Rezession trifft Bordelle:Die Not im Rotlichtviertel

Eine Finanzkrise der besonderen Art: Auch in Hamburg bleiben die Freier aus, obwohl die Preise fallen.

Christiane Langrock-Kögel

Frische Hähnchenschenkel sind bei Lidl auf der Hamburger Reeperbahn im Sonderangebot, 13 Prozent billiger als sonst. Im ungeputzten Fenster eines Irish Pub hängt die schlichte Verlockung: "Ampelsaufen für drei Euro", vermutlich auch das ein Schnäppchen. Im eigentlichen Kerngeschäft der Reeperbahn sucht man länger nach Sonderpreisen. Die Schaufenster von Laufhäusern, Bordellen und Strip-Bars werben mit klimatisierten Zimmern und prallen Dekolletees. Erst am östlichen Ende der Rotlichtmeile lockt ein Sexshop mit Preisnachlass: "Geile Zeiten! 50 Prozent mehr Laufzeit auf alle Münzen und Scheine!"

Rezession trifft Bordelle: Warten auf Freier: Auch die Rotlichtbranche hat mit der Finanzkrise zu kämpfen.

Warten auf Freier: Auch die Rotlichtbranche hat mit der Finanzkrise zu kämpfen.

(Foto: Foto: AFP)

Die Wirtschaftskrise ist in der Rotlichtbranche angekommen. Und das nicht nur in Hamburg. In Frankfurt musste eines der ältesten Bordelle der Stadt schließen. In Amsterdam geht es gleich um mehrere Häuser, denen "die Rezession den Todesstoß" zu verpassen droht, wie die dortigen Vereinigten Entspannungsbetriebe befürchten. Der Kölner Porno-Produzent Bernd Schütt spricht für die ganze Sex-Branche von "einer beschissenen Marktlage".

Im Puff herrscht anscheinend Ausverkauf. Viele Betreiber versuchen, dem Umsatzeinbruch mit Specials zu begegnen. "Das ist nicht neu, nimmt aber zu", sagt Stephanie Klee vom Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen in Berlin, selbst Prostituierte.

Eine Flatrate im Bordell bedeutet: einmal zahlen, mehrmals kommen. Bei "Zwei für eins" darf der Freier seine Frau mitbringen, Schnittchen inklusive. Ähnlich wie Banken und Autobauer haben auch Pornofilmer und Erotik-Händler um staatliche Unterstützung gebeten, und das war nicht nur scherzhaft gemeint. Hoffnung auf Hilfe hat die Branche nicht: Für die Kanzlerin mache sich im Wahljahr ein Engagement bei Opel sicher besser.

Mit der Krise der Weltwirtschaft haben die Probleme im Rotlicht ohnehin nur begrenzt zu tun. Die Porno-Produzenten stöhnen seit Jahren über einen sich auflösenden Markt, aber das hat vor allem mit Raubkopien und der Verbreitung kostenloser Pornos übers Internet zu tun. Die Finanzkrise komme nur obendrauf, sagt Porno-Produzent Schütt: "Der Markt ist sowieso tot." Ähnliches gilt auch für die Prostitution: "Wenn eine Studentin heute für 20 Euro eine Nummer schiebt, volles Programm, ist das der absolute Preisverfall."

An diesem Punkt stand Anke Christiansen, 53 und selbst lange Prostituierte, schon vor Jahren. 2003 hat sie mit zwei Freundinnen, alle aus dem Gewerbe, in Hamburg das "Geizhaus" gegründet - eines der ersten Discount-Bordelle der Republik ("Geiz macht geil"). 38,50 Euro kostet die halbe Stunde mit einem der 35 Mädchen, die in dem weißen Häuschen im Bezirk Wandsbek arbeiten. Am Tisch in der Küche sitzt die blondgelockte Angie im roten Bademantel und mit dicken Socken an den Füßen. "Freier, die jeden Tag da waren, kommen jetzt wesentlich seltener", sagt sie. "Oder eher gar nicht."

Angie muss im Geizhaus kein Geld in die Hand nehmen. Am Empfang äußert der Mann seine Wünsche und kauft einen Geizhaus-Dollar. Will er mehr als das Grundprogramm, muss er den Einsatz auf 77 Euro verdoppeln. Aber das macht kaum einer. Angies Kollegin Jill weist oft Freier ab, die auf dem Zimmer versuchen, mit den Mädchen zu dealen: "Ich geb' dir noch 'nen Zehner für. . .". Auch am Empfang des frauengeführten Hauses, wo Anke Christiansen in schwarzer Hose und cremefarbener Strickjacke steht, wird gefeilscht. "Bei uns gibt's keinen Nachlass", sagt sie. Höchstens mal eine Werbeaktion, wie sie das nennt: An Halloween durfte jedermann umsonst ran, der sich im Kostüm händchenhaltend mit anderen Freiern anstellte. In drei Monaten zieht das Geizhaus um. Mehr Fläche, mehr Parkplätze. Das ist das, was Anke Christiansen der Krise entgegenhält.

Lustlos bemüht sich dagegen der Chef eines großen Laufhauses an der Reeperbahn um Erklärungen zur Rotlichtkrise. "Die Touristen bleiben aus", sagt er. Vielleicht fehlen der Reeperbahn tatsächlich die zielgerichteten Sex-Besucher. Aber die Übernachtungszahlen in Hamburg steigen, verkündet der Tourismus-Beauftragte stolz. Von St. Pauli spricht er gern als Ausgehviertel für junge Gutverdiener. Zur Flaute des horizontalen Gewerbes trägt sicher auch bei, dass sich der Stadtteil gewollt und Stück um Stück vom großen Puff zum hippen Kult-Viertel wandelt.

Im Umbruch der Branche scheint es auch Gewinner zu geben. Der Flensburger Erotik-Großhandel Beate Uhse meldet als Ergebnis für 2008: 253 Millionen Euro Umsatz und einen Vorsteuergewinn von 3,1 Millionen. 2009 will der Konzern die Zahlen allen Ernstes verdoppeln. Uhse-Mitbewerber Orion, nach eigenen Angaben mit 151 Shops Marktführer, hat "zu kämpfen, sicher", sagt Marketingleiter Jens Seipp. Er betrachtet sein Geschäft aber als "klare Zukunftsbranche". Allerdings abseits der Rotlichtviertel: "Unsere Fachgeschäfte befinden sich in guten Lagen. Wir sind rausgegangen aus der verschwitzten und verschmierten Ecke." Es gebe keine Videokabinen, sagt Seipp, sondern "sex toys".

Wer sich Sex nicht mehr kaufen kann, holt ihn sich wieder zu Hause, mutmaßt der Porno-Produzent Bernd Schütt. In einer Hamburger Revue-Bar hängt im Schaufenster die E-Mail eines Besuchers: "Vielen Dank für die tollen Anregungen. Meine Frau und ich hatten anschließend viel Spaß im Hotelzimmer."

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