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Prozesse - Frankfurt am Main:Vorwürfe in Prozess um Tod einer Jesidin zurückgewiesen

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Frankfurt/Main (dpa) - Im Prozess um den qualvollen Tod eines fünfjährigen Mädchens aus der Volksgruppe der Jesiden im Irak hat die Verteidigung die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft zurückgewiesen. Die Anwälte stellten am Montag in ihrem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt indes keinen konkreten Antrag, sondern erklärten, sie legten das Schicksal ihres Mandanten in die Hände des Senats. Das Urteil soll kommende Woche verkündet werden.

Angeklagt ist der 31 Jahre alte mutmaßliche Sympathisant der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unter anderem wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen. Der Iraker Taha Al-J. soll das fünfjährige Kind und dessen Mutter im Sommer 2015 als Sklavinnen gehalten haben. Als Strafaktion soll er das Mädchen bei sengender Hitze an ein Fenster gekettet haben, wo es einen tödlichen Hitzschlag erlitt. Die Bundesanwaltschaft bewertete dies in ihrem Plädoyer vergangene Woche als Körperverletzung mit Todesfolge.

Die Verteidiger erklärten, für ihren Mandanten sei die Mutter des Mädchens eine Haushaltshilfe gewesen - mit dem organisierten Vernichtungsfeldzug des IS gegen die Jesiden habe er nichts zu tun. Der Tod des Mädchens könne auch auf eine Vorerkrankung zurückgehen. An hohe Temperaturen seien die Kinder im Irak gewöhnt. "Der Tod des Kindes war ein schrecklicher Unfall, den er bestimmt nicht gewollt hat", sagte der Verteidiger. Unmittelbar danach habe man sich um medizinische Versorgung bemüht.

Gleich mehrfach bemühten sich die beiden Verteidiger, ihren Mandanten von jedweder islamistischer Ideologie fernzuhalten. Er sei im Grunde ein "Schürzenjäger, der weit mehr Interesse an Frauen als am politischen Geschehen hatte". Der 31-Jährige war nach islamischem Recht mit einer Deutschen verheiratet, seine ehemalige Frau Jennifer W. wurde im Oktober vom OLG München zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht ging davon aus, dass sie tatenlos bei der Misshandlung des Kindes zugesehen hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Mit der Deutschen habe er sich vor allem deshalb zusammengetan, "weil sie für ihn eine Exotin war und nicht ins Bild einer irakischen Frau gepasst hat", erklärten die Verteidiger. Im gemeinsamen Haushalt habe er mit harter Hand gegen die Sklavinnen durchgegriffen, um seine stark ideologisierte Frau bei Stimmung zu halten. Vor der Medienberichterstattung über sie sei er in der Öffentlichkeit völlig unbekannt gewesen. Gegen die Anklage spreche auch der Umstand, dass Al-J. niemals an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen sei.

Die Bundesanwaltschaft hatte eine lebenslange Haftstrafe und eine Schmerzensgeldzahlung an die überlebende Mutter gefordert. Zusätzlich solle die besondere Schuldschwere festgestellt werden. Eine Haftentlassung nach 15 Jahren wäre damit ausgeschlossen.

Die Mutter des Mädchens, die mit einem ihrer Söhne in Deutschland lebt, tritt in dem Verfahren als Nebenklägerin auf. Ihre Vertreter hatten gefordert, die Tat als Mord einzustufen. Der IS habe mutmaßlich auch den Vater der Fünfjährigen ermordet, er sei verschollen, ebenso wie ein Sohn der Familie, hatten die Anwälte in ihrem Schlussplädoyer erklärt.

Al-J. steht seit April vergangenen Jahres vor Gericht, er war im Mai 2019 in Griechenland festgenommen und einige Monate darauf nach Deutschland ausgeliefert worden. Die Urteilsverkündung ist für kommenden Dienstag (30.11.) vorgesehen.

© dpa-infocom, dpa:211122-99-96325/3

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