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Prozesse - Hamburg:Angeklagter bestreitet Mord an jungem Brasilianer

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Hamburg (dpa/lno) - Im Prozess um den Mord an einem jungen Brasilianer hat der Angeklagte die Tat am Montag vor dem Hamburger Landgericht bestritten. Über einen seiner Verteidiger ließ der 46-Jährige eine Erklärung verlesen. In seiner Version der Tatnacht im September 2019 war er das Opfer. Nicht er habe den 28-Jährigen sexuell bedrängt - es sei umgekehrt gewesen. (Az.: 6610 Js 7/20 und 604 Ks 3/20)

Demnach wollten die beide Männer nach einer Geburtstagsparty in der Wohnung des 46-Jährigen noch Wein trinken. Dort habe sein Gast, den er kaum kannte, plötzlich Drogen genommen, sei rastlos und unruhig geworden, erklärte der Angeklagte. Der 28-Jährige sei immer lauter und sein Verhalten "immer krasser" geworden. Nach eigenen Angaben hatte der Angeklagte große Sorge vor Beschwerden der Nachbarn. Er hätte schon zuvor Ärger mit ihnen gehabt, weil er regelmäßig über eine Plattform ein Zimmer an Homosexuelle vermietet habe.

Der Angeklagte mit italienischer und französischer Staatsbürgerschaft schilderte, sein Gegenüber sei zudringlich geworden: "Er zog seine Kleidung nach und nach aus", so Mann vor Gericht. Dann habe er erklärt, er sei nun bereit für Sex. Das alles habe er nicht gewollt, betonte der Angeklagte. Es sei zu einem Handgemenge gekommen. "Chancen hatte ich nicht gegen ihn", sagte der 46-Jährige über seinen viel größeren Gast. "Mir machte das Ganze eine Riesenangst." Er sei gefesselt worden.

Irgendwann sei der junge Mann schlagartig ruhiger geworden und auf dem Bett eingeschlafen. Am nächsten Morgen sei er tot gewesen. "Sein Gesicht war blau angelaufen", erklärte der 46-Jährige. Vergeblich habe er eine Reanimation probiert.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft verlief die Nacht ganz anders: Der 46-Jährige soll seinem Gast ein Getränk mit einer potenziell tödlichen Dosis einer Ecstasy-Amphetamin-Mischung verabreicht haben, um ihn zu betäuben. Doch bei der versuchten sexuellen Nötigung im Schlafzimmer habe sich der Mann noch wehren können und geschrien. Aus Furcht vor Entdeckung habe der Angeklagte mit Gewalt reagiert.

Der 28-Jährige starb laut Anklage kurze Zeit später - entweder an einer Drogen-Überdosis oder körperlicher Gewalt. Mehrere Menschen meldeten ihn Ende September als vermisst. Doch erst vier Monate später fanden die Ermittler die stark verweste Leiche in der Wohnung des Angeklagten. Sie lag im Gästezimmer unter einer Matratze, war mit Sand bedeckt und mit Säcken umhüllt.

"Ich hätte vernünftiger auf dieses schreckliche Ereignis reagieren können", sagte der Angeklagte. Aber er habe große Angst vor einem Polizeieinsatz gehabt. Er bedauere, dass er den Angehörigen großes Leid zugefügt habe, weil sie so lange über das Schicksal des 28-Jährigen im Unklaren geblieben seien. Die Schwester und die Mutter des Getöteten sind Nebenkläger in dem Verfahren.

Im Anschluss befragte die Vorsitzende Richterin den Angeklagten lange zu seinen Suchen nach Sexpartnern im Internet und der Frage, welche Drogen er bei diesen Chats angeboten habe. Er berief sich dabei immer wieder auf Erinnerungslücken, vieles in diesen Chats entspreche nicht der Wahrheit. Der Mann betonte lediglich, er habe nie Drogen verkauft, nur gelegentlich welche mit Sexpartnern konsumiert.

Der 46-Jährige muss sich in dem Prozess noch wegen eines weiteren Falls verantworten. In der Nacht zum 14. Juli 2018 soll er bei einer Open-Air-Party einem anderen Mann ein Getränk mit K.o.-Tropfen gegeben haben, den Bewusstlosen vergewaltigt und davon Fotos und Videos gemacht haben. Später habe er versucht, sein Opfer zu erpressen. Zu diesem Fall wollte der Angeklagte vor Gericht bislang keine Angaben machen. Am nächsten Prozesstag (17. August) soll dieses Opfer, ebenfalls Nebenkläger, aussagen.

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