Trauerarbeit:Über Tote nur Gutes

Trauerarbeit: Auch in der St. John's Cathedral in Bulawayo, Simbabwe, haben Menschen die Möglichkeit, sich in ein Kondolenzbuch einzutragen, um Abschied von der Queen zu nehmen.

Auch in der St. John's Cathedral in Bulawayo, Simbabwe, haben Menschen die Möglichkeit, sich in ein Kondolenzbuch einzutragen, um Abschied von der Queen zu nehmen.

(Foto: KB Mpofu/Getty Images)

Wer mag, der kann der Queen und ihren Angehörigen dieser Tage auf der Website des Buckingham-Palasts eine persönliche Nachricht hinterlassen. Doch woher stammt sie eigentlich, die Idee des Kondolenzbuchs?

Von Martin Zips

Es kommt ja immer wieder vor, dass man jemandem noch etwas mitteilen möchte. "Du schuldest mir zehn Euro" zum Beispiel. Oder "Du warst die Liebe meines Lebens". Aber dann denkt man sich, dass man das ja auch noch morgen sagen kann. Oder in einem Monat. Oder nächstes Jahr. Aber, wie es das Schicksal so will, gibt es diesen Menschen dann vielleicht gar nicht mehr. Im ungünstigsten Fall gibt's einen dann sogar selbst nicht mehr. Weil, Dante: "Die Zeit geht hin, und der Mensch gewahrt es nicht."

Posthum jedenfalls wurde selten jemandem mehr mitgeteilt als dieser Tage, da die Kondolenzbücher für die verstorbene britische Königin fast zu bersten drohen. Das bereits nach dem Tod ihres Ehemannes Prinz Philip erprobte "Online-Kondolenzbuch" (von Lateinisch condolere: "mitleiden") hat der Buckingham Palace unter www.royal.uk nun für die Queen freigeschaltet.

Aber auch, wer lieber per Stift oder Füller kondoliert, muss nicht darben: Papierene Kondolenzbücher für die Queen liegen in der Münchner Residenz ebenso aus wie beim Hamburger Senat, den Stadtverwaltungen von Hannover, Düsseldorf und Coburg, sowie britischen Konsulaten und Botschaften weltweit. Mehr Kondolenzbuch war selbst im Jahr 1997 nicht - und da sind Lady Diana, der Dirigent Sir Georg Solti und Mutter Teresa fast gleichzeitig gestorben. (Die Chicago Tribune wunderte sich seinerzeit, dass es allein für Lady Di 15 solcher Bücher in der Stadt am Michigansee gab, wohingegen Solti und Mutter Teresa nur einstellig blieben.)

Der Brauch geht zurück bis zum sogenannten "Totenrotel"

Wobei das mit dem Kondolieren schon auch so eine Sache ist. Da muss man wirklich aufpassen, was man schreibt. Im Online-Kondolenzbuch für einen verstorbenen Schweizer Gemeindepräsidenten etwa fand sich im Jahr 2010 nicht nur der freche Werbeeintrag eines lokalen Dienstleisters ("Autopflege schon ab 50 Franken"), es empfahlen sich auch noch zwei Politiker für die nächste Großratswahl. Das gehört sich nicht. Zumal die Seiten ja später auch oft von Angehörigen oder Archiven ausgedruckt werden, und da kann man sich's mit einem blöden Satz dann schon mal mit wem auch immer verscherzen. Bereits in der Antike gab es deshalb den Spruch "Über Tote nur Gutes" (De mortuis nil nisi bene), was sich ja auch bewährt hat. Eine vor einigen Jahren in Erinnerung an einen verstorbenen Oberbürgermeister von einem Münchner handschriftlich verfasste "Würdigung" jedenfalls wurde nur wenige Minuten nach dem Eintrag vom Rathauspersonal wegen "übler Nachrede" sofort wieder aus dem Buch gerissen.

