Reklame:Der Opa, der alle zum Weinen bringt

Weihnachtswerbung mit einsamen Rentner wird zum Internethit

Das ist der britische Kleindarsteller und gelernte Fernmeldetechniker Arthur Tulloch Nightingale. Seine 106 Sekunden dauernde Rolle in einem Werbespot könnte sein größter Erfolg werden.

(Foto: Edeka/dpa)

Edekas neuer Werbespot wurde mehr als zehn Millionen Mal geklickt. Wer ist der nette alte Mann im Clip?

Von Martin Zips

Die Tränen seien ihr gekommen, bei diesem "außerordentlich anrührenden und bewegenden" Werbespot, zitiert der Evangelische Pressedienst die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler. Dieser Film sei eine "Predigt im Kleinen", die zu "Menschlichkeit und Warmherzigkeit an Weihnachten" aufrufe.

Moment, jetzt noch mal zur Erinnerung: Wir reden hier von einem Werbespot. Erstellt im Auftrag der Supermarktkette Edeka. Offenbar kann man dort Braten, Karotten und Rotwein kaufen. Das alles nämlich findet sich auf dem Tisch eines einsamen, nicht nur die Bischöfin zu Tränen rührenden alten Mannes.

Für den Schauspieler könnte es die Rolle seines Lebens werden

Die Rolle könnte für den britischen Kleindarsteller Arthur Tulloch Nightingale die Rolle seines Lebens werden. Telefonisch ist der gelernte Fernmeldetechniker zwar nicht erreichbar. Keine Zeit, sagt seine Agentin Anita Alraun, "er steht gerade für eine Netflix-Serie vor der Kamera, die sich mit der Regentschaft von Queen Elizabeth II. befasst". Wieder nur eine Nebenrolle. Allerdings, sagt die Agentin, hagele es plötzlich Anfragen wie noch nie.

Der 83 Jahre alte Nightingale ist erst mit Ende 30 zur Schauspielerei gekommen. Seine Frau hatte ihn damals - gerade vom Töpfer-Kurs zurück - im Wohnzimmer ermahnt, doch "endlich mal rauszugehen" und nicht immer nur vor dem Fernseher zu hocken, erzählte er vor Jahren mal einem Journalisten. Also entschied er sich, bei der Drama School "East 15" vorzusprechen, spielte später auf der Bühne Brecht und Shakespeare - und übernahm auch kleinere Parts in Musicals.

Nach insgesamt eher erfolglosen Jahrzehnten erhielt der Londoner, der im Edeka-Spot "Werner" heißt, weitere Mini-Rollen in Filmen wie "Dame, König, As, Spion", "Quartett", "Anna Karenina" oder "Song für Marion". Zu einem Wikipedia-Eintrag hat es bei ihm bis heute nicht gereicht.

Das dürfte sich bald ändern. In dem 106-Sekunden-Spot inszeniert Nightingale als einsamer Opa nämlich sogar seine eigene Beerdigung sehr überzeugend. Alles nur, um seine weit verstreute Familie zum Weihnachtsfest endlich einmal bei sich zu haben, beim Edeka-Braten.

Das Video wurde mehr als zehn Millionen Mal geklickt

Das Youtube-Rührstück wurde seit Samstag mehr als zehn Millionen Mal geklickt. Entwickelt haben die Kampagne wieder die Werber der Hamburger Agentur Jung von Matt. Die hatten schon vor zwei Jahren das Berliner Szene-Gewächs Friedrich Liechtenstein ("Super Uschi, Super Muschi, Super Sushi, Super geil") supermarkttechnisch aufbereitet. Die Clips wurden ebenfalls millionenfach geklickt.

Vor einem Jahr folgte die "Kassensymphonie", in der Edeka-Kassierer Barcode-Scanner "Jingle Bells" piepsen lassen. Der Mensch, so die Aussage, ist halt doch nicht nur Maschine. Selbst dann nicht, wenn er unterbezahlt an der Kasse sitzt. Das Video hatte mehr als 28 Millionen Zugriffe.

Im neuesten Spot nun geht es um die allerletzten Dinge. Opa allein zu Haus. Traurig stellt er Fotos mit Tochter, Sohn und Enkeln auf. Eine weibliche Stimme ist auf dem Anrufbeantworter zu hören: "Wir werden es Weihnachten dieses Jahr wieder nicht schaffen. Wir versuchen es nächstes Jahr und dann klappt es ganz bestimmt. Fröhliche Weihnachten, Papa." Spätestens nach zehn Sekunden rollt sie schon, die erste Träne.

Als die Familie nach der Beerdigung das Haus des (plötzlich um die Ecke biegenden) Senioren betritt, rollt die zweite. "Wie hätt' ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?", fragt er.

In den Kommentarspalten gehen die Meinungen auseinander

Das ist sehr rührend, von Nightingale toll gespielt und szenarisch von Produzent Justin Mundhenke gut durchdacht. Allein durch Netz-Kommentare wird es einem madig gemacht, die "die ganze Aufregung" nicht verstehen, weil man doch selbstverständlich jedes Jahr bei der Verwandtschaft vorbeischaue, das sei ja schließlich "ganz normal". Andere finden die Sache mit dem Beerdigungs-Fake sogar makaber und meinen, Edeka hätte besser "das Thema Flüchtlinge" aufgegriffen.

Vor allem gibt es solche Kommentare: "Danke. Wegen Euch heule ich jetzt und werde vermutlich über Weihnachten 1200 Kilometer fahren, um meine Oma zu besuchen." So viel Emotion war selten, am Smartphone in der S-Bahn. Was zählt in diesen dunklen Zeiten schon mehr als das eigene kleine Familienglück? Unter dem Baum wird es heuer schon nicht so zugehen wie in Thomas Vinterbergs Familiendrama "Das Fest". I'm driving home for Christmas. Und vielleicht gibt es Braten und Karotten.

Ob Arthur Tulloch Nightingale an Weihnachten Besuch bekommt? Seit 56 Jahren ist er mit seiner Frau verheiratet. Ob er mit ihr Rotwein trinkt? Na, vielleicht findet es die Münchner Regionalbischöfin bald heraus. Die ist sicher schon auf dem Weg zu ihm.

"Ach, wäre ich nur Fernmeldetechniker geblieben", hat Arthur Tulloch Nightingale einmal geklagt. "Dann hätte ich jetzt eine fette Pension." Man kann echt nur hoffen, dass er mit den Jungs von Jung von Matt richtig gut verhandelt hat.

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