Süddeutsche Zeitung

Reformen im Vatikan:Der heilige Zorn des Papstes

Warum der Kampf um den Kurs der Kirche zwischen Franziskus und konservativen Kardinälen immer härter geführt wird - und es 2018 zum großen Krach kommen könnte.

Von Matthias Drobinski

Es war ein vergleichsweise ruhiges Weihnachtsfest für Papst Franziskus. Es gab keine dramatische Geste, über die nun die Welt diskutieren würde, keine schräge Formulierung, die des Papstes Sprecher geradebiegen müssten. Franziskus hat in der Christmette an die vielen Familien erinnert, die, wie einst Maria und Josef, ihre Heimat verlassen müssen, und daran, dass die Hirten auf dem Felde, denen die Engel zuerst die Geburt des Erlösers verkündeten, die Ausgestoßenen ihrer Zeit waren. Er hat sich an der kleinsten Krippe der Welt erfreut, die man nur mit dem Mikroskop sehen kann, hat den Akrobaten applaudiert, die in der Audienzhalle auftraten. Eine kleine Auszeit, bevor der Betrieb weitergeht. Warum nicht? Seinem Ärger hat der Papst schließlich schon vor Weihnachten Luft gemacht.

Vor Ostern wäscht Franziskus den Armen die Füße - und vor Weihnachten der Kurie den Kopf. So lassen sich die Traditionen zusammenfassen, die sich unter Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien herausgebildet haben. Am 21. Dezember beklagte er vor den leitenden Mitarbeitern der Welt-Kirchenzentrale die "unausgewogene und verwerfliche Mentalität von Verschwörungen oder kleinen Zirkeln". Sie stellten "ein Krebsgeschwür dar, das zur Selbstbezogenheit führt".

Franziskus warnte vor der Gefahr, dass sich Mitarbeiter "von Ambitionen oder Eitelkeiten korrumpieren lassen und sich selbst, wenn sie dann sanft entfernt werden, fälschlicherweise zu Märtyrern des Systems erklären, anstatt ihr ,mea culpa' zu sprechen". Einen der aus Sicht des Papstes sanft Entfernten konnte man danach beim seriellen Händeschütteln und Ring-Küssen der Kardinäle mit dem Papst beobachten: Zwischen dem deutschen Kardinal Gerhard Ludwig Müller, bis Juni als Präfekt der Glaubenskongregation der drittwichtigste Mann im Vatikan, und dem Papst reichte es nur noch zu einem knappen Händedruck.

Man kann die Angewohnheit des Papstes, immer vor Weihnachten der Kurie eine Gardinenpredigt zu halten, als spezielle Form der Mitarbeitermotivation deuten. Man kann dies aber auch als Zeichen dafür ansehen, dass Franziskus anhaltend unzufrieden darüber ist, wie schleppend die Reformen in der Kurie vorangehen, wie groß dort die Widerstände, Verunsicherungen und Verärgerungen sind - und wie schwierig es überhaupt ist, die Weltkirche aus jener Erstarrung und Selbstbezogenheit zu holen, die Kardinal Bergoglio unmittelbar vor seiner Wahl zum Papst skizzierte.

Am 13. März ist es nun fünf Jahre her, dass der neu gewählte Papst Franziskus im einfachen weißen Gewand vor die Gläubigen auf dem Petersplatz trat. Der Mann, der sich nach dem Heiligen der Armen nannte, hat das Amt mit seiner demonstrativ bescheidenen Lebensführung revolutioniert. Er hat mit seinen Schreiben über die "Freude des Evangeliums" oder die Umweltenzyklika "Laudato si" neue Türen zur Welt geöffnet und mit zwei Bischofsversammlungen zum Thema Ehe, Familie und Sexualität eine Debatte ermöglicht, die lange tabu war in der Kirche. Das hat Franziskus weltweit Sympathie auch übers Kirchenvolk hinaus eingebracht.

Aber viele Reformen sind stecken geblieben in Chaos und schlechter Planung. Mitglieder des Gremiums aus neun Kardinälen, das den Papst bei den Reformen unterstützen soll, äußern sich frustriert - es werde dort viel geredet und wenig entschieden. Vor allem die Reform der Vatikanfinanzen kommt nicht recht voran.

Kardinal George Pell, des Papstes Finanzchef, muss sich in Australien vor Gericht wegen Kindesmissbrauchs verantworten und ist beurlaubt. Im Juni trat der Wirtschaftsprüfer Libero Milone zurück und erklärte, er sein durch eine Intrige dazu gezwungen worden; immer wieder landen geheime Dokumente aus dem Reformprozess bei Journalisten. Auch andere Umstrukturierungen wie die der vatikanischen Medien sorgen für Unruhe.

Und zunehmend gibt es Widerstand von konservativen Bischöfen und Kardinälen, für die der Papst die Wahrheit der Kirche an den Zeitgeist verkauft. Vier Kardinäle äußerten vor mehr als einem Jahr ihre Zweifel ("dubia"), ob das päpstliche Schreiben "Amoris laetitia", dem zufolge in Ausnahmefällen Geschiedene, die wieder geheiratet haben, zur Kommunion zugelassen werden können, noch der Lehre der Kirche entspreche. Der Papst - ein Irrlehrer? Treibende Kraft der Kritik ist der amerikanische Kurienkardinal Leo Burke, den Franziskus erst entmachtete und dann im September wieder an die Apostolische Signatur berief, das oberste Kirchengericht.

Ans Aufhören denkt der Papst offenbar nicht

Burke ist ein intelligenter Netzwerker. Wie viele Kollegen ihn unterstützen, ist unklar - es gibt keine organisierte Opposition in der katholischen Kirche, und nicht immer sind die Fronten klar: Es gibt Kardinäle, die die Kurienreform gut finden, nicht aber des Papstes theologische Auffassungen - und umgekehrt. Die nächste Bischofsversammlung im Oktober 2018 wird da hoch spannend. Es geht um Jugend und Glaube und um die Frage, wie mehr Priester und Ordensleute gewonnen werden können. Viele Bischöfe aus Deutschland, Westeuropa und auch Lateinamerika wünschen sich eine offene Diskussion mit offenem Ausgang, auch über den Zölibat. Viele aus Osteuropa, Afrika oder Nordamerika wünschen, dass die alte Lehre und Praxis bleibt. Die Abstimmungen dort werden auch Abstimmungen über den Kurs des Papstes sein.

Eins immerhin zeigt der Zorn des Papstes, der sich in der vorweihnachtlichen Ansprache entlud: Ans Aufhören denkt er offenbar nicht. Nach seiner Wahl hatte er gesagt, dass er sich vorstellen könne, nach fünf Jahren im Amt zurückzutreten. Von dieser Haltung scheint der 81-Jährige abgerückt zu sein. Er würde seinem Nachfolger eine halb fertige Kurienreform hinterlassen und einen innerkirchlichen Richtungsstreit. Abgesehen davon, dass dann zwei emeritierte Päpste durch die vatikanischen Gärten spazieren würden. Franziskus dürfte 2018 alles versuchen, seinen Kurs unumkehrbar zu machen, auch durch die Ernennung neuer Kardinäle, die dann einmal seinen Nachfolger wählen dürfen. "Solange er kann, wird er weitermachen", sagt ein Insider.

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SZ vom 29.12.2017/vbol
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