Ja, früher, da gab es sogar noch die Totenwache. Da ist dann ein ganzes Dorf zusammengekommen und hat sich persönlich vom Verstorbenen verabschiedet. Und je berühmter der oder die Verblichene war, umso mehr Lebende drängten um den Sarg. Nicht alle blieben so kurz wie Wladimir Putin bei Michail Gorbatschow. Da konnte so ein Kondolenzbuch im Nebenraum durchaus sinnvoll sein. "Gleichwie das Trauergemach mit Kränzen, füllte sich auch das aufliegende Kondolenzbuch mit zahlreichen Unterschriften", hieß es am 12. Januar 1888 in einem Nachruf auf den Chefredakteur des Wiener Neuigkeits-Welt-Blattes in eben diesem. Viel unkomplizierter ist das Gedenken im Digitalzeitalter, in dem Frauke P. auf einer Trauerseite zum Tode des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt schrieb: "Ich habe Ihnen mal persönlich die Hand gedrückt als Kind und erinnere mich gerne daran zurück."

Zurück geht der Kondolenzlistenbrauch auf das seit dem frühen Mittelalter bekannte "Totenrotel", ein auf einen Holzstab aufgerolltes Pergament, welches von Kloster zu Kloster getragen wurde, um den Tod eines frommen Menschen zu verkünden. Solche Totenroteln waren schnell mal zwei Jahre lang im Umlauf und wurden wegen der auf ihnen als Lesebestätigung hinterlassenen Fürbitten immer länger und länger. Das Totenrotel des Abtes Vitalis von Savigny beispielsweise, der im Jahr 1122 starb, kehrte in einer Länge von zehn Metern zurück. Doppelseitig beschrieben! Zum Buch gebundene Kondolenzbriefe kamen dann nach der Ermordung von US-Präsident Abraham Lincoln 1865 auf. Damals fasste die Staatsdruckerei die eingetroffenen Beileidsbriefe in einem goldumrandeten Ledereinband zusammen.

Kondolenzbuch für einen Hund

Die heute noch beliebten Blanko-Kondolenzbücher sind laut dem Berliner Tagblatt zum Beispiel für den Tod von Prinz Carl von Preußen für das Jahr 1883 verbürgt ("die ersten, die sich eintrugen, sind Graf und Gräfin Hohenau"). Später tauchten sie auch an den Gedenkorten für Gracia Patricia, Michael Jackson, Franz Josef Strauß oder Uwe Seeler auf. Ja, das Landratsamt Ebersberg soll gar einen eigenen Kondolenzbuchraum haben und eine "Trauervertrauensperson", die man sogar nach einer privaten Trennung kontaktieren kann.

Aber auch im Zusammenhang mit verstorbenen Hunden wie dem Foxterrier Teddy, dessen Beerdigungszug 1948 laut Spiegel "fünfhundert New Yorkerinnen folgten", tauchen Kondolenzbücher auf. Der Hund habe "einer der ersten Damen" der Stadt gehört, so heißt es. In seine Kondolenzliste trugen sich "über tausend Personen" ein - Hundeliebe war schon damals tierisch.

Doch letztlich hat von so einem Eintrag natürlich jeder etwas: der oder die Verstorbene, denn so beliebt war man zu Lebzeiten nur selten. Die Familie - auch sie fühlt sich geachtet. Und natürlich die Trauernden: Trauerarbeit, das weiß jeder Psychologe, ist ungeheuer wichtig. Und die persönliche Erinnerung im Kondolenzbuch, nicht nur unter royal.uk, kann ein wichtiger Teil davon sein. Man schließt etwas ab, man setzt einen Punkt und erinnert sich daran, dass man auch selbst sterblich ist. Nie sollte man dabei vergessen, dass man vielleicht auch den oder die ein oder andere(n) Lebende(n) durchaus noch mal kontaktieren könnte.

Bevor's für immer zu spät ist.

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