Justiz:Das System R. Kelly

Justiz: R. Kelly bei einem Gerichtstermin im Juni 2019. Sein Antrag auf Bewährung wurde damals abgelehnt. Nun startet in Brooklyn der Prozess mit der Auswahl der Jurymitglieder.

R. Kelly bei einem Gerichtstermin im Juni 2019. Sein Antrag auf Bewährung wurde damals abgelehnt. Nun startet in Brooklyn der Prozess mit der Auswahl der Jurymitglieder.

(Foto: E. Jason Wambsgans/AP)

Zu Beginn des Prozesses in New York stehen zahlreiche Vorwürfe gegen den R&B-Sänger wegen sexualisierter Gewalt auch gegenüber Minderjährigen im Raum.

Von Christian Zaschke

Die Anklageschrift gegen den R&B-Sänger Robert Sylvester Kelly, besser bekannt als R. Kelly, ist eine Liste des Schreckens. Dem Musiker wird vorgeworfen, über Jahrzehnte hinweg Frauen und Mädchen sexuell missbraucht zu haben, darunter Minderjährige. Er soll massenhaft Kinderpornografie produziert haben. Er soll junge Frauen als Leibeigene gehalten haben.

An diesem Montag beginnt im New Yorker Stadtteil Brooklyn der Prozess gegen den 54 Jahre alten Kelly. Wenn die Jury auch nur einige der Anklagepunkte als zutreffend bewertet, droht ihm eine jahrzehntelange Haftstrafe. Kelly selbst stritt bisher jede strafbare Handlung ab. In einer vorab anberaumten Anhörung in der vergangenen Woche haben seine Anwälte allerdings eingeräumt, dass Kelly in den Neunzigerjahren Sex mit der Sängerin Aaliyah Haughton hatte, als diese noch minderjährig war.

Ein Fingerzeig auf das, was kommen sollte

Die Vorwürfe gegen Kelly weisen weit in die Vergangenheit zurück. Dem Fall von Aaliyah Haughton dürfte im Verfahren einige Aufmerksamkeit zukommen, weil er wohl ein Muster zeigt, das sich später wiederholte: Kellys Vorliebe für minderjährige Mädchen.

Kelly hatte Haughton kennengelernt, als diese zwölf Jahre alt war. Er förderte sie als Sängerin, und als sie 14 war, schrieb und produzierte er ein Album für sie, mit dem sie den Durchbruch schaffte. Im Laufe ihrer Karriere verkaufte sie rund 30 Millionen Tonträger. Als Titel ihres Debütalbums hatte Kelly gewählt: "Age Ain't Nothing But A Number" - Alter ist nichts als eine Zahl. Das liest sich im Rückblick wie ein Fingerzeig auf das, was kommen sollte.

Im Jahr 1994 heirateten Kelly und Haughton. Er war damals 27 Jahre alt. Sie war 15. Kelly hatte gefälschte Ausweispapiere besorgt. Die Ehe wurde im folgenden Jahr auf Drängen von Haughtons Eltern annulliert. 2001 kam die Sängerin bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Über die Umstände der Eheschließung hat Kelly seither nicht mehr gesprochen, "aus Respekt für Aaliyah", wie er dem Magazin GQ im Jahr 2016 sagte.

Konzert von R. Kelly soll in Neu-Ulm stattfinden

Ein Foto aus strahlenderen Tagen: R. Kelly bei einer Preisverleihung in Los Angeles (im Jahr 2013).

(Foto: Frank Micelotta/dpa)

Seit 1994 meldeten sich immer wieder Frauen, die angaben, von Kelly belästigt worden zu sein. Tiffany Hawkins verklagte Kelly im Jahr 1996 auf eine Schmerzensgeldzahlung wegen "persönlicher Verletzungen". Nach ihrer Darstellung hatte sie eine drei Jahre währende sexuelle Beziehung mit dem Sänger, die begonnen habe, als sie 15 Jahre alt war. Hawkins forderte zehn Millionen Dollar. Gegen eine Zahlung von 250 000 Dollar wurde der Fall außergerichtlich geregelt.

Dieses Vorgehen wiederholte sich in der Folge. Kelly regelte Fälle außerhalb des Gerichts, Geld spielte dabei keine große Rolle. Er hat rund 150 Millionen Alben verkauft. 2002 wurde er wegen der Produktion von Kinderpornografie in 21 Fällen angeklagt. Er soll sich selbst beim Sex mit Minderjährigen gefilmt haben. Die Aufnahmen sollen unter der Hand in einschlägigen Kreisen unter dem Titel "R. Kelly Triple-X" verkauft worden sein.

In allen Punkten freigesprochen

Sechs Jahre dauerte es, bis aus dieser Anklage ein Gerichtsverfahren wurde. Kelly wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen, weil die Jury es nicht als zweifelsfrei erwiesen ansah, dass wirklich Kelly auf den Videos zu sehen war oder dass die Mädchen tatsächlich minderjährig waren.

