusern passiert, das sieht die Öffentlichkeit nicht."

"Ich würde diese Robbenjäger gerne erschlagen", schreibt eine Frau im Internet

Ein kalter Wind bläst vom Nordatlantik her, die Luft wird aus der Arktis heruntergetragen. Dennoch tragen die Männer hier den Jackenkragen offen. Ihre Namen wollen sie nicht in der Zeitung sehen, sie fürchten, Zielscheibe militanter Tierschützer zu werden, die auch schon für Protestkundgebungen nach St. Anthony gereist sind. In seiner warmen Küche lädt ein Fischer die Kommentare von Jagdgegnern im Internet herunter. Er liest die Meinung einer Frau auf Youtube vor: "Ich würde diese Robbenjäger und ihre Babys gern erschlagen und häuten und das filmen."

Hedderson, Vater zweier erwachsener Kinder, schüttelt den Kopf. "Wir töten die Robben, bevor wir sie häuten", sagt er. Die Tiere würden zuerst erschossen. Dann wird ihnen der Schädel mit dem Hakapik, der Spitzhacke, eingeschlagen, um ganz sicher zu gehen, dass sie tot sind. Das sei eine Vorschrift der Regierung, sagt Hedderson. Sicher gebe es wie in jedem Gewerbe unter Neufundlands 6000 Robbenjägern einige schwarze Schafe, die sich nicht an die Anweisungen hielten. "Aber gibt es die nicht auch unter den Tausenden von Jägern in Europa?", fragt er. Internet-Berichte von der Jagd auf Wildschweine und Rotwild in Deutschland werden auch in Neufundland gelesen.

Weit draußen auf der zugefrorenen Bucht bewegt sich etwas. Zwei dunkle Punkte, die näherkommen. Jetzt kann man ein Schneemobil erkennen, ein Schlitten ist angehängt. Darauf liegt eine tote Robbe. Ein junger Fischer hat die Bartrobbe geschossen. "Das gibt Fleisch für einige Tage", sagt er, als er bei den etwa ein Dutzend Häusern am Ufer ankommt. "Den Rest brauche ich als Köder für die Kojoten." Unten an der Werft werden Motorboote für die Jagd bereitgemacht. Die Frau eines Fischers hofft, dass ihr Mann nicht auf Robbenjagd geht. "Die Männer sind oft mehrere Tage im Eis", sagt sie. "Es ist eine sehr gefährliche Arbeit, und ich sorge mich immer."

Auf die Holzplanken des Schiffstegs werden die toten Robben gelegt und dort mit einem scharfen Messer ausgeweidet. Es ist kein schöner Anblick, dessen sind sich die Jäger bewusst. Genauso wenig wie rotes Blut auf weißem Eis. "Auf Video sieht es nie gut aus, irgendwelche Tiere zu töten", sagt der Fischer Baxter Hedderson, der Bruder von Carl. "Aber für uns ist es eine traditionelle Lebensform. Wir brauchen das Geld, um Ausrüstung und Treibstoff für unsere Boote zu kaufen, bevor die Fischerei beginnt."

Fischer wie Carl und Baxter Hedderson ärgert, dass in Europa immer noch behauptet wird, es würden Robbenbabys mit weißen Pelzen getötet. Tatsächlich ist das schon seit 1987 verboten. Erst wenn der Pelz der Jungtiere nach etwa vier Wochen grau wird - ihre Mütter haben sie da schon entwöhnt und verlassen -, dürfen sie erlegt werden. In den vergangenen drei Jahren haben die örtlichen Fischer nur einige wenige Robben für den Eigenbedarf getötet, denn es gab kaum Käufer für die Felle, und der Preis sackte in den Keller. Robbenfelle, -öl und andere Produkte werden immer noch nach Russland und in asiatische Länder verkauft. Im Januar hat auch China den Markt für kanadische Robben geöffnet.

Das Fehlen der Einnahmen aus der Robbenjagd macht die Existenz der Fischer in Neufundland noch prekärer. Viele Männer haben aufgegeben und arbeiten jetzt in den Ölfeldern der Westprovinz Alberta, Tausende von Kilometern weg von Familie und Heimat. "Das ist doch kein Leben", sagt Hedderson.

© SZ vom 18.04.2011/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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