Resozialisierung:Im Knast sind viele Zellen frei

Arbeit und Ausbildung im Strafvollzug

Eigentlich soll ja schon das Gefängnis auf das Leben in Freiheit vorbereiten, sozusagen in stationärer Resozialisierung - doch das ist nicht so einfach.

(Foto: dpa)

Die Häftlingszahlen sinken, Gefängnisse werden geschlossen. Doch nach ihrer Freilassung werden viele Strafgefangene alleingelassen. Ein neues Resozialisierungsgesetz soll vieles besser machen als bisher - und helfen, wenn der "Ernstfall Freiheit" da ist.

Von Heribert Prantl

Niedersachsen schließt zwei Gefängnisse: Das Gefängnis in Celle-Salinenmoor und das in Braunschweig. Es handelt sich um alte Kästen; das Gefängnis Braunschweig wurde 1884 gebaut. Aber nicht die Sanierungsbedürftigkeit ist der Grund für die "Neuordnung der Vollzugslandkarte", wie das die Landesjustizministerin, Antje Niewisch-Lennartz von den Grünen, formuliert. Grund sind die Leerstände: Im Knast sind viele Zellen frei.

Seit Jahren gehen die Gefangenenzahlen zurück: In Niedersachsen gibt es etwa 6600 Haftplätze, aber nur noch 5400 Gefangene. Meldungen über aufgelassene Gefängnisse wird es alsbald auch aus anderen Bundesländern geben. Die Zahl der Häftlinge sinkt bundesweit; im Jahr 2007 saßen in Deutschland noch 64.273 Menschen in Strafhaft oder Verwahrung, 2013 waren es nur noch 50.374.

Schuld daran ist nicht eine mildere Justiz, sondern die fallende Kriminalitätsrate, zumal bei den Tötungsdelikten. Und schuld ist die Demografie: "Die Vergreisung der Republik fördert die innere Sicherheit enorm", sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer.

Das sind günstige Voraussetzungen für ein Projekt, für das Strafrechtler und Kriminologen, Experten für Strafvollzug und Straffälligenhilfe seit mehr als 25 Jahren werben: für ein Resozialisierungsgesetz. Ein Gesetz also, das sich nicht auf die Zeit in der Haft, sondern auf die Zeit nach der Haft konzentriert; ein Gesetz, das sich nicht um Haftbedingungen und Zellengröße kümmert, sondern um die Eingliederung in die Gesellschaft; ein Gesetz, das dann greift, wenn der "Ernstfall Freiheit" da ist; ein Gesetz, das die Mittel und Möglichkeiten zusammenfasst, die einen Rückfall verhindern sollen.

Ein großes Verwirrsystem

Das derzeitige System der ambulanten Resozialisierung ist ein großes Verwirrsystem. Da kann es einem Probanden passieren, dass sein Fall im Lauf der Jahre von dreißig verschiedenen Sozialarbeitern angefasst wird. Alle wollen oder sollen ihm irgendwie helfen; aber darunter ist kaum einer, der ihn an der Hand nimmt und ihn begleitet. Ein Urvertrauen in eine bestimmte Person kann sich so nicht entwickeln. Das System der sozialen Strafrechtspflege ist seit der Föderalismusreform von 2006 noch schwerer überschaubar als vorher.

In einer Wanderausstellung mit Kunstwerken zum Thema "Obdachlosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung" war ein Bild von Sebastian Blei, einem Ex-Junkie, zu sehen, das zeigt, wie er sich in diesem System vorkommt: Wie die Kugel in einem Flipperautomaten, die zwischen Knast, Ämtern, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen, zwischen Bewährungshilfe, Schuldenregulierungshilfe, Wohnungslosenhilfe, Haftentlassenenhilfe hin- und hergeschleudert wird.

