Raser-Prozesse:Wenn das Auto zur Waffe wird

Auftakt Mordprozess gegen Motorradfahrer

Tatort Straße: An einer Kreuzung im Bremer Stadtteil Walle erinnern Blumen an den Tod eines 75 Jahre alten Mannes. Alperen T. hatte ihn mit seinem Motorrad umgefahren.

(Foto: Ingo Wagner/dpa)
  • Die Strafen für Raser vor deutschen Gerichten werden zunehmend härter. In einzelnen Fällen versuchen Staatsanwälte derzeit sogar, eine Verurteilung wegen Mordes zu erwirken.
  • Auch die Länder und die Bundesregierung befürworten eine Strafverschärfung für illegale Autorennen.
  • Die meisten Raser sind junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren.

Von Annette Ramelsberger

Er juchzt, er kichert, er redet in sein Helmmikrofon. Es ist zwei Uhr nachts, und es geht ihm gut. Der Mann rast mit seinem Motorrad durch Bremen, gibt Gas, schießt um Ecken, ruft an der Ampel einem Renn-Genossen zu: "Wir müssen noch irgendwas Schnelles erwischen!" Einen Audi TT oder einen BMW vielleicht, die es zu überholen gilt. Sie fahren schwere Maschinen. Alperen T., 24, er hat eine Kawasaki mit 200 PS, nimmt seine Fahrten mit seiner Helmkamera auf, er stellt sie auf Youtube.

"Alpi fährt" heißen seine Filme, auf denen er durch Alleen, durch Städte jagt, immer nah am Limit. Auch diese nächtliche Fahrt veröffentlicht er. Er gibt wieder Gas, der Motor röhrt auf. Dann ist es plötzlich zwei, drei Sekunden lang still.

Ein Schatten ist in das Blickfeld des Fahrers getreten, ganz kurz, von rechts. Schon ist er vorbei. Man merkt nur, dass etwas eigenartig ist, weil Alperen T. plötzlich nicht mehr in das Mikro redet. Dann ruft er: "Ist der behindert? Dieser behinderte Hurensohn. Er bleibt stehen wie ein Reh. Echt, er wäre gestorben. Ich hätte ihn in seine Einzelteile zerlegt wie bei Lego." Ein Fußgänger war plötzlich auf die Straße getreten. Alperen T. zog gerade noch an ihm vorbei.

Das gelingt ihm ein paar Wochen später nicht mehr. Da fuhr "Alpi" wieder durch Bremen, wieder sehr schnell. Mit 100 Kilometern pro Stunde, so hat es die Staatsanwaltschaft errechnet. Und diesmal sah er wieder einen Schatten. T. beschleunigte gerade, die Ampel vor ihm zeigte Grün. Dann lief ein Fußgänger über die Straße, obwohl er Rot hatte. Alperen T. wollte noch bremsen, er schaffte es nicht mehr. Der Spaziergänger flog mehrere Meter durch die Luft, auch Alperen T. stürzte und verletzte sich schwer. Sein Arm ist bis heute gelähmt. Der Fußgänger aber starb.

Das war, sagt die Staatsanwaltschaft, kein tragischer Unfall, sondern Mord. "Das geschah mit Ansage", sagt Frank Passade, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Wer mit solcher Geschwindigkeit durch eine Stadt rase, handle nicht mehr grob fahrlässig, T.s Verhalten zeige vielmehr mehrere Mordmerkmale. So hätten den jungen Motorradfahrer niedere Beweggründe getrieben. Das Rasen durch die Stadt ohne Rücksicht auf Verluste habe ihm "einen Kick" gegeben und sein Geltungsbedürfnis gestillt. Den Tod von anderen habe er dabei billigend in Kauf genommen - das Video von dem Beinahe-Zusammenstoß ein paar Wochen zuvor ist eines der wichtigsten Beweismittel für diese These.

