Süddeutsche Zeitung

Rassismusdebatte in den USA:Amerikas Problempolizei

  • Der New Yorker Polizist, der für den Tod des schwarzen Kleinkriminellen Eric Garner verantwortlich ist, ist bereits zweimal zuvor auffällig gewesen und verklagt worden.
  • Eine Untersuchung in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio zeigt systematische Versäumnisse in der Polizeiausbildung und im Arbeitsalltag der Beamten.
  • Der Protest gegen Rassismus bei der Polizei formiert sich in immer mehr US-Städten - und in den sozialen Netzwerken.

Von Oliver Klasen

Wenn sich Ban Ki Moon, der UN-Generalsekretär, besorgt über die Zustände in einem Land äußert, dann geht es um Staaten, deren politisches System zusammengebrochen ist, in denen Bürgerkrieg herrscht und die Zivilbevölkerung um ihr Leben fürchten muss. Ban ist der oberste Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, er kümmert sich um die wirklich dramatischen Problemfälle.

An diesem Donnerstag spricht Ban über die USA.

"Dieser Fall zeigt erneut, wie wichtig es ist, dass Sicherheitskräfte für ihre Verfehlungen zur Rechenschaft gezogen werden", lässt der Generalsekretär über seinen Sprecher mitteilen. Alle zuständigen Stellen in den USA sollten ihr "Möglichstes" tun, um dieser Forderung nachzukommen.

Der Fall, den Ban meint, ist der Fall von Eric Garner. Der schwarze, unter Asthma leidende Familienvater war Mitte Juli an den Folgen eines Würgegriffs bei einem Polizeieinsatz im New Yorker Stadtteil Staten Island gestorben. Am Mittwoch entschied eine Grand Jury, dass der weiße Polizist, der den Griff anwendete, nicht angeklagt wird - obwohl der Autopsiebericht von "Mord" als Todesursache ausgeht, obwohl auf einem Video klar erkennbar ist, dass Garner keinen körperlichen Widerstand leistete und um Hilfe rief, weil er keine Luft mehr bekam.

Zusätzlich haben mehrere US-Medien (zum Beispiel hier und hier) kurz nach Garners Tod im Juli berichtet, dass der betreffende Beamte zuvor bereits zweimal verklagt wurde, weil er die Rechte von Festgenommenen verletzt haben soll.

So soll der Polizist bei einer Durchsuchung einen Mann gezwungen haben, sich auf offener Straße nackt auszuziehen. Dieser Fall wurde im Januar dieses Jahres gegen Zahlung einer Geldauflage von 30 000 US-Dollar eingestellt. Im zweiten Fall, der noch bei Gericht anhängig ist, geht es um die mutmaßliche Verfälschung von Polizeiakten, um Vorwürfe wegen Drogenbesitzes dramatischer erscheinen zu lassen als sie tatsächlich gewesen sein sollen.

Neuer Fall tödlicher Polizeigewalt aus Arizona

Ein Polizist, dessen Verhalten mindestens fragwürdig ist und der im Dienst einen Menschen getötet hat, entgeht einer Strafe - ähnlich war es im Fall Michael Brown, einem jungen Schwarzen, der im August in der Kleinstadt Ferguson im US-Bundesstaat Missouri erschossen wurde. Im November starb in Cleveland im Bundesstaat Ohio ein zwölfjähriger schwarzer Junge durch Polizeischüsse, weil die Beamten seine Spielzeugpistole für echt hielten. Und Anfang dieser Woche wurde ein unbewaffneter 34-Jähriger in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona erschossen, weil er sich weigerte, bei einer Kontrolle die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen.

Ferguson, Cleveland, Arizona, New York: Schauplätze, an denen sich die Gewalt weißer Polizisten gegen schwarze Bürger gerichtet hat. Es sind inzwischen zu viele Fälle, um sie als Einzelfälle abzutun. Immer offensichtlicher wird, dass die Polizei in den USA ein Rassismusproblem hat.

Das hat inzwischen auch die Politik erkannt. Präsident Barack Obama, der in der Diskussion um Polizeigewalt bisher vor allem zur Mäßigung aufruft, sagte nach der Jury-Entscheidung in New York: "Wir sehen zu viele Fälle, in denen Menschen kein Vertrauen haben, dass die Leute fair behandelt werden".

Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio, dessen Frau ebenfalls schwarz ist, will bei der Polizei jetzt Kurse einrichten lassen, in denen die Sicherheitskräfte lernen, kritische Situationen zu lösen, ohne sofort zur Waffe zu greifen.

Und US-Justizminister Eric Holder spricht angesichts der Vorgänge von Cleveland von einem "übermäßigen Gewalteinsatz". Dort wurden für einen Regierungsbericht 600 Polizeieinsätze zwischen 2010 und 2013 geprüft. Die bereits vor anderthalb Jahren eingeleitete Untersuchung steht zwar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Tod des Zwölfjährigen im November, aber sie zeigt exemplarisch, dass es in der Polizeiausbildung und im Arbeitsalltag der Beamten offenbar überall in den USA systematische Defizite gibt.

Für die Missstände in Cleveland machte Holder schlechte Ausbildung und Ausrüstung, mangelhafte Richtlinien sowie ein unzureichendes Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung verantwortlich. Das Justizministerium führt in der Untersuchung auf, dass Polizisten immer wieder Schusswaffen, Pfefferspray, Elektroschockpistolen und ihre Fäuste unangemessen eingesetzt hätten.

Die Gewalt habe sich auch gegen psychisch Kranke und andere hilfsbedürftige Menschen gerichtet. Außerdem hätten Beamten häufig eine mangelhafte und gefährliche Einsatztaktik angewandt, die auf den Einsatz von vermeidbarer Gewalt hinausgelaufen sei.

Was der Report auch enthüllt: Die Zusammensetzung der Polizei repräsentiert nicht die Bevölkerung. Während in Cleveland 53 Prozent der Bürger schwarz sind, sind nur 25 Prozent der Polizisten Afroamerikaner. Ein Missverhältnis, wie es sich in vielen US-Städten findet. In Ferguson waren im August, als Michael Brown starb, sogar nur drei von 53 Polizisten schwarz, obwohl der Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung etwa 75 Prozent beträgt. In New York allerdings liegt der Anteil der schwarzen Polizisten mit knapp 17 Prozent nur wenig niedriger als der Bevölkerungsanteil von 22,6 Prozent.

Eine Minderheit, die eine Mehrheit werden könnte

Die Suche nach den Ursachen für die vielen tödlich eskalierten Polizeieinsätze wird lange dauern. In New York, Ferguson oder Cleveland arbeiten Untersuchungskommissionen daran, um die Vorfälle aufzuarbeiten und Lehren zu ziehen. Doch vielen Bürgern dauert das zu lange. Zu Tausenden gehen sie dieser Tage auf die Straße. In Boston, Chicago, Seattle, Atlanta, Pittsburgh und eben in New York. Es sind vor allem junge Leute, die kommen, Schwarze wie Weiße. "Die-in" nennen sie es, wenn sie sich mitten auf die Straße legen und sich tot stellen - eine Protestform, die absichtlich an den Studentenproteste der sechziger Jahre erinnert. Auch damals entstand aus einzelnen Demonstrationen eine Massenbewegung, die das ganze Land erfasste.

Auch in den sozialen Medien formiert sich der Protest. Unter dem Hashtag #crimingwhilewhite hatten auf Twitter zunächst weiße US-Bürger berichtet, wie sie sich kleinere Vergehen schuldig gemacht haben, die von der Polizei allerdings nicht geahndet wurden. Teilweise wurden mehr als 600 Tweets pro Minute abgesetzt. Inzwischen gibt es unter dem Hashtag #alivewhileblack eine Antwort darauf. Schwarze US-Bürger berichten, weil sie von Polizisten gedemütigt, unfair behandelt und körperlich angegriffen wurden. Auch dort laufen ständig neue Tweets ein, die auf die Diskrimnierung von Schwarzen im Rechtssystem der USA aufmerksam machen.

Allerdings schreibt die Washington Post, dass die Haltung, die auch bei weißen Twitter-Nutzern und bei weißen Demonstranten in den Städten deutlich wird, nicht zwingend der Mehrheitsmeinung in dieser Bevölkerungsgruppe entsprechen müsse. So sagten etwa 80 Prozent der Schwarzen, dass der Fall Michael Brown für sie mit Rassismus zusammenhänge. Während unter den Weißen nur 37 Prozent dieser Meinung seien. Es könnten bald mehr werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2253403
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/ghe/afis
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.