Der Strafrechtsexperte Bernd Maelicke, der 15 Jahre lang Ministerialdirigent und Abteilungsleiter für Strafvollzug im Kieler Justizministerium war, stellt das System Haft und das System ambulante Resozialisierung mit eindrucksvollen Zahlen gegenüber: Für die früher rund 60.000, jetzt etwa 50.000 Strafgefangenen in Deutschland sind insgesamt 40.000 Beamte und Angestellte zuständig, davon 30.000 Beamte und Angestellte im Allgemeinen Vollzugsdienst. Für die insgesamt 200.000 Menschen unter Bewährung gibt es nur etwa 3000 Bewährungshelfer - im Schnitt teilen sich also 70 Probanden einen Bewährungshelfer; oft sind es bis zu hundert. In Österreich ist vorgeschrieben, dass ein Bewährungshelfer maximal 30 Probanden betreuen darf. Maelicke erkennt nun in den sinkenden Gefangenzahlen eine große Chance: Man könne Mittel, die bisher im Strafvollzug stecken, "umsteuern und umschichten in die Bewährungshilfe".

Ein neuer Gesetzesentwurf

Einen Gesetzentwurf dafür hat Maelicke soeben zusammen mit Heinz Cornel, Frieder Dünkel und Bernd-Rüdeger Sonnen ausgearbeitet. Cornel ist Professor für Strafrecht in Berlin und Vorsitzender der Deutschen Bewährungshilfe; Dünkel ist Lehrstuhlinhaber für Kriminologie an der Universität in Greifswald und Sonnen ist emeritierter Strafrechtsprofessor in Hamburg. Ihr Entwurf eines Landesresozialisierungsgesetzes ist nicht einfach eine schöne Vision, sondern die Umsetzung eines Vorhabens, das im Koalitionsvertrag der rot-grünen Regierung von Niedersachsen vorgesehen ist. In Hamburg und Brandenburg gibt es ähnliche Überlegungen.

Der Entwurf der Professoren könnte zur Grundlage von 16 Landesresozialisierungsgesetzen werden; bisher gibt es in Deutschland kein einziges solches Gesetz. Der Entwurf versucht, die Rosinen aus allen Bundesländern, also die guten Resozialisierungsprojekte, zusammenzuklauben und daraus ein Gesamtkonzept zu backen. Zwölf Hilfen zur Resozialisierung werden koordiniert - von der sogenannten Ermittlungshilfe über den Täter-Opfer-Ausgleich bis hin zur Führungsaufsicht und der Hilfe für Angehörige von Straftätern. Besonders wichtig der Paragraf 19: Bei der Durchführung der Hilfen "soll ein Wechsel in der Person der Fachkraft vermieden werden". Im Geschäftsbereich der Landesjustizministerien soll ein "Landesamt ambulante Resozialisierung" gebildet werden, das die staatlichen Hilfen mit denen der Wohlfahrtsverbände harmonisiert.

Wie geht Lernen im Gefängnis?

Eigentlich soll ja schon das Gefängnis auf das Leben in Freiheit vorbereiten, sozusagen in stationärer Resozialisierung: So stand es ganz vorne schon im Strafvollzugsgesetz, als das noch ein Bundesgesetz war. Und so steht es heute in den Strafvollzugsgesetzen der Länder; der Strafvollzug ist seit der Föderalismusreform Ländersache. Und also versuchen die 16 Ländergesetze heute, das schier Unmögliche, den Schutz der Allgemeinheit und die Besserung des Gefangenen unter einen Hut zu kriegen.

Im bayerischen Strafvollzugsgesetz zum Beispiel heißt es in Artikel 2. Erstens: "Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten." Und zweitens: "Er soll die Gefangenen befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen." Dieser Behandlungsauftrag ist wohl der schwierigste Auftrag, den es in einer Gesellschaft gibt. Er funktioniert nicht besonders gut. Wie auch? Wie geht Lernen im Gefängnis? Ausbildung, Arbeit, Behebung von Defiziten. Wie soll das in einem Acht-Quadratmeter-Wohn-Ess-Schlaf-Klo Wirklichkeit werden? Wie geht Resozialisierung, wenn einer nie sozialisiert war?

Reif für das Leben in Freiheit wird man in der Freiheit - meinen die vier Professoren. Der Weg zu diese Reife soll künftig gerader sein. Das gilt für die Straftäter, die von vornherein zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden. Und das gilt für die, die ins Gefängnis geschickt werden und sich anschließend draußen bewähren sollen. Wer dort keinen sozialen Empfangsraum hat, dafür aber eine unklare Wohnsituation, Schulden und wenig Perspektiven - der braucht stabile Hilfe.

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