R. Kelly:Groteskes Schauspiel zur besten Sendezeit

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Im Fall R. Kelly nehmen die Medien eine ganz besondere Rolle ein. (Foto: Kamil Krzaczynski/Reuters)

Im Drama um Missbrauchsvorwürfe und den US-Sänger R. Kelly stilisieren sich viele zum Opfer. Beobachtungen zum Fall, den Protagonisten und zur Rolle der Medien.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Azriel Clary will sich gar nicht beruhigen. "Das sind alles Lügen", ruft sie so laut, dass es nun wirklich niemand überhören kann. Aus dem Hintergrund ist Robert Kelly zu hören, wie er ganz besonders laut hustet, dann beginnt Clary zu weinen: "Es geht nur ums Geld, und wer das nicht versteht, der ist verdammt noch mal ignorant und dumm." Clary, 21, sitzt in einem Hotelzimmer, neben ihr die zwei Jahre ältere Joycelyn Savage, mehrere Kameras sind auf die beiden gerichtet. Sie behaupten, mit diesem 52 Jahre alten Musiker liiert zu sein, der weltweit unter dem Künstlernamen R. Kelly bekannt ist. Sie beteuern, sie seien keiner Gehirnwäsche unterzogen worden. All die Vorwürfe gegen Kelly seien erstunken und erlogen.

Der TV-Sender CBS strahlte einen Teil des Interviews in der Morgensendung "This Morning" aus, zur zweitbesten Sendezeit für solch brisante Themen, der zweite Teil folgte am Freitagabend, zur Primetime für den Massenmarkt. Soviel dazu, wie bedeutsam dieser Fall für die amerikanische Gesellschaft und die Popkultur weltweit ist.

Es muss jetzt endlich mal um die Opfer gehen bei diesem Fall. Nein, das stimmt nicht: Es muss um die mutmaßlichen Opfer gehen, denn bis zur Verurteilung durch ein Gericht gilt für Kelly, wie für jeden anderen Menschen auch, die Unschuldsvermutung. Und jede Frau, die behauptet, von ihm vergewaltigt, genötigt, versklavt, angepinkelt, bespuckt, geschlagen, als Minderjährige zu sexuellen Handlungen gezwungen oder wenigstens verführt worden zu sein, gilt zunächst einmal als mutmaßliches Opfer.

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Das ist wichtig, weil die Öffentlichkeit gerade von sehr vielen Seiten dazu gedrängt wird, ein Urteil zu fällen. Es sind, die Beobachter sollten das unbedingt wissen, häufig von Anwälten und Helfern geplante und komplett choreografierte Aufführungen, teils groteske Schauspiele, und die mutmaßlichen Opfer spielen dabei eine bedeutsame Rolle.

Es gibt die Doku-Serie "Surviving R. Kelly", in der mehrere Frauen (darunter seine ehemalige Ehefrau Andrea) detailliert beschreiben, was Kelly ihnen angetan haben soll. Die Befragung, auch das ist wichtig, findet nicht durch Ermittler oder vor einem Gericht statt. Die Frauen dürfen frei sprechen, sie werden nicht ins Kreuzverhör genommen, sie bekommen keine zweifelnden Fragen gestellt. Der Grund für ihr bisheriges Schweigen? "Wir sind schwarze Mädchen." Die Serie ist kein Polizeibericht und auch kein objektiver Journalismus, es ist eine sechsstündige Anklage verteilt auf sechs Folgen. Die Regisseure Nigel Bellis und Astral Finnie steuern die Zuschauer darin ganz bewusst so, dass die gar nicht anders können, als Kelly für ein Monster zu halten.

Im Gefängnis sitzt Kelly, weil er Unterhaltszahlungen nicht geleistet hat

Dem widersprechen in ihrem Interview Clary und Savage. Auch sie fühlen sich als Opfer - allerdings nicht als Opfer Kellys, den sie von aller Schuld freisprechen, sondern als Opfer ihrer Eltern. Geldgierig seien die und zu vielem bereit. "Als ich Robert kennen gelernt habe, da war ich 17 Jahre alt - meine Eltern haben mir geraten zu lügen", sagt Clary: "Sie haben mich aufgefordert, Fotos und Sexvideos mit ihm zu machen." Auf Nachfrage, warum Eltern so etwas von ihrer Tochter fordern könnten, sagt Clary: "Sollten sie ihn jemals erpressen wollen, dann hätten sie was gegen ihn. Genau das passiert nun."

