Raumfahrt:Der Mars liegt in Moskau

Ungewöhnlicher Langzeitversuch: 520 Tage lang sollen sechs Männer in einer Blechkammer die Reise zum roten Planeten simulieren - ob das sinnvoll ist, weiß keiner.

Frank Nienhuysen, Moskau

Das ist also der Mars. Es ist nur ein kleiner Schritt für den Besucher, denn die Tür steht noch offen. Auf dem Boden der halbrunden Blechkammer ist eine schwarze Gummimatte ausgelegt, damit niemand mit den Straßenschuhen durch den hingestreuten Sand stapfen muss. Die Decke und die dunkelbraunen Wände sind durchsetzt mit kleinen Lichtpunkten. Sie sollen das All imitieren. Entlang der Bodenränder zieht sich eine Kette roter Lämpchen, auf denen mittelgroße Gesteinsbrocken drapiert sind.

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Ein Mitglied der "Mars500"-Crew winkt noch einmal, dann schließt sich die Tür: 520 Tage auf engstem Raum, ohne Tageslicht stehen ihm und den anderen bevor.

(Foto: AFP)

Der Mars liegt seit diesem Donnerstag in Moskau, und der im Durchschnitt 55 Millionen Kilometer lange Weg dorthin praktischerweise auch. Auf dem Gelände des Russischen Instituts für Biomedizinische Probleme befindet sich derzeit alles, was ein Marsfahrer für eine Simulation braucht. Ein Raumschiff, eine Landefähre, ein fremder Planet. Dass die nächste Metrostation nur hundert Meter entfernt liegt, sollen die sechs jungen Männer am besten vergessen.

Sie haben lange genug Zeit. 520 Tage dauert das Experiment Mars500, so lange wie vielleicht eines Tages eine echte Reise. 250 Tage Hinflug, 30 Tage Aufenthalt, 240 Tage Rückflug. Anderthalb Jahre kein Tageslicht, das das künstliche Raumschiff durchflutet. Kein Fenster, durch das die Teilnehmer Luft hineinlassen können. Und keine Familie. Dabei hat Kommandant Alexej Sitjow gerade geheiratet. Immerhin, der vorerst letzte Tag auf Erden ist sonnig und heiß. Wenn sich im Spätherbst 2011 die verplombte Außentür wieder öffnet, werden die Probanden zwei Sommer verpasst haben, es wird sie vermutlich tristes Novemberwetter erwarten, und die Fußball-WM in Südafrika wird längst Geschichte sein.

Die sechs jungen Forscher lächeln trotzdem. Sie tragen blaue Kleidung und Schutzmasken, aber als sie am Donnerstag wenige Minuten vor Beginn der Mission das Podium betreten, den überfüllten Raum sehen und die voll besetzte Empore, nehmen sie die Masken ab. Der Franzose Romain Charles sagt, er werde seine Gitarre mitnehmen, der Russe Alexander Smolejewskij will Sprachen lernen, der Italiener Diego Urbina alle Bücher von Gabriel García Márquez lesen.

Drei Russen, ein in Kolumbien geborener Italiener, ein Franzose, ein Chinese; Kosmonauten, Astronauten, ein Taikonaut: Es ist ein bisschen wie bei "Star Trek". In der Fernsehserie aus den sechziger Jahren haben sich Nordamerikaner, Asiaten und ein Halbvulkanier einem gemeinsamen Ziel verschworen, der Politik damals weit voraus. Diesmal ist die Besetzung eine Frage des Geldes. Mindestens zehn Millionen Dollar kostet Mars500, und das ist ja erst einmal nur das Experiment auf der Moskauer Choroschewskoje Schossee. "Die Zeit der großen Wettläufe ist vorbei", sagt Martin Zell von der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. "Ein Flug zum Mars ist eine Dimension, die Russen, Amerikaner, Europäer und auch die Chinesen alleine nicht meistern können". Zell sagt, 30 Jahre seien "ein halbwegs realistischer Horizont" bis zu einem solchen Flug.

Die jetzige Mars-Mission ist dafür der erste gründliche Langzeittest. Mehr als hundert Experimente sind geplant. Mit verschiedenen Salzstufen im Essen werden etwa die Folgen für den menschlichen Blutdruck beobachtet. Aber die körperlichen Auswirkungen sind nur das eine. 520 Tage, das ist auch eine Grenzerfahrung für den Menschen. Wie wirkt sich die künstliche Enge auf das Seelenleben aus? Werden die Russen aufeinander losgehen, wird der Italiener den Franzosen irgendwann mit seinen Márquez-Büchern bewerfen? Wer wird vereinsamen, wer aussteigen? Halten alle das Experiment aus oder treibt es den ersten schon an Weihnachten hinaus aus dem 550 Kubikmeter engen Röhrengeflecht, hinaus auf die breiten Moskauer Straßen? Muss das alles überhaupt sein?

Der Zusammenhang zwischen salzarmer Ernährung und dem Blutdruck ließe sich auch anderswo nachweisen, das gibt sogar Martin Zell von der Esa zu. Aber er sagt: "Letztendlich geht es immer auch um den Forscherdrang des Menschen, um die natürliche Neugierde. Der Mars bietet der Wissenschaft einfach mehr Perspektiven als der Mond." Boris Morukow ist Projekt-Leiter von Mars500, aus jedem seiner Worte spricht der Stolz. Er sagt, dieser Tag sei ein "Feiertag für die Wissenschaft, nein, ein Feiertag für die internationale Wissenschaft". Aber es gibt andere Stimmen, auch in Russland.

Erik Galimow, Direktor des Instituts für Geochemie, hält den Flug zum Mars für ein Abenteuer, doch nicht in der Art, dass es wagemutig wäre. Sondern verrückt und sinnlos. "Wir haben dafür einfach nicht die Möglichkeiten." Boris Tschertok, Mitkonstrukteur der Raumkapsel von Jurij Gagarin, hält von der bemannten Marsmission ebenso wenig. Es dauere noch mindestens 50 Jahre, vielleicht auch 100, bis jemand zu dem Planeten fliegen könne. Er sagt: "Das Motto der Raumfahrt sollte nicht sein: Los, auf den Mars. Sondern: Rauf auf den Mond!"

Den ersten Menschen auf dem Mars wird Tschertok auch im günstigeren Fall kaum erleben; er ist gerade 98 geworden.

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