Dieses Urteil ist richtig und wichtig. Es verändert den Blick auf den Straßenverkehr. Es beendet die Bagatellisierung des rasenden Unrechts. Das Landgericht Berlin ist bei seiner ursprünglichen Beurteilung der Sache geblieben - es war Mord. Der Bundesgerichtshof hatte das erste Mordurteil des Landgerichts mit einigen rechtlichen Anmerkungen aufgehoben, aber eine Bestrafung wegen Mordes gleichwohl nicht kategorisch ausgeschlossen. Mittlerweile hat der Bundesgerichtshof auch selbst in einem anderen Fall die Verurteilung eines Rasers wegen Mordes bestätigt. Das heißt: Die Rechtsprechung orientiert sich neu. Sie beendet die Privilegierung von Kriminalität im Straßenverkehr. Es war jahrzehntelang üblich, dass im Straßenverkehr auch rücksichtslosestes Verhalten, dass dort auch brutale objektive Gefährlichkeit zum fahrlässigen Tun verharmlost wurde. Damit ist es nun vorbei.
Die Rechtsprechung behandelt nun die Straße als einen Tatort wie jeden anderen auch. Und sie behandelt den bedingten Vorsatz im Straßenverkehr so, wie sie den bedingten Vorsatz an anderen Tatorten behandelt. Das ist nur logisch: Da schüttet ein Täter seinem Nachbarn Gift in den Tee, weil er ihn kotzen sehen möchte - bei Gericht wird er kaum Gehör finden mit der Behauptung, er habe ganz fest darauf vertraut, dass der Nachbar schon nicht gleich sterben werde; er habe sich darüber nicht einmal Gedanken gemacht. Oder: Da hetzt einer seinen Kampfhund auf den Rentner - ihm wird kaum einer glauben, wenn er sagt, er habe dabei wirklich nichts Böses gewollt; er habe nur schauen wollen, ob der Hund pariert und wirklich nicht damit gerechnet, dass der Rentner totgebissen wird. Man wird dem Giftmischer, man wird den Kampfhundhalter bei solchen Ausflüchten fragen, ob er einem für dumm verkaufen wolle.

Berliner Landgericht:Mordurteil gegen Ku'Damm-Raser bestätigt
Im Februar 2016 stirbt ein Unbeteiligter infolge eines Autorennens in der Berliner Innenstadt. Die beiden Raser sind nun zum zweiten Mal wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der BGH hatte das erste Urteil aufgehoben.
Im Straßenverkehr freilich hatte so ein dummdreistes Argumentieren viele Jahre Erfolg. Ein Raser, der innerorts mit 170 Stundenkilometer ein Dutzend Ampeln überfuhr, weil er seinen Spaß an einem Autorennen haben wollte, konnte sich mit der der sturen Einlassung, er habe nie und nimmer mit einem tödlichen Unfall gerechnet, in eine Bestrafung wegen bloßer Fahrlässigkeit retten; die maximale Strafe bei fahrlässiger Tötung sind fünf Jahre, bei vorsätzlicher Tötung lautet sie dagegen lebenslänglich. Das Recht belohnte auf diese Weise den Irrwitz, die Realitätsverweigerung, die Hybris und die blinde Rücksichtslosigkeit. Es ist gut, wenn diese Zeit nun zu Ende geht.
Borniertheit als mildernder Umstand?
Lange Zeit gab es eine eigenartige Grundannahme in der Rechtsprechung. Man ging davon aus, dass der typischer Raser selbst bei allergrößtem Leichtsinn keinen Tötungsvorsatz habe: Man sagte, dass der Raser sich ja nicht selber gefährden wolle; man sagte, dass der Raser ja auf seine vermeintlich tollen Fahrkünste vertraue; dass sich der Raser zu wenig oder gar keine Gedanken mache über die tödlichen Gefahren seiner Raserei. Je bornierter, je blöder und realitätsvergessener so ein Autofahrer war, umso besser war es für ihn: Mit seiner eigenen Gedanken- und Skrupellosigkeit, völlig losgelöst von der objektiven Gefährlichkeit seines Tuns, konnte er sich selbst aus der Bestrafung wegen eines bedingt vorsätzlichen Tötungsdelikts herauskatapultieren. Bei der Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bloßer Fahrlässigkeit, zumal im Straßenverkehr, gab es ein Rohheits-Privileg.
Damit ist es nun, hoffentlich, vorbei. Die objektive Gefährlichkeit eines Verhaltens kann nicht ohne Einfluss auf die Beurteilung des Tötungsvorsatzes bleiben. Die Spekulationen über den Vorsatz können nicht losgelöst sein von dem Gesamtbild der Tat.