Süddeutsche Zeitung

Reproduktionsmedizin:Enkel aus der Kältekammer

Ein kleiner Junge aus der chinesischen Provinz Jiangsu wurde vier Jahre nach dem Tod seiner Eltern geboren. Der Fall wirft Fragen auf, was moderne Medizin darf.

Von Christina Berndt

Tiantian ist nicht nur so süß, wie es sich für ein Baby gehört, er heißt auch so. Mit Stolz haben seine vier Großeltern in der ostchinesischen Provinz Jiangsu gerade die ersten 100 Tage seines Lebens gefeiert und ihn der Zeitung Beijing News präsentiert. Zahnlos, mit schütterem dunklen Haarflaum und in ein dickes, weißes Tuch gehüllt, so zeigten sie ihn der Presse. Denn so gewöhnlich dieses Baby auch erscheint, seine Entstehungsgeschichte ist es nicht: Als Tiantian im Dezember 2017 geboren wurde, waren seine Eltern seit fast vier Jahren tot.

Ein Verkehrsunfall hatte Shen Jie und Liu Xi aus dem Leben gerissen. Dabei wollten die beiden jungen Leute gerade Leben schenken. Fünf Tage nach dem Unfall hätten der Frau Embryonen eingesetzt werden sollen, die in einer Fruchtbarkeitsklinik gezeugt worden waren. Die Großeltern hatten die Behandlung finanziert, und sie wollten nach dem Tod ihrer einzigen Kinder wenigstens die Hoffnung auf Enkel nicht begraben. Drei Jahre lang kämpften sie vor Gericht um die tiefgefrorenen Embryonen, bis sie sie schließlich nach Laos bringen durften. Dort brachte eine Leihmutter Tiantian ein Jahr später zur Welt. "Seine Augen sehen aus wie die von meiner Tochter, aber insgesamt gleicht er mehr seinem Vater", sagte Hu Xinxian, Tiantians Großmutter mütterlicherseits, den Beijing News.

Der Bericht hat in China eine Diskussion über Leihmutterschaft in Gang gesetzt, die dort ebenso wie in Deutschland verboten ist. Es geht aber auch um die wichtige Frage: Was darf die moderne Reproduktionsmedizin, die Nachwuchs auch unter den ungewöhnlichsten Umständen zu erzeugen vermag, Kindern eigentlich zumuten? Wie wird es Tiantian ergehen, wenn er eines Tages erfährt, dass er das Kind zweier Toter ist?

Embryonenspende ist nichts anderes als eine frühe Adoption, meint ein Professor

Streit um die Grenzen der Fortpflanzungsmedizin gibt es auch in Deutschland immer wieder. Hierzulande dürfen zwar Embryonen in der Petrischale nur erzeugt werden, um sie einer Frau einzusetzen; dennoch kommt es häufig zur Überproduktion. In Stickstofftanks lagern Zehntausende Embryonen, deren Eltern keine weiteren Kinder wünschen. Solche verwaisten Embryonen sollten von anderen Paaren adoptiert werden dürfen, hat der Deutsche Ethikrat im Jahr 2016 festgestellt. "Ich habe große Bedenken gegen die Leihmutterschaft, weil die Gefahr der Ausbeutung groß ist", sagt der Theologe Peter Dabrock, der Vorsitzende des Ethikrats. Die Spende von Embryonen aber befürwortet er grundsätzlich. Sie könne "Lebenschancen eröffnen".

Die Embryonenspende sei letztlich nichts anderes als eine frühe Adoption, meint auch Gregor Hasler, Chefarzt an der Psychiatrischen Klinik der Universität Bern. Es komme darauf an, wie die Familie damit umgehe. Tiantians Großeltern wollten offenbar den Tod ihrer Kinder ungeschehen machen, und es tue dem Enkel sicher nicht gut, wenn er seine Eltern ersetzen müsse. "Aber grundsätzlich sind Kinder sehr flexibel, die nehmen die Dinge so an, wie sie sind", sagt Hasler. Adoptivkindern jedenfalls ergeht es nicht schlechter als anderen Kindern, wie Studien zeigen. Wenn sie etwas quält, dann oft die Frage, weshalb sie nicht gewollt waren. Diese Sorge, sie wird Tiantian zumindest nicht plagen.

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SZ vom 13.04.2018/bix
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