Reise durch Lateinamerika:Über den Boden von Korruption und Gewalt

Pope Francis is seen praying in front of the image of Our Lady of Guadalupe while celebrating mass at the Basilica of Guadalupe in Mexico City

Wie schon bei früheren Staatsbesuchen sprach Papst Franziskus auch auf seiner Mexikoreise Fragen an, welche die Machthaber eigentlich sehr schmerzen sollten.

(Foto: Max Rossi/Reuters)

Mexikos Regierung inszeniert ein leuchtendes Spektakel, aber Papst Franziskus legt ungerührt den Finger in die Wunde: Wegen der Korruption liest er Politikern und Kirchenfürsten die Leviten.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Mexiko, das kann man so festhalten, hat Papst Franziskus einen glänzenden Empfang bereitet. Eine Lichterkette aus Tausenden Mobiltelefonen erleuchtete die ersten Schritte des katholischen Kirchenoberhaupts auf mexikanischem Boden, der Papst kam gerade von seinem historischen Wangenküsschen mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill aus Havanna.

Das mit den Handys war eine Idee der mexikanischen Regierung, die zudem zahlreiche traditionelle Tanzgruppen als Begrüßungskomitee am internationalen Flughafen von Mexiko-Stadt aufbot. Es dauerte nicht lange, bis der Papst sein weißes Käppchen gegen einen bunten Sombrero getauscht hatte - wunderbare Bilder, die rasch unter dem Hashtag #PapaEnMex Karriere machten. Abgerundet wurde die fröhliche Begrüßungszeremonie mit einem Lied, das die Schauspielerin Angélica Rivera mit einem Ensemble aus mexikanischen Schlagersängern aufgenommen hatte. Das Lied heißt: "Mexiko bemalt sich mit Licht."

Eine Präsidentengattin, die für den Heiligen Vater eigens einen Schlager trällert

Schwer zu sagen, ob dieser Titel freiwillig oder unfreiwillig etwas über die mexikanische Realität sagt. Es ist ja kein Geheimnis, dass in diesem Land nicht alles so schön glänzt wie die Smart-Phone-Bildschirme am Flughafen. Und es ist auch nicht zu übersehen, dass die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto dieser Tage krampfhaft versucht, die dunklen Seiten dieser Realität zu kaschieren so gut es eben geht. Mexiko bemalt sich mit Licht? Das könnte man für einen Satirebeitrag halten - wäre die singende Schauspielerin Rivera nicht gleichzeitig die Gattin des Staatspräsidenten.

Papst Franziskus hatte dann auch recht schnell deutlich gemacht, dass er nicht nach Mexiko gekommen war, um sich von einer Lichtershow blenden zu lassen. Schon beim sogenannten Höflichkeitsempfang im Regierungspalast verurteilte er mit ungewöhnlich unhöflichen Worten die Drogenkriminalität und die Korruption in dem Land mit der zweithöchsten Zahl an Katholiken weltweit. Der Pontifex ließ auch keine Zweifel daran, an wen sein Appell gerichtet war. Im Beisein des Präsidenten und der First Lady forderte er den Aufbau eines "menschenwürdigen politischen Lebens". Die politisch Verantwortlichen müssten dafür Sorge tragen, dass alle Bürger "effektiv Zugang" zu angemessenem Wohnraum, einer menschenwürdigen Arbeit, zu Gerechtigkeit, Sicherheit und Frieden finden.

Viele Mexikaner, vor allen in den vom Drogenkrieg geplagten nördlichen Landesteilen, können davon nur in ihren Gebeten träumen. Schätzungsweise 100 000 Menschen sind im Drogenkrieg in den vergangenen zehn Jahren umgekommen, weitere 27000 sind spurlos verschwunden. Die wenigsten dieser Fälle sind auch nur ansatzweise aufgeklärt worden. Vielerorts stecken Richter, Lokalpolitiker, Polizisten und Teile des Militärs mit den Drogenbossen unter einer Decke, in manchen Regionen haben die Kartelle komplett die Macht übernommen. Um es mit den päpstlichen Worten auszudrücken: "Das Streben nach Privilegien und persönlichen Vorteilen bereitet in der Gesellschaft den Boden für Korruption, Gewalt, Menschenhandel, Entführungen und Tod."

So direkt haben sich die herrschenden Eliten Mexikos selten live anhören müssen, dass sie zumindest Mitschuld tragen an der moralischen Krise im Land. Bei einem Treffen mit mexikanischen Bischöfen nahm der Jesuit Franziskus aber auch die überwiegend konservative Kirchenhierarchie in die Pflicht. Das Land brauche keine "Fürsten", sondern Botschafter des Herrn, rief er den Bischöfen zu. Auch das ließ wenig Raum für höfliche Interpretationen.

Die Reiseroute des Pontifex führt genau an die Orte, an denen es wehtut

Der Papst kann noch so oft betonen, er sei nicht für die Politik, sondern für die Spiritualität zuständig - er erweckt zu keiner Zeit den Eindruck, dass er gewillt ist, sich daran zu halten. Selbst bei der heiligen Messe in der Basilika von Guadalupe, dem wichtigsten Marienwallfahrtsort des amerikanischen Kontinents und damit dem religiösen Höhepunkt des fünftägigen PapstProgramms, waren die irdischen Fragen allgegenwärtig. Die Predigt des Papstes richtete sich direkt an die Opfer der Drogenkriminalität: "Die Tränen der Leidenden sind nicht umsonst", sagte er. Franziskus betrachtet Mexiko ohne jeden Zweifel als einen Brennpunkt der Krise dieser Zivilisation. Und er hat begriffen, dass sich die Gläubigen dieses Landes, in dem es so wenige moralische Vorbilder gibt, nicht nur spirituellen Beistand, sondern auch konkrete Hilfe erwarten vom ersten lateinamerikanischen Pontifex.

Schon die Reiseroute erscheint als politisches Statement. Papst Franziskus geht nicht dorthin, wo sich Mexiko mit Licht aufhübschen lässt, sondern dorthin, wo es wehtut. Am Montag fliegt er nach San Cristóbal de las Casas in der Provinz Chiapas, dort kämpfen indigene Minderheiten bis heute größtenteils vergeblich um ihre Menschenrechte. Am Dienstag reist er dann nach Morelia im Bundesstaat Michoacán, einen der blutigsten Schauplätze des Drogenkrieges in den vergangenen Jahren. Am Mittwoch feiert Franziskus schließlich noch eine Abschlussmesse in Ciudad Juárez, direkt an der Hochsicherheitsgrenze nach El Paso, Texas. Dort will er auch die berüchtigte Haftanstalt Cereso-3 besuchen, wo 2011 bei einer Gefangenenrevolte 17 Menschen starben.

Die mexikanischen Gefängnisse gelten seit geraumer Zeit als rechtsfreier Raum, in dem die Insassen das Kommando führen, weltweit gesuchte Verbrecher nach Belieben hinein- und herausspazieren und es zu tödlichen Bandenkriegen kommt: etwa am vergangenen Donnerstag in Monterrey, als 52 Menschen starben. Staatspräsident Peña Nieto sprach den Angehörigen dann auch ordnungsgemäß sein Beileid aus. Von Papst Franziskus erwarten sich viele Mexikaner hingegen, dass er am Mittwoch sagt, wer in solchen Gefängnissen eigentlich für Ordnung sorgen müsste.

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