Schon zum zweiten Mal steht nun ein Raser wegen Mordes vor Gericht: Zum ersten Mal hatte die Berliner Staatsanwaltschaft zwei Männer angeklagt, die sich auf dem Kurfürstendamm ein Rennen geliefert und mit ihren Autos mehrere rote Ampeln überfahren hatten. Als ein 69 Jahre alter Arzt vorschriftsmäßig in die Straße einbog, wurde er von den Rasern geradezu durchbohrt. Die Staatsanwälte in Berlin sahen bei den beiden Rasern zwei Mordmerkmale, einmal die "niederen Beweggründe" - weil sie sich Selbstbestätigung durch das Rennen holen wollten. Und zweitens das "gemeingefährliche Mittel", mit dem sie getötet hatten. Das gemeingefährliche Mittel ist in diesem Fall das Auto.

Noch ist in Berlin das Urteil nicht gesprochen, da hat die Staatsanwaltschaft Bremen schon den nächsten Raser wegen Mordes angeklagt. Für Bernhard Docke, den Verteidiger von Alperen T., ist diese Mordanklage nur "der populistisch anmutende Versuch, mal harte Kante zu zeigen".

Strafen gegen Raser werden härter

In der Tat: Die Schuldsprüche für Raser werden sukzessive härter. 2008 noch hatte das Landgericht Konstanz zwei Raser, die ein tödliches Autorennen veranstalteten, nur zu eineinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt. Der Bundesgerichtshof erklärte, die beiden seien auch der fahrlässigen Tötung schuldig, die Haft dürfe nicht auf Bewährung ausgesetzt werden. Viele Länder versuchen, das Strafmaß für illegale Auto- und Motorradrennen zu erhöhen. Bundesrat und Bundesregierung befürworten eine Strafverschärfung.

Bisher sind für ein illegales Rennen nur ein Bußgeld von 400 Euro, zwei Punkte in Flensburg und ein Monat Fahrverbot vorgesehen. Angeklagt werden die Raser meist wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach Paragraf 315c Strafgesetzbuch, das sieht bei der Gefährdung von Menschen eine Höchststrafe von fünf Jahren vor. Eine Strafdrohung, die viele nicht für angemessen halten.

Der frühere Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma hat selbst durch einen Raser seinen Sohn verloren. Für ihn ist das Rasen durch nächtliche Städte wie "russisch Roulette". Und das Auto in so einem Fall eine "gefährliche Waffe". Allein in Köln kamen 2015 drei Menschen durch Raser ums Leben, in Bremen waren es 2016 zwei Menschen, darunter ein 13 Jahre alter Junge.

Die meisten Raser sind Männer

Es sind fast immer Männer zwischen 18 und 25, die durch Rasen ihr Selbstbewusstsein steigern wollen - so wie Alperen T., der für seine Videos 80 000 Klicks bekam. Sein Anwalt Docke sieht den Studenten nicht als rabiate Rennsau, die ohne Rücksicht auf Verluste fährt - schon aus Selbstschutz nicht. "Gerade ein Motorradfahrer versucht doch, Kollisionen zu vermeiden, weil er selbst stark gefährdet wäre", sagt Docke.

Sein Mandant sei bisher unfallfrei gefahren, es gibt keine Vorstrafen. Und die Sprache in seinen Videos, dass er Leute, die ihm in die Quere kommen, zerlegen werde wie beim Lego? "Seine Sprüche auf den Youtube-Videos sind jugendlich-verbalradikal, sie spiegeln seine innere Einstellung nicht wider", sagt Docke. "Er bedauert die Tat und würde die Zeit gern zurückdrehen." Der Staatsanwalt hält dagegen: Man werde der Tat nicht gerecht, wenn man sie als jugendliche Radikalität abtue.

Alperen T. hat dem Staatsanwalt Argumente geliefert. Nach dem Beinahe-Zusammenstoß hat er seinen Zuschauern erzählt: "Ihr habt gerade den Beinahe-Unfall erlebt. Ich hoffe, man sieht es. Wie dieser Vollidiot stehen bleibt wie ein Reh." Er habe kurz einen Schock gehabt, ein Fahranfänger hätte das nicht geschafft, er aber habe sich konzentriert und sei an dem Mann vorbeigezogen. Bei der Geschwindigkeit sei das ganz schön schwierig. Dann schiebt er hinterher: "Ist natürlich mein Verschulden, so schnell darf man da nicht fahren."

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