Süddeutsche Zeitung

Fall Rebecca:150 neue Hinweise, aber keine Leiche

  • Die 15-jährige Rebecca aus Berlin wird seit mehr als zwei Wochen vermisst. Die Polizei geht davon aus, dass sie von ihrem Schwager getötet wurde.
  • Der Verdächtige schweigt zu den Vorwürfen, die Polizei hat die Bevölkerung um Hilfe gebeten.
  • Mit einer Hundertschaft und einem Hubschrauber suchen die Ermittler ein Waldstück bei Storkow ab.

Von Verena Mayer, Berlin

Ein Mädchen wird vermisst. Es ist 15, schwärmt für den Sänger einer Boyband und sollte an einem Februarmorgen in der Schule sein. Doch dort erscheint das Mädchen nicht, die Whatsapp-Nachrichten, die ihre Mutter schickt, liest es nicht. Geht es nach der Statistik, wäre das ein fast schon klassischer Vermisstenfall. Für Januar 2019 listet das Bundeskriminalamt 10 600 vermisste Menschen in Deutschland auf, die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Sie laufen weg, weil sie Liebeskummer oder Streit mit den Eltern haben, weil sie mit anderen Jugendlichen unterwegs sind oder nicht zur Schule wollen. Und die allermeisten sind spätestens nach einer Woche wieder da.

Das war es auch, was die Berliner Ermittler vermuteten, als sich am 18. Februar die Eltern der 15-jährigen Rebecca an die Polizei wandten. Es war ein Montag, Rebecca hatte das Wochenende bei der Familie ihrer Schwester verbracht, die Schule begann an diesem Tag zwei Stunden später als sonst. Was lag näher als zu denken, dass Rebecca irgendwo unterwegs sein, die Zeit übersehen haben könnte?

Die Polizei sucht ein Waldstück bei Storkow in Brandenburg ab

Inzwischen ist klar, dass Rebeccas Verschwinden die Ausnahme von der Statistik ist. Es gibt immer mehr Hinweise, dass die Jugendliche Opfer eines Verbrechens wurde. Und dass ihr Schwager etwas damit zu tun haben könnte. Der sitzt seit Anfang der Woche in Untersuchungshaft. Doch von dem 27-jährigen Florian R. ist nichts zu erfahren, in den Vernehmungen hat er beharrlich geschwiegen. Hat er das Mädchen womöglich getötet?

Und wenn ja, wie wollen ihn die Ermittler überführen? Immer wieder geht dieser Tage das Foto durch die Medien, mit dem die Polizei nach Rebecca sucht. Ein Instagram-Bild, das die 15-Jährige selbst mit Apps bearbeitet hat, wie es viele Jugendliche tun. Es zeigt das Mädchen, wie es sich am besten gefiel, große Augen, volle Lippen, dieses Bild ist wohl auch einer der Gründe, warum Rebeccas Verschwinden eine so große Öffentlichkeit bewegt. Am Mittwoch war der Fall dann in der Sendung Aktenzeichen XY... ungelöst. Seither gibt es 150 neue Hinweise, einer davon führte die Ermittler am Donnerstag in ein Waldstück bei Storkow in Brandenburg. Eine Hundertschaft und ein Hubschrauber waren im Einsatz.

Sieben Stunden durchkämmten sie das Gebiet, dann wurde die Aktion abgebrochen - vorerst.

Gab es Streit?

Polizeiliche Routine, sagt Dirk Peglow, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Er hat selbst einmal geholfen, einen spektakulären Vermisstenfall aufzuklären, die Entführung des elfjährigen Bankierssohnes Jakob von Metzler 2002. Wenn Kinder und Jugendliche verschwinden, frage er nach folgenden Dingen, sagt Peglow: Wo sind ihre Reisedokumente, haben sie Kleidung mitgenommen, Geld abgehoben? Gibt es Streit oder eine Krankheit, haben sie womöglich einen Abschiedsbrief hinterlassen? "Wenn all das negativ ist, ist ein Verschwinden von fremder Hand wahrscheinlich."

