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Prozesse - Dresden:Messerattacke-Prozess: Angeklagtem "war nichts anzumerken"

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Dresden (dpa) - Nach der tödlichen Messerattacke auf zwei Touristen im Oktober 2020 ließ der Tatverdächtige sich gegenüber Bekannten nichts anmerken. "Es war wie immer", sagte sein Cousin am Freitag beim Prozess gegen den 21-Jährigen am Oberlandesgericht (OLG) Dresden über sein Treffen mit ihn nach dem 4. Oktober. "Ich habe nichts gemerkt, überhaupt nichts." Mit einer Sozialarbeiterin, die den als islamistischen Gefährder geltenden Abdullah A. mit dem Ziel der Deradikalisierung betreute, spaziert er sogar in Tatortnähe vorbei. Ihm war nichts anzumerken, sagte sie dem Staatsschutzsenat.

A. ist wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Syrer vor, am 4. Oktober 2020 zwei Männer aus Nordrhein-Westfalen mit zwei Küchenmessern von hinten niedergestochen zu haben. Einer von ihnen starb, der andere überlebte knapp. Das Motiv sieht sie in der radikal-islamistischen Gesinnung des Beschuldigten. In Gesprächen mit einem Gutachter hatte A. die Tat zugegeben und mit seinem Ziel erklärt, seiner Meinung nach Ungläubige zu töten.

"Er war immer schon ein Einzelgänger", sagte sein Cousin. Er sei lieber allein, habe nicht viele Freunde. "Keiner kennt ihn", beschrieb der 23-Jährige das Umfeld des Verwandten in Dresden. Er selbst habe seit der gemeinsamen Flucht aus Syrien nach Deutschland 2015 eine engere Beziehung zu A. und ihm geholfen, weil "er jemanden brauchte". Aber alle Versuche, etwas mit ihm zu unternehmen, etwa auszugehen, liefen ins Leere, "er wollte immer zu Hause bleiben", erzählte er. Sie hätten sich wie Freunde regelmäßig besucht.

Nach der Jugendhaft - A. war 2018 unter anderem wegen Propaganda für das Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS) verurteilt - "war er ein Anderer", beschrieb der Cousin. Im Auto musste er die Musik ausmachen. A. sei in einer Weise religiös gewesen, die "nicht normal" war. Als der Angeklagte beim Einkauf nach der Haftentlassung im Supermarkt zwei Messer-Sets für seine leere Küche kaufte - zwei Tage vor dem Angriff - wunderte sich der Verwandte.

Die Sozialarbeiterin, die A. seit Juni 2020 mit dem Ziel einer Deradikalisierung betreute, erlebte ihn als konservativ salafistisch mit strenger Auslegung der Religion. "Sie spielt für ihn eine sehr große Rolle im Leben, beeinflusst alle Entscheidungen." A. habe ihr gesagt, nur Muslimen könne er wirklich zu 100 Prozent vertrauen. Dabei wisse er nicht viel vom Islam und wiederhole IS-Ideologie wie auswendig gelernt. Auf einer langen Liste, was er für Sünde halte, habe Homosexualität als eine der schwersten ganz oben gestanden.

Die Männer, die im Oktober angegriffen wurden, waren seit Jahren ein Paar. A. war drei Wochen später verhaftet worden. Die Sozialarbeiterin, die Vertrauen zu A. aufgebaut hatte und ihn als interessiert, freundlich und offen beschrieb, aber radikal in seinen Ansichten, traf die Erkenntnis, dass sie mit ihm am Tatort war: "Das war für mich persönlich krass."

Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.

© dpa-infocom, dpa:210423-99-327742/3

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