Während der sechsjährigen Wartezeit auf das Verfahren produzierte Kelly weiterhin Alben, darunter das sehr erfolgreiche "Trapped In The Closet", was sich wörtlich übersetzen lässt als "Gefangen im Wandschrank" oder etwas freier als "Gefangen im Geheimzimmer". Auch das liest sich im Rückblick wie ein sinisterer Wink.

Zudem gab es neue Anklagen: In Florida wurde er erneut der Produktion von Kinderpornografie bezichtigt. Die Polizei hatte bei einer Hausdurchsuchung eine Kamera sichergestellt, auf der offenbar Kelly beim Sex mit einer Minderjährigen zu sehen war. Zu einem Verfahren kam es nicht, weil ein Richter befand, die Polizei habe keine ausreichenden Befugnisse für die Hausdurchsuchung gehabt.

Anschließend lebte Kelly lange unbehelligt. Es ist vor allem das Verdienst des Reporters Jim DeRogatis von Buzzfeed, dass die Ermittlungen wieder Fahrt aufnahmen. DeRogatis hat 2017 einen umfassenden Report veröffentlicht, in dem er beschreibt, dass Kelly einen "Sex-Kult" betrieben habe. Er habe junge Frauen verführt, indem er ihnen Hilfe bei ihren Karrieren versprochen habe. Anschließend habe er die Kontrolle über das Leben der Frauen übernommen. Er habe festgelegt, was sie essen, was sie anziehen, wann sie schlafen und wann und wie sie an sexuellen Handlungen teilzunehmen haben, die er filmte. Kontakt zur Außenwelt sei den Frauen verboten gewesen.

Justiz: Über Jahre soll sich R. Kelly (hier während einer Anhörung in Chicago) von seinem Team junge Frauen zuführen haben lassen. Es gibt auch viele Vorwürfe wegen Kinderpornografie gegen ihn.

Über Jahre soll sich R. Kelly (hier während einer Anhörung in Chicago) von seinem Team junge Frauen zuführen haben lassen. Es gibt auch viele Vorwürfe wegen Kinderpornografie gegen ihn.

(Foto: Antonio Perez/AP)

DeRogatis berief sich unter anderem auf frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kelly sowie auf die Eltern von Mädchen, die angegeben hatten, ihre Töchter seien de facto verschwunden. Kelly ließ die Vorwürfe über eine Anwältin zurückweisen. Allerdings meldeten sich nach der Veröffentlichung des Reports weitere Frauen zu Wort, die von Misshandlungen berichteten. Sie seien geschlagen und zum Sex gezwungen worden, zum Teil als Minderjährige.

Im Jahr 2019 erschien die Dokumentation "Surviving R. Kelly" des US-Kabelsenders Lifetime. In sechs einstündigen Episoden berichten die Journalistinnen und Journalisten umfassend vom System Kelly. Über Jahre hinweg habe Kelly sich von seinem Umfeld junge Frauen zuführen lassen. Sein früherer Tour-Manager Demetrius Smith sagt in der Dokumentation: "So ist es gewesen. Wir haben für ihn gearbeitet. Das ist es, was er wollte, und so war es unsere Aufgabe, es ihm zu geben."

Zwei Wochen nach Ausstrahlung der Dokumentation löste die Plattenfirma den Vertrag mit Kelly auf. Geplante Konzerte wurden abgesagt. Kelly verteidigte sich in einem Fernsehinterview und wies die Vorwürfe zurück. In seiner Heimatstadt Chicago und in Brooklyn wurde er wegen verschiedener sexueller Delikte und wegen organisierter Kriminalität angeklagt. Auch in Minnesota wurde er wenig später angeklagt. Sein ehemaliger Anwalt sagte damals, Kelly freue sich darauf, dass vor Gericht die Wahrheit ans Licht komme und er rehabilitiert werde.

Seit Mitte 2019 sitzt Kelly in Haft. Ein Antrag auf Bewährung wurde abgelehnt, weil erhebliche Gefahr der Zeugenbeeinflussung bestehe. Im August 2020 wurde Kelly im Schlaf von einem Mitinsassen physisch attackiert. Erneut beantragte er Bewährung, was erneut abgelehnt wurde.

An diesem Montag geht es in Brooklyn zunächst darum, die Mitglieder der Jury auszuwählen. Das eigentliche Verfahren mit Zeugenaussagen wird am 18. August beginnen. Es wird erwartet, dass es mindestens einen Monat dauert. Aufgrund der Pandemiebeschränkungen hat Richterin Ann Donnelly entschieden, dass weder die Medien noch interessierte Bürgerinnen und Bürger in den Gerichtssaal dürfen. Das Verfahren werde als Livestream übertragen.

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