Süddeutsche Zeitung

Prügelattacke nach Schlichtungsversuch:Einfach totgetreten

Tritte aus blinder Wut: Der 25-jährige Daniel S. wollte nach einem Discobesuch in Niedersachsen einen Streit schlichten - und wurde getötet. Es ist nicht der erste Fall dieser Art, der für Fassungslosigkeit sorgt.

Von Charlotte Frank, Hamburg

Die Tritte hörten nicht auf, nicht einmal, als der junge Mann längst am Boden lag. Die Tritte hatten ihn erst mit dem Schädel gegen einen parkenden Linienbus schlagen lassen, dann auf den Asphalt. Dort regte er sich schon nicht mehr, er wehrte sich nicht. Die Tritte gingen weiter. Der Notarzt konnte nur noch schwerste Kopfverletzungen feststellen.

In der Nacht zum Donnerstag, vier Tage nach dem Angriff im niedersächsischen Weyhe, ist der junge Mann in einem Bremer Krankenhaus gestorben. Daniel S. war erst 25 Jahre alt, von Beruf Lackierer, zu Tode getreten nach einem Discobesuch mit seinen Freunden. Nach einem Streit, mit dem er nichts zu tun hatte.

Das Leben in Weyhe mit seinen 30.000 Einwohnern ist so viel beschaulicher als das Leben in Berlin; die Welt auf dem Bahnhofsvorplatz im Kreis Diepholz ist so eine andere als die Welt auf dem Alexanderplatz im Zentrum der Hauptstadt - und doch ziehen die Menschen nun Parallelen zwischen Weyhe und Berlin. Weil der Fall Daniel S. so viele Ähnlichkeiten aufweist zum Fall Jonny K., der im vergangenen Jahr auf dem Alexanderplatz von Angreifern zu Tode getreten wurde. Jonny K. hatte helfen wollen, nachdem ein Unbekannter seinen Freund zu Boden gestoßen hatte. Er ging dazwischen. Und er bezahlte mit dem Leben. Im Mai soll der Prozess am Berliner Landgericht beginnen.

Auch Daniel S., so beschreibt es nun die Staatsanwaltschaft Verden, hatte einen Streit schlichten wollen: In der Nacht zum Sonntag war der 25-Jährige mit seinen Freunden in einem Bus unterwegs über die niedersächsischen Dörfer. Es war fast halb fünf am Morgen, die Freunde hatten in der Diskothek Fun Factory in Wildeshausen gefeiert. Den Bus hatten sie offenbar eigens angemietet, jeder gab etwas Geld dazu. Weil sie ihn nicht voll bekamen, nahmen sie auf dem Weg zum Bahnhof in Kirchweyhe fünf Männer mit. Dann gab es Streit.

"Fassungslos, hoffnungslos"

Die Strecke von Wildeshausen nach Kirchweyhe führt 40 Kilometer über Land, mit dem Bus ist man fast eine Stunde unterwegs. Viel Zeit, um aneinanderzugeraten. Im Bus müssen sie heftig aneinandergeraten sein. Der Grund ist noch unklar, vermutlich war er unbedeutend; die Nationalität der Beteiligten oder ein rechtsradikaler Hintergrund hätten keine Rolle gespielt, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit. Noch während der Fahrt beorderte einer der fünf Mitfahrer Freunde zur Zielhaltestelle. Als der Bus dort ankam, müssen die schon gewartet haben. Daniel S. war der Erste, der ausstieg.

"Beim Verlassen des Linienbusses kam es zu Streitigkeiten, in deren Verlauf der 25-Jährige beschwichtigend auf alle Beteiligten einwirkte und sich so womöglich den Zorn des Beschuldigten zuzog", heißt es bei der Staatsanwaltschaft.

Was bislang noch nicht geklärt ist: War es ein Einzeltäter, der auf Daniel S. eingeprügelt hat - oder waren es mehrere? Warum hörten die Tritte nicht auf, auch dann nicht, als Daniel S. am Boden lag? Warum kannte die Brutalität keine Grenze?

Es sind Fragen, wie sie sich auch in Berlin gestellt haben, nachdem Jonny K. zu Tode geprügelt worden war. Es sind Fragen, die sich gerade in Bochum stellen, wo am Wochenende vor einem Club eine Gruppe noch unbekannter Angreifer so heftig auf einen 26-Jährigen eingeprügelt haben soll, dass er nun in Lebensgefahr schwebt. Oder in Bremen, am Hauptbahnhof; dort traten im Dezember vier Männer auf eine am Boden liegende Frau ein. Oder einen Monat zuvor in Bielefeld, als ein Fußballfan ins Koma getreten wurde. Immer wieder sind die Opfer wehrlos. Immer wieder sind die Täter in der Überzahl.

In Weyhe wurde am Montag Haftbefehl gegen den bereits durch frühere Gewalttaten polizeibekannten 20-jährigen Cihan A. erlassen. Er sitzt in Untersuchungshaft. Vier mögliche weitere Angreifer wurden vernommen, aber wieder freigelassen. Am Donnerstag wurden in der Bremer Klinik die Maschinen abgestellt, die den hirntoten Daniel S. beatmeten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun nicht mehr wegen versuchten, sondern vollendeten Mordes.

Dort, wo Daniel S. niedergetreten wurde, hat seine Familie ein Foto aufgehängt, daneben ein paar Worte, hilflose Fetzen: "Fassungslos, hoffnungslos, nicht glauben wollen, Hoffnung, Wut, Zorn . . . Wir lieben Dich, vermissen Dich, wollen Dich wieder . . . Deine Familie, Freunde, Arbeitskollegen . . . Mama."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1624707
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.03.2013/kad
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.