So auch bei Rebecca: Ihre Wäsche und Zahnbürste waren noch im Einfamilienhaus in Berlin-Neukölln, in dem ihre Schwester mit Florian R. und der gemeinsamen kleinen Tochter lebt. Dafür war Rebeccas Handy plötzlich abgeschaltet. Ein Handy lenkte auch den ersten Verdacht auf Florian R., der als Koch in einem Berliner Hotel arbeitet und an dem Montag erst morgens von einer Feier nach Hause kam. Florian R. will geschlafen haben - die Polizei fand aber heraus, dass er zur fraglichen Zeit Whatsapp-Nachrichten beantwortete. Florian R. will Rebecca zudem an dem Morgen nicht mehr gesehen haben - ihr Handy war aber noch in den Router des Hauses eingeloggt. Die Ermittler sind sich inzwischen sicher, dass das Mädchen das Haus nicht verlassen hat. Und dass sie zuletzt allein mit dem Schwager war, ihre Schwester war zur Arbeit gegangen.

Das Wichtigste sei es jetzt, die Leiche schnell zu finden

Eine Tat im nahen Umfeld: Für den Kriminalbeamten Dirk Peglow ein Indiz dafür, dass ein verschwundenes Kind nicht mehr lebt. Er kann sich gut an den Fall Jakob von Metzler erinnern. Als klar war, dass der Entführer aus dem Bekanntenkreis stammte, hätten sie gewusst, dass der Junge tot ist. "Ein Bekannter wird sein Opfer, das ihn identifizieren kann, nicht freilassen." Das Wichtigste im Fall Rebecca sei es jetzt, die Leiche schnell zu finden, damit so wenige Spuren wie möglich verloren gehen.

Die Polizei sucht im Berliner Umland nach Rebecca, was mit einem besonderen Fahndungsinstrument zu tun hat: dem automatischen Kennzeichenerfassungssystem KESY. Dabei werden Nummernschilder ausgelesen, etwa, wenn nach gestohlenen Fahrzeugen gefahndet wird oder Straftaten verhindert werden sollen. Die Standorte der Überwachungskameras gibt die Polizei nicht bekannt, in Brandenburg soll es an die zehn Vorrichtungen geben. Bei einer dieser Maßnahmen wurde zufällig der himbeerfarbene Renault der Familie R. erfasst. Das Auto war demnach am Vormittag des Verschwindens von Rebecca auf der Autobahn Richtung Frankfurt (Oder) unterwegs und am nächsten Tag noch mal spätabends. Liegt dort die Lösung des Falls? Taucht im waldreichen Berliner Umland auch die lilafarbene Fleece-Decke auf, die mit Rebecca aus dem Haus des Schwagers verschwunden ist? Im Kofferraum des Autos wurden Faserspuren der Decke gefunden, dazu Haare von Rebecca.

Inzwischen wird auch öffentlich mit Fotos des Schwagers gefahndet. Sie zeigen einen jungen Mann mit braunen Haaren und Bart. Die Hürden für eine solche Maßnahme seien hoch, sagt Peglow, die Ermittler müssen nachweisen, dass es um eine Straftat von erheblicher Bedeutung geht und alle anderen Methoden ausgeschöpft wurden. Auch persönliche schutzwürdige Interessen dürften der Veröffentlichung nicht entgegenstehen. Nicht zuletzt sei dies eine große Belastung für die Angehörigen. Die Familie von Rebecca steht hinter Florian R.. Der junge Mann habe mit Rebeccas Verschwinden nichts zu tun, sagte Rebeccas Vater dem Sender RTL, er solle mit den Ermittlern reden, "damit die ganze Suche in die andere Richtung geht".

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SZ vom 08.03.2019/eca
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