Reaktionen auf Mord in der Türkei:Per Anhalter in den Tod

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Eine italienische Künstlerin, die im Brautkleid durch das Land reiste, ist in der Türkei ermordet worden. Die Reaktionen auf die Tat sind erstaunlich.

Kai Strittmatter

Auf ihrer Webseite kann man noch immer einen Link anklicken: "Pippa Bacca, where are you?" Man kann dort ihre Reiseroute anschauen und stellt fest, dass die 33jährige derzeit eigentlich in Tel Aviv hatte sein wollen. Am Ziel.

Pippa Bacca wollte als Braut gekleidet bis nach Palästina reisen - im Zeichen des Friedens. (Foto: Foto: dpa)

Pippa Bacca ist aber tot. Ermordet. Ihr Leichnam wurde am Montagabend von Istanbul in ihre italienische Heimat überführt. Am 8. März war sie von dort aus gestartet, gemeinsam mit ihrer Freundin Silvia Moro. "Bräute für den Frieden" hatten die Künstlerinnen sich genannt.

Und weiße, selbstgenähte Brautkleider angezogen. "Das ist das einzige Kleid, das wir mitnehmen", hatte Pippa Bacca auf der Webseite geschrieben. Bis Israel und Palästina wollte sie das Kleid anbehalten, "mit all den Flecken, die es während der Reise annimmt". Und so für den Frieden werben, in Gegenden, wo der Hass aufeinander die Menschen nicht loslässt.

Die Freundinnen reisten per Anhalter, das war Teil des Projekts. Sträflicher Leichtsinn? Ihre Tochter, sagte die Mutter, habe zeigen wollen, "dass die Menschen Vertrauen verdienen."

"Türkei, schäme dich"

Von Mailand aus ging es durch Slowenien, Kroatien, Bosnien, später Serbien und Ungarn. In Istanbul trennten sich die Freundinnen, sie wollten sich in Tel Aviv wieder treffen. Kurz hinter Istanbul stieg Pippa Bacca in einen Lastwagen, der sie nach Ankara bringen sollte.

Es war der 31. März. Der Fahrer, Murat K., zweifacher Familienvater, schleppte sie bei der Stadt Gebze in einen Wald. Dort vergewaltigte und erwürgte er Pippa Bacca. Ihr Handy nahm er mit. Vergangenen Samstag fand ihn die Polizei.

Die Türkei reagierte schockiert und beschämt. "Sie trampte sicher durch den Balkan, um dann in unserem Land ermordet zu werden", kommentierte die liberale Zeitung Radikal fassungslos: "Sie hat ihr Leben verloren, weil sie nicht zögerte, den Türken zu vertrauen". Ministerpräsident Tayyip Erdogan nannte die Tat einen "abscheulichen, blutrünstigen Akt".

Wenigstens drei Zeitungen erschienen mit Schlagzeilen auf Italienisch: "Wir sind in Trauer" ( Star), "Pippa verzeih uns" ( Sabah), "Unser Schmerz ist groß" ( Milliyet). Auf Türkisch klang das nicht weniger entsetzt - und erstaunlich selbstkritisch. "Türkei, schäme dich", hieß es im Boulevardblatt Takvim. Und weil sich sofort Stimmen zu Wort meldeten mit möglichen Anworten auf diese Frage, findet sich die Türkei mit einem Mal in einer Debatte wieder, die über den Fall Pippa Bacca weit hinaus geht.

Es ist eine Debatte über Machismo und Gewalt gegen Frauen, grausame Traditionen und das Wegschauen von Justiz und Gesellschaft. Hätte das überall passieren können, eine solche Vergewaltigung, ein solcher Mord? "Stimmt schon, Vergewaltiger gibt es überall", schreibt der liberale Kolumnist Can Dündar am Montag in der großen Zeitung Milliyet: "Aber vermutlich werden sie nur in der Türkei gedeckt."

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Männer mit Lizenz zum Töten

Er listete sodann eine Reihe von Fällen aus der letzten Zeit auf, wie jenen von dem Vater, der seine 12-jährige Tochter vergewaltigt hatte und vom Gericht fünf Jahre Straferlaß bekam. Die Begründung des milden Urteils: "Der Gerichtsmediziner war zu dem Ergebnis gekommen, dass das Mädchen keine seelischen Schäden davongetragen hatte."

Oder der Fall jenes Fotomodels, das zuerst vom Ex-Freund Drogen verabreicht bekam und dann vergewaltigt wurde. Das Gericht entschied auf Mindeststrafe. Begründung hier: Das Opfer habe schließlich früher eine sexuelle Beziehung zu dem Angeklagten gehabt. "Das ist unser machohaftes Rechtsverständnis", schreibt Can Dündar: "Frauen, die seelisch äußerlich in Ordnung bleiben und solche, die schon einmal eine außereheliche Beziehung hatten, verdienen es, vergewaltigt zu werden." Die Überschrift in Milliyet ging sogar so weit, zu verkünden: "Das System tötete die italienische Braut".

Tatsächlich hat erst die AKP-Regierung im Zuge der EU-Anpassung 2004 jenen Artikel aus dem Strafgesetzbuch getilgt, der dem Vergewaltiger Straffreiheit ermöglichte, wenn er einwilligte, sein Opfer zu heiraten.

Frauenvereine klagen jedoch, die Mentalität in den Köpfen der Männer im Allgemeinen und der Richter im Besonderen hinke den Reformen hinterher - und auch in den reformierten Gesetzen finden sich noch immer Klauseln wie jene von der "ungerechtfertigten Provokation", welche gewalttätige Männer entschuldigen. "Die Türkei ist noch immer stolz auf solche Männer, die die Lizenz zum Töten haben, weil man sie als Wächter der Ehre ansieht", schreibt der Kunstkritiker Beral Madra in Radikal.

Im Istanbuler Galataviertel traf sich eine Gruppe türkischer Künstler zu einer Pressekonferenz, an der auch Silvia Moro teilnahm, die Freundin der Toten, die überlebende Braut.

Die Künstler beklagten "die primitive patriarchalische Dunkelheit eines Systems" in der Türkei, welches zulasse, dass "täglich Frauen von Männern getötet werden". Dann entschuldigten sie sich bei der Familie von Pippa Bacca und bei der internationalen Kunstszene: "Wir konnten sie nicht beschützen."

© SZ vom 15.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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