Prozesse - München:Gericht: Integrationsgesetz zum Teil verfassungswidrig

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München (dpa/lby) - Migranten können in Bayern ab sofort nicht mehr zu Grundkursen über die deutsche Werteordnung verpflichtet werden. Eine entsprechende Vorschrift im bayerischen Integrationsgesetz erklärte der Bayerische Verfassungsgerichtshof am Dienstag für verfassungswidrig und nichtig. Auch einzelne andere Punkte in dem umstrittenen Gesetz verstoßen gegen die Bayerische Verfassung.

Mit dieser Entscheidung gaben die obersten bayerischen Richter Klagen der Grünen- und der SPD-Landtagsfraktion teilweise statt. Das Urteil bedeutet eine empfindliche Schlappe für die CSU, die das Gesetz Ende 2016 - also noch zu Zeiten ihrer absoluten Mehrheit - ungeachtet vieler Widerstände und rechtlicher Bedenken im Landtag durchgesetzt hatte. Grundsätzlich hielt das Gesetz der richterlichen Überprüfung aber stand - auch der hoch umstrittene Begriff der deutschen "Leitkultur".

Mit dem Gesetz wurde unter anderem eine Pflicht für Migranten eingeführt, an einem "Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" teilzunehmen, wenn jemand die Ablehnung bestimmter Regeln, Prinzipien und Werte zum Ausdruck bringt. Bis zum Sommer mussten nach Angaben des Innenministeriums bereits 83 Menschen an solchen Kursen teilnehmen. Damit ist nun Schluss. Die Regelung verstößt unter anderem gegen den Grundsatz der Meinungsfreiheit, wie Gerichtspräsident Peter Küspert in der Urteilsbegründung erläuterte.

Verfassungswidrig sind zudem Bußgeldsanktionen für Migranten, die auf eine Ersetzung der bestehenden durch eine andere Rechtsordnung hinarbeiten - das verstößt nach dem Urteil des Gerichts gegen abschließende bundesrechtliche Regelungen im Strafgesetzbuch.

Ebenfalls verfassungswidrig und nichtig ist eine Bestimmung im Gesetz, wonach Rundfunkanstalten "einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur leisten" sollen - das verletzt nach Ansicht der obersten Richter unter anderem die Rundfunkfreiheit.

Die Staatsregierung will sich möglicherweise damit abfinden, dass der Verfassungsgerichtshof einzelne Regelungen für nichtig erklärt hat, und auf eine Nachbesserung verzichten. Das sei seine "vorläufige Einschätzung", auch wenn man das Urteil zunächst einmal genau lesen müsse, sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach einer Kabinettssitzung. "Ich würde das jetzt einfach mal so akzeptieren."

"Die Staatsregierung nimmt das Urteil sehr gelassen auf", betonte Florian Herrmann. Ohnehin sei das Gesetz nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs in den "wesentlichen Teilen" mit der Bayerischen Verfassung vereinbar, insbesondere der Kerngedanke des Förderns und Forderns. Die Debatte sei "eigentlich abgeschlossen".

Die CSU hatte das hoch umstrittene Integrationsgesetz 2016 im Landtag durchgesetzt, damals noch mit ihrer absoluten Mehrheit im Landtag. Besonders den Begriff der "Leitkultur" hatten die beiden Oppositionsfraktionen vor Gericht kritisiert. Diesen Begriff hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil nun aber nicht verworfen.

"Die Verfassungsrichter haben das Konzept der Leitkultur bestätigt", sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Auch das Ziel einer Integrationspflicht sei mit der Landesverfassung vereinbar. Er kündigte an, die Entscheidung werde nun detailliert ausgewertet, die verbliebenen Beanstandungen des Gerichts würden analysiert.

Vertreter von SPD und Grünen reagierten zufrieden auf die Entscheidung. SPD-Fraktionschef Horst Arnold sprach von einer "schallenden Ohrfeige" für die Staatsregierung. Er kritisierte: "Dieses Gesetz war von Anfang an rein parteipolitisch motiviert. Es schürt Ressentiments gegenüber Migrantinnen und Migranten statt gleichberechtigte Teilhabe für alle zu ermöglichen - und setzt so das gesellschaftliche Miteinander leichtfertig aufs Spiel."

Die integrationspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Gülseren Demirel, sagte: "Die Vielzahl der Kritikpunkte verdeutlicht, wie sehr die damalige CSU-Alleinregierung mit ihrem auf Ausgrenzung abzielenden Gesetz ihre Kompetenzen überschritten hat." Es sei die sprichwörtliche "Arroganz der Macht" gewesen, die den damaligen Regierungschef Horst Seehofer und die CSU-Fraktion verleitet habe, "ihre Freiheiten bei der Gesetzgebung deutlich überzustrapazieren".

Das Gesetz war im Dezember 2016 nach einer Marathonsitzung bis in die frühen Morgenstunden im Landtag beschlossen worden. Damals überstimmte die CSU mit ihrer absoluten Mehrheit auch die Freien Wähler, die seit der vergangenen Landtagswahl mit den Christsozialen eine Regierung bilden. Das Gesetz trat daraufhin im Januar 2017 in Kraft. Wenige Monate später reichten SPD und Grüne ihre Klagen ein.

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