Wenn die Strecke steiler wird, leidet das Gefühl. Plötzlich spürt der Radfahrer nichts mehr, der Unterleib bleibt taub und reglos.
Der kontinuierliche Druck im Schritt und das Hin- und Herrutschen auf dem Sattel können empfindliche Körperregionen in Mitleidenschaft ziehen - besonders bei der Bergauf-Fahrt.
Gefühlsstörungen am Damm und in der Genitalregion sind bei Radfahrern, die längere Strecken zurücklegen, sehr häufig. Männer wie Frauen berichten über entsprechende Missempfindungen. Bei Männern besteht jedoch die Gefahr, dass sich der Druck auf den Damm auch auf Fruchtbarkeit und Potenz auswirkt.
Wenn sich daher am heutigen Freitag das Peloton der Tour de France bei der ersten schweren Pyrenäen-Etappe den Cold'Aspin und anschließend fast bis zum Gipfel des Tourmalet hinaufquält, werden viele Radsportfans eine spezielle Form des Mitgefühls mit den Tour-Helden empfinden.
In einer Untersuchung der Universitätsklinik Köln, in der Probanden wöchentlich 400 Kilometer in die Pedale treten mussten, berichteten 61 Prozent über Taubheitsgefühle und 19 Prozent über vorübergehende Erektionsstörungen im Anschluss an die Strampelei.
Nach einem norwegischen Ausdauerradrennen über 500 Kilometer von Trondheim nach Oslo gaben 22 Prozent der Männer Taubheit und 13 Prozent zeitweilige Impotenz an. In einigen Fällen hielt sie mehr als eine Woche oder sogar einen Monat lang an. Umfragen aus Nordrhein-Westfalen zufolge berichten Langstreckenradsportler dreimal so häufig von Erektionsstörungen wie gleich alte Nichtradler.
Trotzdem wird unter Hobbyradlern die Taubheit im Sattel kontrovers diskutiert. Die einen fürchten dauerhafte Schäden für Fruchtbarkeit und Manneskraft, wenn ihnen das Gefühl für den Unterleib abhanden kommt.
"Langfristig drohen Schäden"
Die anderen erhoffen sich stimulierende Effekte von der regelmäßigen Sattelmassage, etwa weil sie annehmen, dass dadurch der Samenerguss verzögert wird. "Da muss ich die Radler enttäuschen", sagt Frank Sommer, Urologe an der Universitätsklinik Köln. "Langfristig drohen Schäden."
Dabei ist besonders gefährdet, wer Touren mit Rennrad oder Mountainbike zurücklegt. Die schmale harte Sattelnase kann die Leitungsbahnen zu den Beckenorganen in Bedrängnis bringen. Bei Mountainbikern kommen die Erschütterungen in unwegsamen Gelände hinzu.
Die Profis der Tour de France hingegen sind trotz der vielen Zeit, die sie im Sattel verbringen, nicht so stark gefährdet wie ambitionierte Hobbyradler, die mehrmals die Woche lange Strecken zurücklegen.
"Radprofis haben eine bessere Muskulatur, halten ihr Becken anders und ihre Wirbelsäule ist flexibler", sagt Sommer. "Sie benutzen den Sattel nicht, um ihr ganzes Gewicht abzustützen, sondern eher als Führungsschiene." Dadurch und durch häufige Positionswechsel wird das Gewebe immer wieder entlastet.
Zudem achten in Profiteams Techniker auf die richtige Stellung. Der Sattel sollte waagerecht sein oder sogar mit der Spitze leicht nach unten zeigen.
Wenn sich der Schritt bei Radfahrern trotz aller Vorsichtsmaßnahmen taub anfühlt und Potenzstörungen drohen, kann das verschiedene Ursachen haben: Entweder geraten die Penis und Hodensack versorgenden Nerven - besonders der Nervus pudendus - unter Druck.
Häufiger ist der Sauerstoffanteil im Blut vermindert, weil eine Schlagader, die Arteria pudenda interna, zwischen dem knöchernen Sitzbeinhöcker oder dem Schambein und dem Fahrradsattel abgeklemmt wird.
Nerv wie Arterie verlaufen unter den Gesäßmuskeln auf den Damm und den Penis zu. Sie können vom Sattel gegen die Knochen gedrückt werden, wenn das Körpergewicht beim Radfahren auf diesem Bereich lastet.
"Erektion wird mittelfristig schlechter"
Dadurch kann es sogar zum Umbau der Schwellkörper kommen. Die Zusammensetzung des erektilen Organs ist von der Sauerstoffmenge im Blut abhängig.
"Für eine gute Erektion sollte das Verhältnis von Bindegewebe zu glatter Muskulatur im Penis 50 zu 50 betragen", sagt Sommer. "Fehlt es dem Blut an Sauerstoff, wird mehr Bindegewebe aufgebaut und Muskelgewebe abgebaut. Durch diese Fibrosierung wird die Erektion mittelfristig schlechter."
In der Urologie der Universitätsklinik Köln sind schon etliche Probanden verdrahtet worden. Um die Sauerstoffversorgung im Penis zu messen, muss ein Ring mit Elektrolytflüssigkeit um die Eichel gelegt werden. Mit einem Klebering und schmalen Pflastern wird er befestigt.
Die Kölner Sporturologen haben verschiedene Sattelformen und Designs mit dieser Methode getestet. Die so genannten Damensättel schnitten am besten ab. Sie sind fast rund, mit mittlerer Polsterung und haben keine Spitze.
Bei Probanden mit dieser Sattelform sank die Sauerstoffversorgung im Penis nur um gut 20Prozent. Bei schmalen Rennrad- oder Mountainbikesätteln reduzierte sich der Sauerstoffdruck im Blut hingegen bereits nach halbstündiger Fahrzeit um mehr als 60 Prozent.
Erstaunlich schlecht fiel der Test für die meisten der als "anatomisch" oder "bodygeometrisch" bezeichneten Sättel aus - die Sauerstoffreduktion im Penis betrug hier zwischen 60 und 70 Prozent.
Bei etlichen Modellen erwiesen sich die Aussparungen für die empfindlichen Körperteile als zu klein oder falsch bemessen. Manche Kanten an den Lücken waren so hart, dass gerade dadurch Gefäße und Nerven malträtiert wurden.
Wenn die Form nicht stimmt, sind harte Sättel besser als weiche. "Bei weichen sinkt der Fahrer tiefer ein, dadurch erhöht sich der Druck und wird großflächiger", sagt Sommer.
Aus Gründen des Dammschutzes wäre die Empfehlung für die Fahrer der Tour de France eindeutig: Armstrong und Ullrich sollten demnächst auf weichen Damensätteln die Bergetappen in Angriff nehmen - oder mit dem Liegerad.