Süddeutsche Zeitung

Thailand:Essen im Wasser

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Das "Chao Phraya Antique Café" im Norden von Bangkok trotzt nicht nur dem Monsun-Hochwasser, sondern auch der Pandemie und dem Lockdown. So wurde es zu einem Symbol des Durchhaltens.

Von David Pfeifer, Bangkok

"Kommen Sie bitte etwas später, um 15 Uhr ist der Wasserstand besonders hoch", sagt Titiporn Jutimanon am Telefon. Er betreibt das "Chao Phraya Antique Café" in Nonthaburi, einer Großraumsiedlung im Norden von Bangkok. Sein Restaurant ist innerhalb der vergangenen zwei Wochen sehr berühmt geworden, weil es Essen im Hochwasser serviert, es gingen Bilder um die Welt, von gutgelaunten Menschen, die nicht am, sondern im Fluss sitzen und an Garnelen kauen. Also: kurze Hosen an und in Badelatschen zum frühen Abendessen, ab 21 Uhr ist ja wieder Ausgangssperre.

Das Antique Café ist in einem wunderschönen Teak-Haus untergebracht, aus der Zeit von König Rama V., also mehr als hundert Jahre alt, genaueres weiß man nicht. Es liegt direkt am Fluss Chao Phraya, der sich 400 Kilometer durch Thailand windet und der Bangkok in zwei Hälften teilt. Um 16 Uhr wird es rasch voll, obwohl derzeit die meisten Restaurants, die noch nicht endgültig dichtgemacht haben, pandemiebedingt kaum Kunden haben. Das Wasser ist fast bis zur Straße hochgedrungen, man steigt über Sandsäcke, und dann geht es wadentief über einen schmalen Weg, dessen Boden man durch die trübe Suppe nicht erkennen kann. Stattdessen tastet man sich mit nackten Zehen Schritt für Schritt weiter.

Titiporn Jutimanon hatte das Gebäude erst im Januar gekauft, sein Restaurant in einer Lockerungsphase eröffnet, um die Renovierung zu finanzieren, nun wirbt er mit einem Bild, auf dem seine Kunden lachend auf ihre Stühle springen, um sich vor den Wellen in Sicherheit zu bringen. "Zuerst der Lockdown, dann auch noch die Flut, ich dachte, wir machen lieber dicht", erklärt Jutimanon, der hauptberuflich Gala-Events moderiert und nun von Tisch zu Tisch watet, "aber nachdem wir einen Abend im Wasser serviert haben, sagten die Gäste, lass es doch so. Das macht Spaß".

Bevor der erste Gang serviert wird, werden noch viele Fotos gemacht, für Instagram, für die Freunde und die Familie daheim, wann gibt es denn so was mal zu sehen? Abendessen vor einem prächtigen Sonnenuntergang und ein bisschen Weltuntergang. Seit Wochen leidet die Region unter extremem Hochwasser. Zur Zeit herrscht noch Monsun, doch dieses Jahr sind die Niederschläge so heftig, dass der Chao Phraya halbe Dörfer mitgerissen hat. 70 000 Haushalte wurden überschwemmt, sechs Menschen sind gestorben. Extremwetter, wie überall auf der Welt. Aber natürlich auch menschengemacht: Der große Staudamm im Norden musste geöffnet werden, damit er nicht birst. Nun laufen die Keller und Häuser der Fluss-Anwohner in Nonthaburi und Bangkok voll.

Dass die Gäste die bizarren Dinner-Fotos und Clips verbreiten, hat Jutimanon geholfen. Auch ein in Thailand bekannter Schauspieler verbreitete ein Foto von sich auf der schönen Terrasse des Café in sozialen Netzwerken. So ging es los. Während der zweite Gang serviert wird, macht Jutimanon einen Handy-Clip, wie seine Gäste aufspringen, weil ein Boot vorbeifährt und die Wellen über die Restaurant-Terrasse rauschen. Es wird ein Tischgrill aufgetragen und die Lichterketten werden angeschaltet, als TÜV-konditionierter Europäer hat man Bedenken, doch Jutimanon beruhigt: "Es ist alles sehr sicher hier, wir hatten noch keinen Unfall."

Es gibt nur ein festgelegtes Menü auf Thai, eine Karte für Touristen gibt es nicht, das "Antique Café" ist ein gehobenes Traditionslokal für Einheimische, das Essen schmeckt sehr gut und kostet für vier Gänge pro Person umgerechnet etwa 15 Euro. Während die durchgehend blendend gelaunten Gäste ihre Speckstreifen und Garnelen auf dem Tisch grillen, treibt Unrat vorbei, der Kopf einer Schaufensterpuppe, Plastikflaschen, ein Baum, auf dem ein Silberreiher sitzt, der sich vom Fluss zum Jagen tragen lässt.

Ob das auch Trotz sei, gegen den harten Kurs der Regierung, der viele Kleinunternehmer und Gastronomen in den Ruin getrieben hat, einfach weiterzumachen? "So sehe ich es nicht", sagt Titiporn Jutimanon, "es ist eher typisch thailändisch, dass man das Beste aus einer Situation macht." Mittlerweile ist es kurz nach 19 Uhr, es geht nun rasch ans Zahlen, denn in einer halben Stunde wird der Fluss wieder so hoch stehen, dass man nicht mehr im Trockenen sitzen kann. Außerdem fühlt sich die Haut an den Füßen nach zwei Stunden unter Wasser doch etwas schrumpelig an. "Es war eine deprimierende Zeit", sagt Jutimanon zur Verabschiedung, "die Leute freuen sich einfach über jede gute Nachricht." Er selber wünscht sich, dass sich das Flutwasser bald wieder zurückzieht. Die Aufmerksamkeit, die sein Hochwasser-Restaurant bekommt, freut ihn zwar, aber er hätte auch gut darauf verzichten können. Lieber hätte er sein altes Leben wieder.

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