Süddeutsche Zeitung

Razzia im Rotlichtmilieu:Eine neue Form von Betriebswirtschaft

In Baden-Württemberg schließt die Polizei Flatrate-Bordelle, doch die Prostituierten pochen auf ihre Rechte.

Bernd Dörries

Der offene Brief der Bordellbesitzerin liest sich ein wenig wie eine Hausarbeit aus dem BWL-Seminar. Es gibt eine Graphik mit einer x- und einer y-Kurve, die das "Risiko der Subunternehmerin" darstellen soll. Es ist viel von freier Marktwirtschaft die Rede und davon, wie glücklich die Subunternehmerin doch sein muss: Die gewerblich aktiven Frauen seien auf "der Gewinnerseite, da sie für die Bereitstellung einer Leistung bezahlt werden und nicht für die Leistung an sich". Klingt fast so, als habe da jemand eine ganz neue betriebswirtschaftliche Theorie entdeckt. Als ginge es nur nebenbei auch um Sex.

Die Subunternehmerinnen sind Prostituierte des Pussy-Clubs, der in vier deutschen Bordellen eine Sex-Flatrate anbietet: Für 70 Euro (abends 100) gibt es "Sex mit allen Frauen, so lange Du willst, so oft Du willst und wie Du willst". Dazu gibt es noch Alkohol, Fertigpizza, Sportfernsehen und Sauna - alles umsonst. Am Eingang werden Badelatschen ausgeteilt. Die meisten Prostituierten kommen aus Rumänien und sind nur für wenige Monate im Land.

Für die einen ist der Flatrate- Sex eine neue Stufe der Menschenverachtung. Für die Pussy-Club-Chefin Patricia Floreiu, 25, ist es ein "innovatives Konzept", von dem alle Seiten profitierten, auch wenn das manche anders sehen würden. Sie hat noch einmal einen langen Text ins Internet gestellt und an Politiker verschickt. Ein letzter Versuch der Versachlichung.

"Möglicherweise hat unser Marketing-Konzept einen missverständlichen Eindruck vermittelt", schreibt Floreiu. Wahrscheinlich hat es aber genau den Eindruck gemacht, den es machen sollte: Sex mit Tiefpreisgarantie. Zumindest waren die Pussy-Clubs recht gut besucht, als am Sonntag 700 Polizisten zu einer Razzia vorbeikamen. Allein in der Filiale Fellbach bei Stuttgart traf die Polizei schon am Nachmittag 179 Männer an, bei nur 89 anwesenden Prostituierten. Die Bordelle in Fellbach und Heidelberg bleiben nun erst einmal geschlossen, die Betreiberin Floreiu und ein Geschäftsführer befinden sich in Haft.

Wegen Hygienemängeln geschlossen

Beide Etablissements wurden zunächste wegen hygienischer Mängel geschlossen, teilten die Staatsanwaltschaften Stuttgart und Mannheim mit. Das Wasser im Whirlpool soll verdreckt gewesen sein, genauso wie Massage- und Liegebänke. Die Bordelle in Berlin und Wuppertal dürfen weiter geöffnet bleiben. Gegen die Betreiberin läuft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Veruntreuung von Sozialabgaben. Die Ermittlungen hätten bereits lange vor und unabhängig von der öffentlichen Aufregung um den Flatrate-Sex begonnen, sagt die Staatsanwaltschaft

Dabei gibt es offenbar ein gewisses Nord-Süd-Gefälle. Während die Eröffnung der Puffs in Berlin und Wuppertal weitgehend unbeachtet blieb, hat sich in Baden-Württemberg die Regierung eingeschaltet. "Ich habe nichts gegen normale Bordelle, solche Flatrate-Puffs verstoßen aber gegen die Menschenwürde. Wir sollten sie auf dem Boden unserer Rechtsordnung nicht dulden", sagte Justizminister Ulrich Goll (FDP) am Montag.

Dazu reichten die vorhandenen gesetzlichen Mittel aus. Goll sprach von einem "Strauß an Möglichkeiten": So komme ein Verstoß gegen das Strafrecht in Betracht, wegen möglicher Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Ausbeutung von Prostituierten und Veruntreuung von Sozialabgaben. Die Stadt Heidelberg hatte vergangene Woche bereits versucht, mit Verweis auf den Bebauungsplan den Pussy-Club zu verbieten, war damit vor Gericht aber erst einmal gescheitert.

Schutz der Menschenrechte gefordert

Frauenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes fordern in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, dass "der Schutz der Menschenrechte in das Prostitutionsgesetz aufgenommen wird". Durch das Flatrate-Modell werde den Prostituierten ein "Mindestmaß an Einflussnahme und Selbstbestimmung genommen".

Die Prostituiertenselbsthilfeorganisation Doña Carmen hält dagegen. Sie argumentiert, dass "unter dem Vorwand menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen in Wirklichkeit eine Verbotspolitik und damit unsere Existenzvernichtung" betrieben werde. So stand es auch in einer vielbeachteten Anzeige in überregionalen Zeitungen, die angeblich 77 Prostituierte unterschrieben haben. "Man bezeichnet uns ausländische Prostituierte als unbedarfte Frauen, so als seien wir Menschen zweiter Klasse", heißt es in dem Brief.

Beim Pussy-Club betonte man zuletzt nicht so sehr die Tiefpreisgarantie, sondern die freie Wahl, mit wem und wie lange die Subunternehmerinnen "Zeit im Arbeitszimmer verbringen möchten". Bürokratischer hätten es die Behörden, die nun zwei Puffs geschlossen haben, gar nicht ausdrücken können.

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SZ vom 28.07.2009/abis
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