Prozesse - Koblenz:Prozess um Folter in Syrien: Angeklagter bestreitet Vorwürfe

Baden-Württemberg
Die beiden Angeklagten Anwar R. (57, l) und Eyad A. (43, r) sitzen auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts hinter Corona-Schutzscheiben. Foto: Thomas Frey/dpa Pool/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Koblenz (dpa/lrs) - Im weltweit ersten Strafprozess gegen mutmaßliche syrische Folterer hat der Hauptangeklagte die Vorwürfe bestritten. "Ich habe die mir vorgeworfenen Taten nicht begangen", erklärte der einstige syrische Oberst Anwar R. (57) am Montag vor dem Oberlandesgericht Koblenz in einer eineinhalbstündigen Einlassung, die seine beiden Anwälte Michael Böcker und Yorck Fratzky verlasen. "Folterungen sind von mir nicht angeordnet oder gefördert worden."

Er habe insgeheim mit der syrischen Opposition sympathisiert und sie nach seiner Flucht aus seiner Heimat unterstützt, beispielsweise mit der Teilnahme an der zweiten Syrien-Friedenskonferenz 2014 in Genf. Der Hauptangeklagte äußerte Mitgefühl für alle syrische Folteropfer. Er wünsche sich demokratische Verhältnisse in seiner Heimat.

Die Bundesanwaltschaft spricht mit Blick auf das Oberlandesgericht Koblenz vom "weltweit ersten Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit" (1 StE 9/19). Syriens Präsident Baschar al-Assad soll in seinem Bürgerkriegsland für eine Folter-Maschinerie verantwortlich sein.

Anwar R. und der Mitangeklagte Eyad A. (43) waren nach ihrer Flucht in Deutschland von mutmaßlichen Opfern erkannt und im Februar 2019 in Berlin und Zweibrücken festgenommen worden. Die Anklage wirft Anwar R. Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2011 und 2012 vor. Sie legt ihm 58-fachen Mord, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung in Syrien zur Last. Eyad A. ist wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2011 angeklagt. Er schweigt vorerst im Prozess.

Anwar R. soll in einem Gefängnis des Allgemeinen Geheimdienstes in der syrischen Hauptstadt Damaskus in hoher Position für die brutale Folter von mindestens 4000 Menschen verantwortlich gewesen sein. Mindestens 58 Gefangene seien an den Folgen gestorben. Dem in Zweibrücken festgenommenen Eyad A. wird vorgeworfen, mindestens 30 Demonstranten in das Foltergefängnis gebracht zu haben - im Wissen um ihr dortiges Schicksal.

Der Hauptangeklagte Anwar R. erklärte in seiner schriftlichen Einlassung, er habe während der Aufstände der Opposition in Syrien vor fast einem Jahrzehnt vielen Untersuchungsgefangenen geholfen und oft für Entlassungen gesorgt. Vorgesetzte hätten begonnen, an seiner Loyalität zu zweifeln, und ihm die Zuständigkeit für Vernehmungen entzogen. Eine andere Abteilung des Geheimdienstes habe sich faktisch darum gekümmert, ergänzte der studierte Jurist. Schließlich habe er sich zu Desertion und Flucht entschlossen. Er nannte etwa zwei Dutzend syrische Zeugen, die heute alle außerhalb ihrer Heimat lebten und ihn entlasten könnten.

An dem Strafverfahren nehmen auch mehrere der mutmaßlichen Folteropfer, die Zeugenaussagen gemacht haben, als Nebenkläger teil. Der Anwalt Patrick Kroker, der einige von ihnen vertritt, bezeichnete die Einlassung des Hauptangeklagten am Rande des Prozesses als recht pauschale und widersprüchliche Zurückweisung der Tatvorwürfe. Den Erklärungen fehle es an Substanz.

Die Vorsitzende Richterin Anne Kerber zitierte zudem Aussagen des mitangeklagten Syrers Eyad A. bei seiner Anhörung als Asylbewerber 2018 in Deutschland. Demnach habe er Zivilisten im Kampf töten und regierungskritische Demonstranten festnehmen sollen. Er habe aber keine Landsleute töten wollen, sei ebenfalls desertiert und nach einer jahrelangen Flucht über andere Länder in die Bundesrepublik eingereist.

Das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht erlaubt es, in Deutschland auch mögliche Kriegsverbrechern von Ausländern in fernen anderen Staaten zu verfolgen. Der am 23. April begonnene Koblenzer Prozess ist vorerst mit 24 Verhandlungstagen bis zum 13. August terminiert. Nicht zuletzt wegen einer großen Zahl von Zeugen wird eine weitaus längere Dauer erwartet.

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