Als Zwischenspiel ein paar Fakten, bevor es weitergeht mit dem zweiten Akt des Schauspiels: Es gibt derzeit laut Polizei keine Hinweise darauf, dass Kelly von den Eltern der beiden Frauen jemals erpresst worden ist. Es geht bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft des US-Bundesstaats Illinois auch nicht um Clary und Savage, sondern um völlig anderer Fälle. Es gibt ein Video, auf dem Kelly offenbar beim Geschlechtsverkehr mit vier Frauen zu sehen ist, von denen drei zum Zeitpunkt der Aufnahmen minderjährig gewesen sein sollen. Gegen Kelly ist Anklage in zehn Fällen der sexuellen Körperverletzung erhoben worden. Am Wochenende erst wurde er aus dem Gefängnis in Chicago entlassen, nachdem er ausstehende Unterhaltszahlungen für seine Ex-Frau und die gemeinsamen drei Kinder in Höhe von 161 000 Dollar geleistet hatte. Zudem wird im Bundesstaat Michigan gegen Kelly ermittelt, weil er im Jahr 2001 in Detroit mit einem damals erst 13 Jahre alten Mädchen geschlafen haben soll.

Noch ein weiteres Zwischenspiel: Der Anwalt von Clarys Eltern ist Michael Avenatti. Berühmtheit erlangte er, weil er die Porno-Schauspielerin Stephanie Clifford vertritt. Unter dem Künstlernamen Stormy Daniels war sie für eine mutmaßliche Affäre mit US-Präsident Donald Trump bekannt geworden. Avenatti hat die Videoaufnahmen mit den angeblich minderjährigen Mädchen der Staatsanwaltschaft übergeben und angekündigt, möglicherweise mehr Beweismittel besorgen zu können.

Zurück zum Schauspiel: Kelly selbst hat vergangene Woche ebenfalls ein Interview gegeben. Seine Gefolgsleute haben es mit CBS eingefädelt. Sie wollten die öffentliche Meinung offenbar dahingehend drehen, dass Kelly einer ist, dem gerade übel mitgespielt wird. Der aufgrund der immensen Rufschädigung keine Platten verkauft, keine Konzerte geben darf und deshalb keinen Unterhalt zahlen kann. Ein Opfer also. Doch während des Gesprächs mit der Journalistin Gayle King springt er auf, trommelt sich mit der Faust gegen die Brust und brüllt derart, dass sich seine Stimme überschlägt: "Ihr wollt mich fertigmachen mit dieser Scheiße! Ihr wollt die Wahrheit einfach nicht glauben, weil Ihr mich fertigmachen wollt!"

Er hatte sich darstellen wollen als jemand, der sich leidenschaftlich verteidigt und der unter der aktuellen Situation außerordentlich leidet, doch er zeichnete ein Bild von sich, das eher dem der Klägerinnen entspricht. "Ich glaube nicht, dass er sich damit einen Gefallen getan hat", sagte Interviewerin King der New York Times nach dem Gespräch: "Ich hatte erwartet, dass er die Vorwürfe abstreitet - aber nicht, dass er überhaupt kein Fehlverhalten zugibt. Wir waren uns danach einig, dass wir so was noch nicht erlebt haben."

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Gayle King führte auch das Gespräch mit Clary und Savage. Danach berichtete sie beim Sender CBS, dass Kelly dabei eine bedeutende Rolle gespielt habe: "Er hat immer wieder sehr laut gehustet und sie dadurch wissen lassen, dass er da ist." Zudem habe Kelly hinter den Kulissen ein paar Mal versucht, das Interview mit den beiden abzubrechen: "Sie haben eher nachgeplappert, was er schon gesagt hatte. Es war keine gute Situation. Ich glaube, dass die Leute in ein paar Jahren zurückblicken und sagen werden, wie traurig das gewesen ist."

Wer sich vergangene Woche noch gemeldet hat: der Anwalt Edward Genson, der Kelly im Jahr 2008 gegen Missbrauchsvorwürfe verteidigt und einen Freispruch erwirkt hatte. Kelly sei damals "guilty as hell" gewesen, sagte Genson nun der C hicago Sun-Times, also: schuldig wie sonst nur was. Er habe gewusst, dass sich Kelly zu jungen Frauen hingezogen fühle: "Ich verrate Euch jetzt mal ein Geheimnis: Wir haben ihn zu einem Arzt geschickt, der ihm Spritzen gegen die Libido verabreicht hat. Deshalb ist er nicht für irgendwas anderes verhaftet worden."

Es wird gerade sehr viel geredet bei diesem Fall, und es gibt sehr viele Menschen, die sich als Opfer fühlen oder inszenieren und die öffentliche Meinung mit ihren Auftritten und Aussagen beeinflussen möchten. Doch klar ist bislang nur: irgendjemand lügt. Wer das ist, müssen die Ermittler nun herausfinden.

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